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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sievers, J.: Berliner Brief, [2]
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 22. 19. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

BERLINER BRIEF

Februar und März brachten uns die gewohnte über-
große Zahl von Ausstellungen, darunter im Februar
einige Darbietungen von hohem Interesse, wohingegen
im März durchweg ein »Abflauen« festzustellen war.
Fraglos das Bedeutendste war die von Keller & Reiner
veranstaltete Klitnt-Ausstellung. Von einigen kleineren
Arbeiten wie den köstlichen Entwürfen für die Zwickel-
bilder im Wiener kunsthistorischen Hofmuseum abge-
sehen, galt sie den drei vielbesprochenen, heißum-
kämpften Deckenbildern, die einstmals für die Aula der
Universität Wien bestimmt waren. Die einzelnen Werke
sollen die »Medizin«, »Philosophie« und »Jurisprudenz«
versinnbildlichen. Hat man pflichtgemäß, aber nicht
ohne Mühe festgestellt, welches dieser Themen der
Künstler in dem betreffenden Gemälde behandelt hat, so
kümmert man sich nicht mehr viel darum, was nun dies
oder jenes sagen und bedeuten soll und holt sich
hoffentlich auch aus den etwas reichlich gebotenen
literarischen Wegweisern keinen Rat über die Bedeutung
der Symbole. Denn wenn man überhaupt in ein Ver-
hältnis zu diesen gewiß fremdartigen Werken tritt,
so gerät man schnell in ihren Bann als farbige
Schöpfungen, man empfindet sie nur als einen Farben-
rausch, eine Verflüchtigung und Auflösung der Farbe
zu zarten Wolken. Dies gilt wenigstens für die Bilder,
die man »Medizin« und »Philosophie« nennt, während
die »Jurisprudenz« eine stärkere Stilisierung von Form
und Farbe, ein härteres Aneinandersetzen von um-
grenzten Farbflächen bringt. An dem seltsamen Fluten
der Körper auf den beiden ersten Gemälden, diesem
von aller herkömmlichen Komposition Losgelösten,
mag die Wiener Feme nicht zum wenigsten Anstoß
genommen haben: andere Menschen führen in Ver-
bindung mit der Farbe gerade hierauf die eigenartige,
fast visionäre Wirkung der Bilder zurück. Und auf
die Farbe läuft doch schließlich alles hinaus, mag
nun der eine die Schönheit, den tiefen Ernst einer
Gestalt, eines Kopfes betonen, mag ein anderer diese
oder jene merkwürdige, gezwungene Stellung rügen:
es tritt zurück, geht auf, in einem unbeschreiblichen
Farbentraum. — Eine Beurteilung von anderem Stand-
punkt aus verlangt die »Jurisprudenz«. In den drei
Frauengestalten, die den armen Sünder umgeben, ist
ein Ton starrer Stilisierung angeschlagen, ihre eckig-
gebundenen Stellungen haben mit der weichen Be-

wegungsflut auf den vorgenannten Bildern nichts ge-
mein. Dem folgt auch, wie bemerkt, die farbige Be-
handlung, die auf jenes restlose Aufgehen in die Ge-
samterscheinung verzichtet. — Ohne die leidige Wiener
Kampffrage näher zu berühren, scheint mir doch so
viel sicher zu sein, daß diese Bilder, die doch gewiß
zum Eigenartigsten und Bedeutendsten der modernen
Kunst gehören, für den ihnen ursprünglich zugedachten
Platz hoch oben an der Decke der Universitätsaula, in
Gesellschaft einer Reihe biederster Akademieallegorien

— zu schade gewesen wären. Ganz abgesehen von
dieser der offiziellen Dekorationsmalerei so welten-
fernen Kunst, hat auch der Meister der physischen
Fassungskraft des Auges keine Rechnung getragen.
Wenn man auf der »Jurisprudenz« zu Füßen der
Justitia — wie jetzt etwa zwei Meter davon entfernt

— nur mit Mühe eine Anzahl ungefähr handgroßer
Männerköpfe erkennt und feststellt, daß jeder einzelne
ein Meisterwerk, erfüllt von reichstem Leben, darstellt,
so fragt man sich staunend, was man erst hätte sehen
können, wenn man von den Bildern zwanzig statt
zwei Meter entfernt gewesen wäre? Was hätte man
auf den beiden anderen Werken von den Köpfen
und Gebilden gesehen, die sich Nebelwesen gleich
aus dem Farbenregen herauslösen? Ein Raum, in den
diese Schöpfungen nicht nur hineinpassen, sondern
auch in ihren Tiefen genossen werden könnten, müßte
erst für sie gebaut werden. Vielleicht tun das die
Wiener?

Einen stärkeren Gegensatz zu Klimt als ihn die
Persönlichkeit Sorolla-Bastidas bietet, von dem bei
Schulte eine umfangreiche Kollektion zu sehen war,
kann man sich schwer denken. Auch der Spanier
ist ein Meister der Farbe, aber einer ungebrochenen
Farbe von frappierender Gesundheit, von einer manch-
mal fast grellen Leuchtkraft, wie sie wohl nur unter
südlichem Himmel denkbar ist. Der Künstler ist viel-
seitig begabt, man schwankt, ob man in ihm den
Landschafter oder den Porträtisten höher stellen soll.
Seine Bildnisse fesseln stark, in erster Linie sein
eigenes, das einen feinen charakteristischen Kopf von
scharfem Ausdruck zeigt. Dann »Joaquin«, wohl der
Sohn des Künstlers, ein prächtiger, stolzer Junge, in
graugrünem Sammetanzug gegen dunkelblauen Hinter-
grund in einer ungemein zwanglosen, echt »jungen-
haften« Haltung. Dieses Lockere, Ungestellte ist sicher
ein Hauptvorzug seiner Porträts. In der Beziehung
 
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