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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Wustmann, Gustav: Zu der zeitgenössischen Notiz über Dürer
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Heidrich, Ernst: Eine deutsche Kopie vom Jahre 1518 nach Michelangelos Pietà
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0211

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Eine deutsche Kopie vom Jahre

1518 nach Michelangelos Pietä

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zeit alle urteilsfähigen Leute befriedigte; aber [pflegte
er zu sagen], sich selbst habe er mit allem, was er
geleistet, wenn er es mit der Schönheit des in seinem
Geiste vorher gefaßten o^stuttov vergleiche, niemals
genug getan. Was ich hier schreibe, habe ich mit
vielen andern wackern und gelehrten Männern ihn
selbst sagen hören. Wir haben es erlebt, daß der-
selbe Dürer Skizzen für Bildhauer hinzeichnete, die er
dann, mit dem Pinsel ausgerüstet, [an Größe und
Schönheit] kaum erreichte. Nicht selten ist eben das,
was uns im Geiste vorschwebt, zu groß, als daß es
eine sterbliche Hand den Menschen auch würdig vor
Augen führen könnte.«

Leipzig. GUSTAV WUSTMANN.

EINE DEUTSCHE KOPIE VOM JAHRE 1518
NACH MICHELANGELOS PIETÄ

Von Ernst Heidrich1)

Ein reiches und wertvolles Material zur Geschichte
der deutschen Plastik ist der Forschung soeben in
sorgfältiger Bearbeitung erschlossen worden in einer
Studie von Hans Börger über »Grabdenkmäler im
Maingebiet vom Anfang des 14. Jahrhunderts bis zum
Eintritt der Renaissance« (Leipzig, Karl W. Hierse-
mann, 1907). Der Verfasser betont mit Recht die
»grundlegende Bedeutung« dieser chronologisch ge-
nau zu bestimmenden Folge von Denkmälern für die
Datierung anderer Skulpturen, und es handelt sich
denn auch für ihn an erster Stelle darum, mit Hilfe
jener Werke exaktere Bestimmungen für die formale
Entwickelung der deutschen Plastik überhaupt, insbe-
sondere ihres Gewandstils, zu gewinnen. Ohne hier-
auf des näheren einzugehen, mag eins der Denkmäler
einmal von anderen Gesichtspunkten aus, als der Ver-
fasser sie gewählt hat, betrachtet werden. Es ergeben
sich daraus mancherlei Aufschlüsse für das innere
Verhältnis der deutschen Kunst um 1520 zu der
gleichzeitigen italienischen Plastik.

Die eine der wohlgelungenen Abbildungen des
Buches (Tafel 26) stellt das Epitaph des Kanonikus
Johann von Hatstein im Kreuzgang des Mainzer Doms
dar. Das auf der Inschrifttafel angegebene Todes-
datum 1518 gibt zugleich den Anhalt für die Da-
tierung des Werkes, mit der man sicher nicht viel
über das Jahr 1518 wird hinausgehen wollen. Es
ist ein Steinrelief mit einem Rahmen in zierlichen
Renaissanceformen: Pilaster mit feiner dünner Ranken-
füllung, darüber das Gebälk, das jedoch nicht in der
Horizontale durchgeführt ist, sondern in scharfem
Bruch auf einmal Bogenform annimmt. In dem so
entstehenden nischenartigen Halbrund als Füllung
eine Muschel, worüber dann noch ein Flachgiebel
sich aufbaut, mit kleinen stehenden Engeln zu beiden
Seiten. Daß dieser ganze Aufbau im Sinne einer

1) Die Redaktion benutzt diese Gelegenheit, um zu
vermerken, daß dies der Name des Verfassers des in der
letzten Literaturnummer besprochenen Buches »Lanzen,
Stangen und Fahnen als Hilfsmittel der Komposition in
den graphischen Frühwerken des Albrecht Dürer« ist, nicht
wie dort stand: Hedrich.

strengeren Gesetzmäßigkeit durchaus unarchitektonisch
empfunden ist, ist klar, und es verdient hierzu noch
der Erwähnung, wie innerhalb dieser Rahmenarchi-
tektur für die Figuren noch eine besondere Grund-
fläche geschaffen ist, wie ein Stück Papier — der
deutlichste Beweis für die spielend-dekorative Ver-
wendung der Architekturglieder.

Das ziemlich hohe Relief zeigt in der Mitte Maria,
den Leichnam Christi haltend, links davon Johannes
stehend und in kleiner Figur vor ihm den Ver-
storbenen knieend, rechts die heilige Magdalena, eben-
falls stehend. Die Mittelgruppe ist nun eine trotz
vielfacher Abweichungen unverkennbare Kopie nach
Michelangelos Pietä. Es ist kaum nötig, den Beweis
hierfür im einzelnen durchzuführen — man beachte
auch, wie mit der Wiederholung der Komposition im
ganzen sich die Übereinstimmung in charakteristischen
Details verbindet, so etwa in den Gewandmotiven
unterhalb des Christuskörpers, wo die Nachahmung
des Vorbildes deutlich zu erkennen ist. Wichtiger
aber als die Gemeinsamkeiten sind die Änderungen,
die dem deutschen Künstler sich von selbst ergaben,
indem er das italienische Werk in einer für ihn un-
mittelbar verständlichen, zu Herzen gehenden Sprache
reden lassen wollte. Es ist keine Kopie im Sinne
der möglichst wortgetreuen Wiederholung, sondern
die Übertragung einer fremden Idee in die eigene
Sprache. Die Änderungen der künstlerischen Er-
scheinung geben daher in einer beinahe handgreif-
lichen Form des Beweises den Gradmesser für die
innere Divergenz der deutschen und der italienischen
Kunst in demjenigen Augenblick, wo Deutschland —
gleichviel, ob nur durch einen Zufall oder nicht viel-
mehr durch eine höhere historische Notwendigkeit —
immer entschiedener in italienische Bahnen einzulenken
beginnt.

Man mag mit dem scheinbar Äußerlichsten be-
ginnen, der Tracht der Maria. Bei der Madonna
Michelangelos ein Kopftuch leicht und lose über das
Haar gelegt, in lebendiger Silhouette der Form und
Neigung des Hauptes sich anschmiegend — bei dem
Deutschen eine schwere Umhüllung, ein Erstarren im
Umriß, gebunden, fast nonnenhaft der Eindruck. Und
damit verschieben sich nun alle Proportionen in der
Gesamterscheinung der Maria: der Körper wird win-
ziger, die Schultern schmaler, und im Unterkörper
gar ist alle Übereinstimmung der Maße, die es mög-
lich macht, den Körper bis zum Kopfe hin in einem
zu empfinden, verloren gegangen. Von einer »Ge-
stalt« der Maria ist überhaupt nicht mehr zu reden
in dem Sinne, daß sie aufgenommen wäre in den
lebendigen künstlerischen Eindruck. Das Problem,
den Christuskörper einzubetten, ihn tragen zu lassen
von der sitzenden Gestalt der Madonna, existiert für
diesen Künstler nicht. So deutlich die Linienführung
gerade in dem Gewand der Maria unterhalb des
Christusleichnams an die michelangelesken Motive an-
schließt, so sehr ermangelt gerade dieser Teil jeder
Anschauung des Körpers, und es ist bezeichnend, wie
jener große zwischen den Knieen herabhängende
Faltenzug nunmehr so verändert ist, daß gerade das
 
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