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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Springer, Jaro: Rembrandts Hundertguldenblatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0018

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 2. 19. Oktober

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

REMBRANDTS HUNDERTOULDENBLATT

Für das Hundertguldenblatt gilt bislang nur eine
Erklärung des Inhaltes, die fünf verschiedene Szenen
in einer Darstellung zusammengefaßt aufführt: die
Heilung der Kranken, die Berufung der Kinder, die
Zurechtweisung der Apostel, die Ermahnung des
reichen Jünglings, die eifernden Pharisäer. Die Er-
zählung dieser fünf Vorkommnisse findet sich im
19. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Auf dieses
Kapitel als wahrscheinliche Quelle Rembrandts hat
zuerst A. Jordan, nach Dr. A. Sträters Tod der fein-
sinnigste Kenner der Retnbrandtschen Radierungen in
Deutschland, hingewiesen (Repertorium 1893, 300).
Unabhängig von A. Jordan hat Max Schmid die
gleiche Erklärung für das Hundertguldenblatt gegeben
(Kunstchronik vom 3. Januar 1895). Seitdem ist diese
Auffassung allgemein angenommen worden: W. von
Seidlitz, Krit. Verz. d. Rad. Rembrandts X und 66,
C. Neumann, Rembrandt 376. Christus wird danach
nicht mehr zu den Kranken in nächste Beziehung ge-
setzt, sondern zu den Frauen, die die Kinder bringen.
Es wird also unbekümmert um den jahrhundertalten
Titel des Blattes: »Christus heilt die Kranken« das
Hundertguldenblatt jetzt im Hauptgegenstand für eine
Illustration zu den Schriftworten »lasset die Kindlein
zu mir kommen und wehret ihnen nicht« ge-
halten, wodurch der Teil der Darstellung, der früher
den Namen gab, nebensächlich wird. Diese Meinung
findet wesentlich Unterstützung in einem Gedicht,
das ein Landsmann und Zeitgenosse Rembrandts,
der Dichter H. F. Waterloos, auf ein Exemplar des
Hundertguldenblattes (Pariser Bibliothek) geschrieben
hat. Das Gedicht, zum erstenmal von W. Bode
veröffentlicht (Rembrandt VIII, 270), hat folgenden
Wortlaut:

Hier hellept Jezus handt den zieken. En de kind'ren
(Dat's Godtheyt!) zaalicht hij: En straffte die'r verhind'ren
Maar (ach!) den Jong'ling treurt. De schriftgeleerden

smaalen

't Qelooff der heiligen, en Christi godtheits straalen.

Dieses Gedicht hält sich genau an das 19. Kapitel
des Matthäus (die Verse 2, 14, 13, 22, 3—12). Trotz-
dem habe ich gegen diese Erklärung des Hundert-
guldenblattes starke Bedenken. Als authentische Inter-
pretation kann das Gedicht nicht gelten. Dichter sind

zu allen Zeiten bereitwillig gewesen, bei poetischen
Beschreibungen von Kunstwerken aus Eigenem zu-
zusetzen. Waterloos kannte wohl die Bibel besser,
als Rembrandts Kunst.

Ich glaube also nicht, daß Rembrandt im Hundert-
guldenblatt das 19. Kapitel des Matthäus illustriert.
Es bleibt trotz allem dabei, daß den wesentlichen
Inhalt der Radierung die Heilung der Kranken aus-
macht. Die aber ist in dem Kapitel nur ganz bei-
läufig im zweiten Vers erwähnt: und es folgte ihm
viel Volks nach, und er heilete sie daselbst. Ich
glaube auch nicht, daß die mittlere Gruppe Christus
und die Frau mit dem Kind auf dem Arm die Dar-
stellung des Wortes »Lasset die Kindlein« ist. Der
Mann hinter der Frau, gewöhnlich als Petrus be-
zeichnet, wird falsch gedeutet. Seine rechte Hand,
die allein sichtbar wird, ist nicht auf das Kind ge-
legt, aber sie macht auch nicht die Bewegung des
Abwehrens und Zurückweisens. Auch der Gesichts-
ausdruck des Petrus, wie der anderen Apostel stimmt
nicht zu der behaupteten Situation. Sie schauen alle
in gläubiger Begeisterung zum Herrn, keiner, Petrus
am wenigsten, ist der gescholtene Jünger, dem das
Wehren verboten wurde. Petrus linker Arm ist auch
vorgenommen, die rechte Hand liegt auf der linken
Hand auf, von der neben dem Köpfchen des Kindes
ein Stück des Handrückens sichtbar wird. Es ist
keine ganz einfache Art der Handstellung, ich möchte
sie den eckigen Gesten beizählen, die Rembrandt
seinen jüdischen Modellen entnommen hat. Nicht
also das Rufen und Segnen der Kinder wird ge-
zeigt, es sind kranke Kinder, die zu Jesus gebracht
werden. Den vom Rücken gesehenen Mann im
Vordergrund links neben dem Hund für den reichen
Jüngling zu halten, der seine Schätze nicht opfern
will, das scheint mir eine sehr gezwungene Er-
klärung. Das ist eine einfache Füllfigur des Vorder-
grundes, die schon durch ihre gelassene Gleichgültig-
keit zeigt, daß sie außer Zusammenhang mit dem
Vorgang steht. Es heißt Matth. 19, 22: da der
Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von ihm.
Das ist nicht dieser dicke Zuschauer mit Hut und
Stock. Für die gläubigen Apostel und die eifernden
Pharisäer im Hintergrund nach einem besonderen
Textwort zu suchen, ist unnötig, weil sich dieser
Chor in allen biblischen Berichten über die Wunder
und Taten Christi findet.
 
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