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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Michel, W.: Die Winterausstellung der Münchener Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0125

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Die Winterausstellung der Münchener Sezession

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man ihn z. B. vor der denkbar einfachen von Messel für
das »Deutsche Theater« geschaffenen Fassade empfängt.
Praktischen Bedürfnissen kommt das Innere mit breiten
Gängen und dem amphitheatralisch angeordneten Zu-
schauerraum, unter Vermeidung von Rängen (es ist nur
an der Rückwand ein Balkon vorhanden) sicherlich in bester
Weise entgegen. Anders stellt sich die Frage nach der
künstlerischen Lösung der Aufgabe. Die seitlichen Ab-
schlußmauern des Zuschauerraumes sind (da es eben Ränge
nicht gibt) durch freistehende Pfeiler gegliedert, deren
Entfernung von der Wand sich nach der Bühne zu ver-
größert. Zwischen Wand und Pfeiler sind Gitter einge-
setzt. Der Bühne mit zwei Proszeniumstoren ist ein ge-
schickt durch Treppenbauten überdeckter Orchesterraum
vorgelegt, die Saalrückwand trägt, wie bemerkt, ohne Stützen-
verwendung einen Balkon mit vorgerundeten Enden. Die
einfachen durch die Treppenform des Zuschauerraumes
gegebenen Grundlinien sind bei der Gestaltung des Ge-
samtraumes nicht maßgebend geblieben, und eine gewisse
Direktionslosigkeit der einzelnen Teile läßt den Grundein-
druck jeder guten architektonischen Leistung, nämlich den
der zwingenden Notwendigkeit, nicht aufkommen. So ist
z. B. die Kassettendecke, deren Fächer sich nach der Bühne
zu verengern und Trapezform annehmen und deren Balken,
der natürlichen Lage widersprechend, sich überdies in der
Fläche krümmen, gänzlich mißlungen. Wenn der Raum
trotzdem einen stimmungsvollen Eindruck hinterläßt, so ist
das auf Rechnung einer diskreten aber zielbewußt auf ein
durchgehendes zartes Grün gestimmten Ausmalung zu
setzen, deren Ton der Hauptvorhang aufnimmt. Diese
malerische Ausschmückung stammt von dem auch in Leipzig
durch seine Arbeiten im Saale des Rathauses bekannten
Münchener Künstler Julius Mössel. Die Wandfelder zwischen
den Pfeilern der Seitenwände zeigen auf geriffeltem Ver-
putz (wodurch die Farbfläche in einiger Entfernung einen
belebten, stoffartigen Charakter annimmt) lichte grüne
Flächen mit weißem Ornament, umrahmt von einer schmalen,
orange und schwarz gemusterten Bordüre. Der gleichfalls
von Mössel entworfene und in Applikationstechnik ausge-
führte Hauptvorhang hat den gleichen grünen Grund, der
in feinem Kontrast zu drei senkrechten Streifen mit ruhigen
Mustern in schwarz und orange steht. Weißgraue hän-
gende Körbe beleben die grünen Mittelfelder. Ein Zwischen-
aktsvorhang mit vorherrschendem kräftigen Gelb wirkt nicht
minder festlich. An die oben charakterisierte Decke hat
Mössel mit einer Kassettendekoration in schwarz-weiß, ab-
wechselnd Kränze und menschliche Figuren, in bewegten,
flottgezeichneten Stellungen, viel Mühe verschwendet. Um
so mehr als durch die neue Art der Beleuchtung — eine
einzige Lampenreihe über dem rückwärtigen Balkon, sonst
nichts — nur die hintersten Felder der Decke beleuchtet
werden und somit zu sehen sind. Man rühmt dieser neuen
Beleuchtungsform nach, daß sie das Interesse des Publi-
kums von den umgebenden Personen auf die Bühne ab-
lenke. Da es sich dabei doch nur um die Zwischenakte
usw. handeln kann, scheint mir diese Maßregel übertrieben.
Jedenfalls wird man beim Betreten des Zuschauerraumes,
falls man nicht in den allerletzten Reihen unter dem Bal-
kon sitzt, von den grellen Lichtquellen geblendet, während
der größte Teil des Hauses, und somit auch der Decke,
im Schatten liegt. Es dürfte wohl auch ohne einen Kron-
leuchter eine bessere Lösung dieser Beleuchtungsfrage zu
finden sein. Der Wunsch nach einem ruhig festlich be-
leuchteten Theaterraum ist doch schließlich gewiß nicht
unberechtigt. j. SIEVERS.

