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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Römischer Brief, [2]: die Kunstausstellungen
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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0248

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Londoner Brief

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ist der junge Dazzi aus Carrara, welcher eine große
Bronzegruppe von drei Arbeitern ausstellt, die einen
schweren Eisenbalken heben. Sehr individuell die
Porträtbüsten von Prini, ein Torso von Fontana und
überhaupt interessante Skulpturen von Niccolini, Scior-
tino, Parisi, Cataldi, Cambellotti. Eine Enttäuschung
war die Sonderausstellung der Werke des vor kurzem
verstorbenen Malers Teofilo Patini. Man rechnete
darauf, Bilder zu sehen von einem etwas derben
Naturalismus, in der Schilderung armer Landleute,
wie l'Erede und Vanga e latte der römischen National-
galerie für moderne Kunst und mußte sich mit oleo-
graphisch aussehenden sehr schwachen Leistungen
abfinden. Von Spaniern hatten Jose Benlliurc, Ba-
carisas, Echem, Estevan, Hermenegildo und Ortiz
Echagiie ausgestellt, von den Deutschen: Max Roeder,
Otthmar Brioschi, Benes Knüpfer, Frida Menshausen-
Labriola. Aber die deutschen Künstler hatten selbst
in ihrem Verein eine kleine Ausstellung eingerichtet
mit interessanten Werken von Sohn-Rethel, Lepinski,
Volkmann, Menshausen und anderen. Den Zeich-
nungen und Bildern des vor kurzem verstorbenen
Landschafters Zielke war pietätvoll ein ganzer Raum
gewidmet. An der kleinen slavischen Ausstellung,
welche vom russischen Leseverein im alten Canova-
atelier veranstaltet worden ist, haben sich fast nur
fleißige Dilettanten beteiligt, unter welchen die kräftigen
Malereien Alexeiews besonders zum Ausdruck kamen.

FED. H.

LONDONER BRIEF.

Das wichtigste zu registrierende Ereignis der letzten
Monate bildet jedenfalls die Umhängung einer erheb-
lichen Anzahl von Bildern in der »National Gallery«
in Trafalgar Square, Neubenennungen, bessere Klassi-
fizierungen, so unter anderen strenge Scheidung der
holländischen und flämischen Schule und endlich die
Vorbereitungen für die Herstellung eines zuverlässige-
ren Kataloges. Der neue Direktor, Sir Charles Hol-
royd, geht in diesen Angelegenheiten mit besonnener,
aber rücksichtsloser Energie vor und läßt minderwer-
tige Werke überhaupt ganz ausscheiden. Ferner hat
derselbe die grundsätzliche Zustimmung der staatlichen
Behörden für den Erweiterungsbau des Instituts erlangt,
der im Norden, der Hinterseite des Museums, zur
Ausführung kommt. So weit es sich um alte Meister
fremder Schulen handelte, war der Katalog zweifellos
immer mehr seit etwa einem Jahrzehnt zurückgegangen.
So, um nur ein Beispiel zu nennen, war das 1894
erworbene und »Die Taufe des Herrn« betitelte Ge-
mälde (1431) als ein Werk Peruginos bezeichnet, ob-
gleich es doch tatsächlich eine Kopie und nicht ein-
mal eine alte nach der Predella in Rouen darstellt.
Weder Farbe noch Form, noch die Spezialtechnik des
italienischen Meisters finden sich in dem hiesigen
Bilde vor, ganz abgesehen davon, daß die zerstreuten
Originalteile des Altarblattes nachweisbar in Lyon,
Perugia, Paris und Rouen vorhanden sind. Nachdem
Sir Edward Poynter, der frühere Direktor, seinen Irr-
tum eingesehen, will er — indessen auch zu Unrecht

- nunmehr das gedachte Gemälde als ein Jugend-
werk Raphaels anerkannt wissen.

Unter den Neuerwerbungen des Museums erwähne
ich vor allem die dem Institut durch Vermächtnis
zugefallene »John Samuel-Sammlung«, bestehend aus
27 Bildern altitalienischer Meister, so namentlich von
Lorenzo Costa, Moroni, Moretto, Paris Bordone, Gu-
ardi, Tiepolo, Luini und Bronzino. Auf dem Rahmen
eines Porträts befindet sich die Bezeichnung »Anto-
nello da Messina«, aber mehrere bedeutende Kenner
wollen das Werk Aloise Vivarini zuweisen, während
Sir Charles Holroyd in dieser Beziehung keinen end-
gültigen Entschluß gefaßt hat, vielmehr vor der Hand
sich mit der Zuweisung zur italienischen Schule be-
gnügte. Außerdem sind in der Kollektion vertreten:
P. Pollaiuolo, Girolamo Romanino, Zuccarelli, Sal-
vator Rosa und Beneditto Cenari. Der verstorbene
Mr. John Samuel, selbst ein guter Kenner frühitalie-
nischer Kunst, hatte eine größere Anzahl der erwähn-
ten Werke von Miß Lucy Cohen und ihrer Schwester
geerbt.

Von dem bereits früher für gooooo Mark angekauf-
ten, sogenannten »Rockeby Velasquez« wurde kürz-
lich von der »Caxton Publishing Company« ein recht
gelungenes, von Hamilton Crawford, einem Schüler
Herkomers, gestochenes Mezzotintblatt veröffentlicht.
Beiläufig bemerkt sind noch 24000 Mark auf den
Kaufpreis an die Firma Agnew restierend und finden
sowohl dieserhalb wie überhaupt im allgemeinen
Aufrufe an die Kunstfreunde zur Sammlung von Bei-
trägen statt, da die Preise für. bedeutende Kunstwerke
derart gestiegen sind, daß die von dem Staat etats-
mäßig bewilligten Mittel für den beabsichtigten Zweck
als gänzlich unzulänglich erscheinen.

Während es unter der Direktion von Sir Edward
Poynter so gut wie ausgeschlossen war, daß die Na-
tional Gallery Werke fremder, erst kürzlich verstorbe-
ner oder noch lebender bedeutender Meister aufnahm,
hat Sir Charles Holroyd mit diesem Grundsatz ge-
brochen. Mr. J. C. Drucker hat dem Institut unent-
geltlich fünf moderne holländische und zwei Bilder
von Isabey überlassen. Unter ersteren befindet sich
Israels »Der Philosoph«; von Maris »Mutter und Kind«
sowie »Die Zugbrücke«; Anton Mauve ist durch
»Pferde an der Tränke« und J. Bosboom durch »Das
Innere einer Kirche in Haarlem« vertreten. Isabeys
beide Bilder »Großvaters Geburtstag« und »Der Fisch-
markt in Dieppe« können zwar als Werke ersten Ran-
ges nicht bezeichnet werden, aber sie besitzen Reiz,
schöne Farbe, Wahrheit in Licht und Schatten und
klar zutage tretende Aufrichtigkeit.

Endlich wurde für die »Täte Gallery« auf dem
Wege der Subskription, als ein Erinnerungszeichen
zum achtzigsten Geburtstage von Holman Hunt, sein
1875 während der Fahrt von Venedig nach Jerusalem
hergestelltes Gemälde »Das Schiff« angekauft. Dem
hochpoetischen Entwurf liegt ein vierzeiliger Vers
ausTennysons »In Memoriam« zugrunde. Obschon die
Arbeit eine gute und charakteristische des Meisters
ist, so hätte man doch lieber in der britischen mo-
dernen Nationalgalerie ein bedeutenderes Werk ge-
 
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