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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Bilder zur See
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eines Auswanderers.

§

<L>

1.
Gesellschaft auf einem Au sw anderer schiff.
Die Gesellschaft auf einem Auswandercrschiff trägt
mit nur geringen Abweichungen fast immer dieselbe Phy-
siognomie, und wenn ich Dir, mein Freund, im Nach-
folgenden die Passagiere der Bavaria, die im September
des Jahres 1849 von Havre aus in See ging, mit eini-
gen Federstrichen zu zeichnen versuche, so magst Du
kecklich glauben, daß sie mit denen auf dem Schiff 6.
und v. und allen anderen die genaueste Familien-Aehn-
lichkeit haben. 4ovs prineipium! Der Kapitän und die
beiden Steuermänner, Amerikaner von ächten: Vollblut,
lassen sich herb und rauh an, gerade auöblickend, ungc-
sprächig, zurückstoßend, selbst gegen die Kajütcngesell-
schaft ziemlich abgeschlossen. Der ganze amerikanische
Charakter in seiner steifen Selbstgenügsamkeit, seinem
kalten Egoismus und seiner angemnßten Superiorität
gibt sich in ihnen zu erkennen, obwohl ich leztere fast
verzeihen möchte, wenn sie auf den gemeinen der
Emigranten heruntersehen.
Der Kapitän hatte seine Gattin und ein zehnjähriges
Töchterchen bei sich, was uns einfältigen Deckpassagieren
und Neulingen zur See oft eine Art von Beruhigung
gewähren wollte, als ob er, da sein „Thcuerstes" auf
dem Schiffe war, auf die Erhaltung dieses leztcrn in
Sturm und Noth um so mehr Bedacht nehmen würde.
Der erste Steuermann, der zum Ucberfluß schon als
Kapitän der Duckens ä'Orlemm designirt war, machte
eben seine lezte Fahrt an unserm Bord mit. Der zweite
schreitet beständig einher, als ob er mit Wind und Wetter
in erbittertem Kampfe wäre und eben den Ocean etwas
Weniges vergiften wollte. — Die Zahl der Kajüten-
Passagiere ist gering, wie immer, wenn man dreihundert
Gulden für die Neberfahrt zahlen muß. Eine ameri-
kanische Lady, jung, bleich, sehr blasirt, die eben ihren
schwindsüchtigen Gemahl auf oder vielmehr in dem klas-
sischen Boden Italiens zur Ruhe gebracht hatte, und nun
mit einem kleinen Kinde und einem Zwittcrding von
Schwager und Courmacher nach Hause zurückkehrte; ein
Franzose aus Genf, eine kühne, stattliche Figur, der
feinen Bruder im fernen Westen Heimsuchen und auf den
Prairien den Büffel jagen wollte; ein zweiter, der in
eine chemische Fabrik nach Neu-Uork verschrieben war;
ein dritter dito, ein Affe von Figur, jung und ausge-

U,

höhlt, beweglich wie ein Kreisel, mit einem knabenhaften
Jüngling aus Philadelphia, der seine Zähne in Europa
bekommen hatte, kaum einen Mann nusmachend. Oft
wollte ich unwillkürlich nach Lezterem die Hand aus-
strecken, wenn ein starker Wind ging, denn er war so
zart von Gliedchcn gebaut, daß ich fürchtete, er würde
einmal in der rauhen Luft zusammen knicken und völlig
drauf gehen. Dabei hatte er aber doch den Blick eines
Mannes, und wenn er nach den Weibern im Deck hin-
unter blinzelte, kam es mir vor, als hätte er die „My-
sterien von Paris" schon längst hinter sich. Endlich ein
deutscher Arzt aus München mit seiner Gattin, ein Lebe-
mann von etwas hohem Ton, aber gebildet und viel
belesen. Er war, obwohl mit den Deckpassagieren nicht
in Verkehr stehend, doch mehreren derselben bekannt;
er hatte ein großes Haus gemacht, aber da seine Aus-
gaben nicht in gehörigem Verhältnisse zu seinen Ein-
nahmen standen und die praktischen Erfolge nicht glei-
chen Schritt mit seinen wissenschaftlichen Forschungen
hielten, — durch einige politische Verwicklungen noch
mehr beengt — den Entschluß gefaßt, die Stadt an der
Isar zu verlassen und als graduirter Doktor erster Sorte
der fashionabcln Welt von Neu-Aork oder Neu-Orleans
seine Dienste anzubieten; wer ihn näher beobachtete,
weissagte ihm, da er noch einige Geldmittel besaß, außer-
dem geläufig englisch und französisch sprach, ein sehr
günstiges Resultat seiner Bestrebungen.
Im Zwischendeck fand sich ein wahres Quodlibet zu-
sammen, aus Württemberg, Baden, Bayern und dem
Elsaß ausgelcsen. Württemberg schickte sein Kontingent
an Handwerkern, Baden an Landlcuten und Freischär-
lern, Bayern nebst dem an etlichen Kaufleuten und
Künstlern, die Pfalz an Flüchtlingen und Juden, da-
zwischen Frauen und Mädchen, wie aus dem buutcsten
Jahrmarkt eben herausgezogcn. Oft stand ich mit einem
jungen Arzt aus Mannheim und einem vormaligen
Eisenbahn-Ingenieur aus Heidelberg, die den Westen
bereisen wollten, um sich dort bei Gelcgeuheit Hütten
zu bauen, am Rande des Decks, nm die hervorragenden
Persönlichkeiten aus der Masse des Volks etwas abzu-
sondern. Das erste Wort führte meist ein Münchner:
er hatte einen Salz- und Mehlstadcl daselbst, und den
Erlös aus diesem und einige tausend Gulden weiteres
Vermögen dazu bestimmt, sich eine Farm, so groß wie
eine deutsche Grafschaft, zu kaufen. Zur einstweiligen





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