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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Mundt, Theodor: Residenzgeschichten (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0077

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wie es ihm noch nie erschienen war. Er mußte sich erst
fragen, ob er sich nicht verirrt habe und in eine fremde
Lokalität hineingerathen fei. Ihm war, als sei er von
einer langen Reise zurückgekehrt, und das Herz schlug
ihm vor Vergnügen, wenn er dachte, wie er jezt seine
alte gute Mutter und vielleicht auch seine schöne Cousine
Rosalie, die um diese Zeit immer da zu sein pflegte,
durch seine plötzliche Heimkehr überraschen werde.
In dieser ihn unendlich beglückenden Illusion schlich
er sich auf den Zehen durch das Vorzimmer, als plötzlich
der rauschende Ton des Klaviers an sein Ohr drang.
Er hörte einen Augenblick lang zu und glaubte an dem
Anschlag wie an der feurigen Manier des Spiels Nie-
mand anders als Rosalie zu erkennen, die seine Lieblings-
Ouverture, die von Beethoven zur Lenore, spielte. Um
noch einige Minuten unbemerkt lauschen zu können, trat
er in eine Seitenthür, die ihn in feine Studirstube
führte.
Wie erstaunte Simon, als er in die Mitte seines
Studirzimmers vorgetrctcn war, und er dort einen mit
festlichen Blumen-Guirlanden und den seltensten Topf-
gewächsen geschmückten kleinen Marmortisch wahrnahm,
der wie zu einem Festaugebinde und offenbar für ihn
hingestcllt war. Da siel ihm ciw, daß heut sein Geburts-
tag sei, was er seltsamer Weise bis jezt noch jedes Jahr
vergessen, um dann durch die überraschende Liebe seiner
Angehörigen um so freudiger daran erinnert zu werden.
Darum erklang auch im Nebenzimmer die herrliche Le-
noren-Ouverture von Beethoven unter Rosaliens schönen
Meisterhänden, die sich jezt vorbereitend übten, um ihm,
wie dies auf seinen Wunsch jedesmal an seinem Geburts-
tag geschah, das Musikstück nachher mit aller Feierlichkeit
vorzutragen.
Er trat an den Tisch, um auch die darauf bemerkten
Liebesgaben, die man ihm zugedacht hatte, vorläufig zu
mustern. Er sah zuerst ein sehr kostbares und ausge-
zeichnet schönes physikalisches Instrument, welches er sich
längst gewünscht, und das er ohne Zweifel der Alles
bedenkenden und immer still wirkenden Sorgfalt seiner
Mutter verdanken sollte. Dieß Instrument winkte ihm

mit geheimnisvoller Vertraulichkeit zu, und träumerisch
es betrachtend, glaubte er in seinem Mctallglanz sich die
erhebenden Worte: „Rückkehr zu den Studien" heraus-
zulesen. Daneben lag ein Ruhekissen von unendlicher
Zartheit und Kunstfertigkeit, auf welches ihm die auch
in dieser Beziehung ausgezeichnete Hand seiner Cousine
einen Kranz von Lorbeeren und Rosen gestickt hatte.
Ganz hinten an der Ecke des Tisches lag ein zerrissenes
Stück Papier, welches Simon ahnungsvoll zu erkennen
glaubte. Als er cs aufnahm und betrachtete, sah er,
daß er sich nicht getäuscht hatte. Es war der quittirte
Conti'sche Wechsel, den Betty Simon während seiner
Abwesenheit cingclööt und ihm jezt in dieser unverbind-
lich gewordenen Gestalt wieder zurückstellte.
Er mußte sich an dem kleinen Marmortisch halten,
so bewegt und erschüttert fühlte er sich. Einige große
Thräncntropfen entstürzten seinen Augen und bedeckten
seine Geburtstagsgeschenke. Er bemerkte in dieser Auf-
regung nicht, daß seine Mutter und Rosalie, die inzwi-
schen hereingetretcn waren, längst hinter ihm standen
und ihn mit zärtlichen Blicken beobachteten. Jezt sah er
sich um und stürzte mit einem lauten Ausruf der Liebe
in die Arme seiner Mutter. Rosalie war mit einer hohen
Purpurgluth im Gesicht wieder zurückgetrctcn und wollte
ihre Blicke wie ihre Thräncn ihm verbergen. Simon
aber stürzte ihr nach und zog sie an seine Brust. Indem
er dann einen heißen Kuß auf ihre Lippen zu drücken
wagte, fragte, er sie leise: ob dieß ein Verlobungskuß
seiu dürfe? Nur die überglücklichen Augen des Mäd-
chens antworteten ihm darauf. Betty Simon war außer
sich vor Freude, daß dieß längst von Allen herbei-
gewünschte Familien-Ereigniß endlich seiner Erfüllung
entgegengehen sollte, und umarmte die beiden jungen
Leute in dankbarem Entzücken. In demselben Augen-
blick erschien auch noch Onkel Fränkel in der Thür und
wollte mit der großen Vorsicht, die ihn auf der Börse
auszeichuete, den Freuden-Nachrichtcn erst gar nicht
trauen, bis er in den allgemeinen Jubel fortgezogen
wurde. Die ganze Familie Simon war versöhnt und
selig. —
 
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