DIE WINTERAUSSTELLUNG DER MÜNCHENER
SEZESSION

Es ist dieses Jahr das zweitenial, daß die Sezession
ihre Pforten auch zur Winterszeit öffnet. Die lebhafte An-
teilnahme des Publikums gewährleistet dieser nützlichen
Einrichtung, die zur Belebung des allzusehr vom sommer-
lichen Fremdenstrom abhängigen Münchner Kunstlebens
Wesentliches beiträgt, in jeder Hinsicht Erfolg und Dauer.
Die Winterausstellungen bringen Kollektionen, die über
das Gesamtschaffen und die Entwickelung der Künstler
unterrichten, und die sommerlichen Massenausstellungen
skizzieren die allgemeine Situation, in der sich die deutsche
Kunst jeweils befindet. So ist eine Arbeitsteilung erreicht,
die nicht ohne Einfluß auf die Erweiterung und Vertiefung
des Kunstverständnisses bleiben kann.

Fritz von Uhde, Rudolf Schramm-ZiiisM und Adolf
Holzel teilen sich diesmal in die Räume der Sezession, drei
sehr verschiedene Künstlernaturen, die sich wechselseitig
in erhöhtes Licht setzen, wenn auch Uhde aus diesem zu-
fälligen, lokalen Wettstreit zweifellos als die bedeutendste
Persönlichkeit hervorgeht.

Uhdes Kollektion umspannt einen Zeitraum von bei-
nahe dreißig Jahren (1879—1906). Er beginnt als kolori-
stischer Romantiker und entstammt jener älteren Schule
von Münchener Farbenidealisten, die in namhaften Vertretern
noch heute fortlebt. Diese Malerei steht der Zeichnung,
der Graphik näher als der eigentlichen Öltechnik. Uhdes
altdeutscher Reiter (1879) wirkt mehr als kolorierte Zeich-
nung denn als farbig gesehenes Gemälde, und auch der
viel reifere koloristische Reiz seiner »Fischerkinder von
Zandvoort (1882) ist letzten Grundes graphischer Natur.
Diese Fischerkinder sind in Wahrheit ein entzückendes
Farbengedicht, von unnachahmlicher Noblesse der Gesamt-
wirkung und so kräftig-zart wie eine moderne französische
Farbenradierung oder einer der edelsten japanischen Farben-
holzschnitte. In dieser Zeit aber ergeht an den Künstler
der Ruf der Natur und führt ihn für immer aus den künst-
lichen Paradiesen seiner Anfänge fort. Sechs Jahre nach
den »Fischerkindern«: malt er das Bildnis eines Bauern-
mädchens im Garten, und zwischen beiden Bildern liegt
eine ebenso reiche als glückliche Entwickelung. Jetzt hat
er sich ganz der Natur überantwortet und baut aus dem,
was sie seinen treuen, liebevoll empfänglichen Sinnen dar-
bietet, eine stillere, reichere und größere Schönheit auf.
An Stelle der reizenden, delikaten Farbenepigramme seiner
Anfänge treten nun zusammenhängende, epische Strophen
eines Weltgedichtes. Der pantheistische Grundgedanke
des Naturalismus tritt in seine Schöpfungen ein und ver-
leiht ihnen einen keuschen, verschwiegenen Adel. Deut-
lich und klar hatten die holden Farbenwunder seiner Früh-
zeit von der Schönheit seiner Empfindung, von seiner
Sehnsucht nach Wohllaut gesprochen. Nun wird diese
Sprache stumm und mimisch, verliert ihre überklare Arti-
kulation und kann nur noch von ganz gereiften, tüchtigen
Sinnen erfaßt und verstanden werden. Die Farbe verliert
ihre usurpierte Oberhoheit und wird zur demütigen Dienerin.
Und es ist vor allem die stumme und doch so reiche
Sprache des Raumes, der räumlichen Eindrücke, zu deren
Dolmetsch sie sich macht. Uhde gibt in dem Bildnis eines
Bauernmädchens und in anderen Schöpfungen des glück-
lichen Jahres 1888 (Schulgarten, Mädchen auf dem Stoppel-
felde, Biergarten in Dachau) die räumlichen Eindrücke mit
einer solchen Präzision wieder, daß sie die Gesamtwirkung
dieser Bilder ganz und gar beherrschen. In den neunziger
Jahren wird Uhde dann von der trüben stilistischen Woge
ergriffen, die als Rückschlag auf die Sturmflut des Natura-
lismus jahrelang die Gefilde der deutschen Kunst über-
 
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