Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

DOI article:
Wislicenus, Hermann: Die Preisbewerbung der Deutschen Goethe-Stiftung
DOI article:
Verschiedenes / Inserate
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4914#0205

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
204

werden in Beziehung gesetzt mit den ähnlichen EntwicklungS-
stufen der deutschen Poesie. Für das Treppenhaus selbst hat
der Künstler sodann die Darstellung der beiden großen Epochen
deutscher Dichtkunst gewählt, welche sich an die beiden Haupt-
orte des Landes, an die Wartburg und Weimar knüpfen.
Jn inniger Wechselwirkung damit schildert er die jenen beiden
Epochen folgenden Entwicklungsperioden der deutschen Kuust.
Demnach erblickt man in den sechs Hauptfeldern l. die
Minnesänger der Wartburg mit dieser als Hintergrund;

2. die Blüthezeit der Kunst im XVI. Jahrhundert in einer
Gruppe den Hauptmeister: Albrecht Dürer, Peter Vischer,
Schongauer, Burgkmair, Holbein, Lucas Cranach und A.;

3. Meistergesang und kunstreiches Handwerk in Hans Sachs
und anderen Zcitgenossen. 4. Wiedererwachen der Poesie und
Kunst: Lessing, Winckelmann, Klopstock, Gellert, Schlüter,
Mengs und A., im Hintergrund die Statue Friedrichs d. Gr.
als des politischen Genius jener Zeit, der auch in der Dichtung
Großes entzündete; 5. die klassische Periode von Weimar's
Musenhof: der vorlesende Schiller, umringt von Göthe,
Herder, Wieland, Carl August, Amalie u. s. w. der weimarische
Park im Hintergrund, 6. die neue Blüthe der bildenden Kunst:
Cornelius mit den gleichzeitigen und nachfolgenden geistesver-
wandten Meistern, im Hintergrunde Rom mit der Peterskuppel.

Die Lünetten über den sechs Hauptfeldern zeigen in weib-
lichen Gestalten von Genien umgeben: Architektur und Kupfer-
stechkunst, Dichtkunst und Wissenschaft, Bildhauerei uud Malerei.
Diese sehr schon erfundenen Gruppen sind indeß nicht jedes-
mal mit den ihnen räumlich entsprechenden Hauptbildern in
Berbindung gesetzt; ein Mangel, der jedoch durch eine andere
Reihenfolge leicht zu beseitigen sein würde.

Jn den Zwickeln zwischen den Lünettcn sieht man, von
Rankenwerk nmgeben, vier Jdealgestaltcn Göthe'scher Dichtung:
Dorcthea und Gretchen, Helena und Jphigenie. Jn der
Predella dagegen, welche sich unter den Hauptbildern hin-
zieht, führt der Künstler in einem farbigen Fries auf schwarzem
Grunde die geistreich verknüpften Hauptscenen des Goethe'schen
Faust vorüber, sinnreich durchbrochen und getheilt durch
Medaillons, welche den Mythus des Prometheus, dieses
antiken Prototyps des Faust, enthalten. Werden somit die
Hauptdarstellungen eingerahmt durch die Gestalten der Göthe-
schen Dichtung, so hat der Künstler dagegen an der Decke
eine Anknüpfung an die Poesie des deutschen Mittelalters
zu geben verstanden, indem er in einem Relieffries an den
Gewölbefeldern die Hauptmomente des Nibelungenliedes dar-
stellt und diese Gestalten des deutschen Volks - Epos durch
einen ornamental behandelten Zug von Thiergestalten des
Reinecke Fuchs, wie dnrch ein heiteres Satyrspiel, abschließen
läßt.

Auf den ersten Blick muß der Gedankenreichthum und die
sinnige Verkuüpfung des schön gegliederten Ganzen als ein
Zeugniß von Jdeenfülle in die Augen springen. Wir haben
es aber nicht blos mit einem geistreich durchdachten Programm,
sondern mehr noch mit einer eminenten künstlerischen Gestal-
tungskraft zu thun, die das in der Jdee Erschaute mit seltenem
Schönheitsstnn, hoher Freiheit und bedeutendem Kompositions-
talent zur Erscheinung zu bringen weiß. Dazu gesellt sich ein
fein ausgebildeter, an den größten Meistsrwerken genährter
und doch frei und selbständig verfahrender Sinn für das
Architektonisch-monumentale. Am vollendetsten kommt derselbe
in den obern Theilen, den Lunetten, Zwickeln und Gewölb-
flächen zur Entfaltung und nicht minder schön an der Predella,
welche sich unter den Hauptbildern hinzieht. Die Predellen
und Luuetten mit ihren farbigen Figuren auf schwarzem Grunde,
die Zwickelfelder mit farbigen Arabesken auf blauem Grunde,
darüber ein farbiger Guirlandenfries auf hellgelben Grunde,
endlich die Gewölbflächen mit ihren Relieffriesen auf blauem
Grund, eingefaßt von ornamentalen Streifen auf Goldgrund,
geben ein Ganzes voll Heiterkeit und Anmuth und dabei durch-
aus im Stil der besten Zeit der Renaissance, dcren Formen
das Gebäude selbst zur Schau trägt.

