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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0138

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 17. 1. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sandungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF

Bekanntlich darf sich die Patrie des arts rühmen,
das elendeste aller erdenklichen Museumsgebäude in
Gestalt des Luxembourg zu besitzen. Vor einem
Menschenalter wurde die moderne Kunst provisorisch
in dem ehemaligen Gewächshause des Luxembourg-
schlosses untergebracht, und da die Franzosen sagen:
rien ne dure comme le provisoire, ist sie, um dieses
Sprüchlein wahr zu machen, bis heute darin ver-
blieben, und bisher schien es, als ob sie bis in alle
Ewigkeit hinein darin verbleiben müsse. Denn die
Herren Gesetzgeber finden zwar die Mittel, um ihre
eigenen Einkünfte zu erhöhen, wie sie sich denn vor
wenigen Monaten eine jährliche Gehaltserhöhung
votiert haben, die über sechs Millionen ausmacht,
aber zu einem Museumsbau hat es in Frankreich nie-
mals Staatsmittel gegeben. Alle die dreißig oder
vierzig Museen, die es in Paris gibt, sind nicht vom
Staate oder nicht zu Museumszwecken errichtet wor-
den, und es wäre der Bruch eines alten geheiligten
Brauches gewesen, hätte man zugunsten der modernen
Kunst aus dem Staatssäckel ein Museum aufgeführt.
Der in seinen kümmerlichen Räumen verzweifelnde
Direktor des modernen Museums zerbrach sich den
Kopf, um einen Ausweg zu finden. Einmal glaubte
er ihn gefunden zu haben: er wollte das nötige Bau-
geld durch eine Lotterie aufbringen, und den Bau-
platz wollte man dem Parke des Luxembourg-Schlosses
abgewinnen. Der Plan scheiterte an der Tugend-
haftigkeit der Gesetzgeber, die von einer unsittlichen
Lotterie nichts wissen wollten.

Betrübt gab der Direktor die Hoffnung auf, aber
der Gang der Ereignisse hat ihm schließlich doch
das Ersehnte gebracht. Zwar ist es nichts mit einem
besonderen Museumsbau. Solche Dinge gibt es eben
nicht in Paris, aber man räumt ihm doch ein Gebäude
ein, das ungefähr den zehnfachen im Luxembourger
Gewächshause zur Verfügung stehenden Raum bietet.
Dieses schon nicht mehr erhoffte Glück verdankt die
moderne Kunst dem Kampfe zwischen Kirche und
Staat, durch welchen das vornehmste französische
Priesterseminar freigeworden ist. Die modernen Künst-
ler können sich also bei Pius X. bedanken, der der
französischen Geistlichkeit die Unterwerfung unter
das Kirchengesetz verbot und damit die Räumung
zahlreicher von der Geistlichkeit bewohnten und be-

nutzten Gebäude bewirkte. Zu diesen freigewordenen
Gebäuden gehört auch das dem heiligen Sulpicius
geweihte große Priesterseminar, dessen Rückmauer
dem Eingange des Luxembourgmusetims gerade gegen-
überliegt, also daß der Baedeker kaum eine Änderung
in seinen Anweisungen zu machen braucht, wenn der
Umzug bewerkstelligt ist. Das ehemalige Seminar ist
jetzt der modernen Kunst übergeben worden, und
diese wird sich darin gehörig ausbreiten können. Die
Fassade des künftigen Museums ist der Place St.
Sulpice zugekehrt, und auf dieser Seite wie rechts
vom Eintretenden sind die Gebäude von Garten-
anlagen umgeben. Die Bauten bilden ein Quadrat,
das einen großen Hof einschließt. Nachdem man
diesen Hof mit einem Glasdache gedeckt hat, wird
man darin weit mehr Skulpturen aufstellen können,
als jetzt im Luxembourg, im Hofe und im Garten
stehen, und das ist noch nicht alles, denn auch die
Kapelle des Seminars soll der Plastik übergeben
werden. Außer diesen beiden wird das neue Museum
noch einen großen Saal enthalten, worin die Semi-
naristen die Vorträge ihrer Lehrer anzuhören pflegten.
In der Hauptsache besteht der Bau aus den drei-
stöckigen Wohnungen der Priester und der Zöglinge,
die sich rund um den Hof herziehen. Hier sollen
die Decken und Fußböden, sowie das Dach entfernt
und die Fenster und Türen vermauert werden. Nach-
dem man dann durch ein Glasdach für das nötige
Licht gesorgt hat, wird man vier hohe und lange
Galerien besitzen, deren jede größer ist als das ganze
Gewächshaus, das bisher die moderne Kunst beher-
bergt. So viel Raum bietet das Seminar, daß man
auch dem Direktor und seinen Beamten anständige
Zimmer zur Verfügung stellen kann, und es soll so-
gar ein kleines Restaurant eingerichtet werden, was
den fremden Besuchern gewiß sehr angenehm wäre.
Da die Kosten der Einrichtung nicht mehr als
620000 Franken betragen sollen, also den zehnten
Teil der Summe, den sich die Gesetzgeber dieser
Tage als jährliche Mehreinnahme zugesprochen haben,
darf man zuversichtlich erwarten, daß diesmal Ernst
gemacht und Paris bald ein anständiges modernes
Museum besitzen wird.

Ich glaube nicht, daß man jenseits der Vogesen
von den französischen Museen und ihren Leitern sehr
viel lernen kann. Die in Deutschland nach allen
Seiten beleuchtete und untersuchte Frage des Museums-
 
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