An den Hauptbildern ist ebenfalls lebensvolle Frische der
Kompositionm zu rühmen, allein sie fallen in ihrer mehr
realistisch-historischen Äuffassung mit stark betonten landschaft-
lichen Hintergründen etwas aus dem stilvollen Charakter des
Uebrigen heraus und dürften bei der Ausführung in dem ge-
gebenen Raum leicht einen genrehaften Eindruck machen. Diesen
Uebelstand hat der Künstler ohne Noth dadurch gesteigert, daß
er die ohnehin mächtig großen Feldcr durch eine gemalte, im
architektonischen Ganzen leicht zu entbehrende Einfassung zu

sebr eingeengt hat. Würde diese beseitigt, und strebte der
Künstler danach, durch Einschräulüng des Landschastlichen auf
bloße leichte Andeutung seine Hauptbilder mehr im Sinne
einer großen, stilvoll historischen Kunst umzugcstalten, so dürfte
ein Ganzes daraus hervorgehen, welchem eiue Ehrenstelle unter
den gelungensten Schöpfungen der modernen monumentaleu Ma-
lerei gebühren müßte. Da der Entwurf in allen übrigen
Theilen die Hand eineS Meisters verräth, von dem man nach
der angedeuteten Seite hin jede wünschenswerthe Veränderung
mit voller Zuverstcht erwarten darf, so gereicht es uns zu
hoher Befriedigung, dcr Deutschen Goethe-Stiftuug diese Arbeit
als eine des Ehrenpreises durchaus würdige cinstimmig be-
zeichnen zu können.

Wir sügen hinzu, daß wir es in hohem Grade für wün-
schmswerth halten, diesen Entwurf wirklich ausgeführt zu sehen,
und hoffen wir, daß sich in unserm kunstliebeuden Vaterlande
die Mittel zur Berwirklichung eines so schönen Planes be-
schaffen lassen werden. Aber nicht minder drängt es uns,
auszusprechen, daß das Ergebniß der Konkurrenz, wmn auch
dem äußern Umfang nach bescheideu, doch dem innern Werthe
nach als ein schönes Zeichen des vielseitigen künstlerischen
Lebens im Vaterlande mit freudiger Anerkenuung zu begrüßeu
ist, da alle drei Arbeiten, von so verschiedenartiger Grund-
anschauung sie ausgehen, doch jede in ihrer Besbnderheit von
ernstsm Streben, tüchtigem Talent und achtungswerthem Könneu
Zeugniß ablegen."

Auf Grund dieses Gutachtens beschloß die General-
versannnlung einstimmig die Zuerkennung des ausgesetzten
Preises von eintausend Thalern an den Verfasser des
Entwurfes No. III. Bei Eröffnung des versiegelten
Couverts ergab sich der Name:

Prof. Hermann Wislicenus in Düsseldorf.

Korrespondenz.

Bcrlin, Ende August.

L.. DieSachse'sche Kunsthandlung hat seiteiniger
Zeit den künstlerischen Nachlaß von I. W. Schirmer
(KarlSruhe) zum Verkanfs ausgestellt. Es ist zn be-
dauern, daß diese Ausstellung in eine Zeit fallt, welche
ein großer Theil der Künstler und Kunstliebhaber auf
Reisen und in Sommerfrischen zubringt, so angenehm auch
diese Unterbrechung der Lnisoll mortö für die wenigen Zn-
rückgebliebenen ist. Da meines Wissens bis jetzt noch
Niemand in diesen Blättern des Schirmer'schen Nachlasses
gedacht hat, so will ich möglichst kurz seineu Umfang zu
schildern suchen. Die Stofswelt, welcher die Schirmer'sche
Landschaft angehört, läßt sich im Wesentlichen auf zwei
Momente zurückführen: auf die formenreichen Gründe der
italienischen Natur und den mannichfaltigen Neiz des
deutschen Waldes. Die Gegensätze spielen so sehr in
einander, daß die Bilder der einen Gattung auch an den
Eigenschaften und Darstellungsmitteln der andern Antheil
haben. Darin beruht z. B. der große, unübertroffene
Zauber der Schirmer'schen Stillandschaft, daß sie uns
nicht nur Linien giebt in rnhiger, klarer Durchschnitts-
beleuchtung, wie die s. g. heroische Landschaft, welche durch
die strenge Wiederholung ihrer Mittel nur zn leicht den
Eindrnck der langen Weile in uns hervorruft; das wechsel-
volle Spiel von Schatten und Licht, von Nebel und
Sonnenklarheit, die'Wirkung der Reflexlichter, vor allein
aber die reiche Fülle der Pflanzennatur, mit liebevoll ein-
dringendem Studimn in ihrer vollen Jndividualität wie-
 
Annotationen