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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Michel, W.: Münchener Frühjahrssezession
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Neues aus Venedig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0187

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355

Neues aus Venedig

356

An einfachen, sinnlich gegebenen Gegenständen Anschauung
und Darstellung zu üben und zu erproben, tut uns wirk-
lich not. Nur halten diese jungen Künstler die Erstarrung,
die Festlegung auf eine Manier für ein Verdienst. Sie
fassen den Begriff »Persönlichkeit« zu eng. Sie geben
sich zu früh ihre Grenzen. Aber das gehört schon zur
allgemeinen Psychologie der Zeit, in der weitausholende
spätreifende Geister auf allen Gebieten zu den Seltenheiten
zählen.

Der Landschaft, dem Porträt und dem Stilleben gehören
nach wie vor fast alle Sympathien. Großzügig, flächig,
breit und ornamental ist die Weise Albert Lamms, dessen
Landschaften schon im vorigen Jahre beifälliges Aufsehen
erregt haben. Eine ruhige feine Arbeit ist Hermann Eich-
felds »Märzsonne«: ruhevolle, große Flächen, sonores Braun
neben mildem Blau, mitten darin die von karger Frühlings-
sonne bestrahlten Giebel und Mauern eines Bauernhofes.
Die Sezessionsgalerie hat dieses feine Stück ihren Bestän-
den einverleibt. Mit Gaben sehr verschiedener Art ist
Philipp Klein vertreten. Seine Stilleben haben an Intimität
der Schilderung zweifellos verloren, wenn man von einem
zarten Chrysanthemen-Arrangement vor lichtflimmender
Wand absieht. Seine Porträts sind wie immer geschmack-
voll, fein zusammenklingende Farben auf grauem Grund;
viel Geschicklichkeit und elegante Mache, aber entschie-
dener Mangel an Tiefe. Höchstes Lob aber gebührt seinem
»Strand von Viareggio«, eine frische, geistreiche Impression,
knapp und flott notiert. Winternitz bleibt hinter seinem
Vorbild Uhde bedauerlich weit zurück, Richard Kaiser und
Richard Pietzsch bedeuten beide eine herbe Enttäuschung.
Karl Strathmann, in dem bisher der spitzfindige, minutiöse,
schrullenhafte Illustrator stets über den Maler triumphierte,
hat in seiner Landschaft »Anziehendes Gewitter« einen
großen und gelungenen Wurf getan. Weite hügelige
Wiesenflächen, mitten darin ein Gehöft, am Himmel dra-
matische Wolkenhäufungen. Ein Zaun führt spitz und fast
senkrecht in das Bild hinein; er trägt zur Verstärkung des
räumlichen Eindruckes vieles bei. Das Ganze ist ent-
schieden groß gesehen und gut zusammengehalten, der
Eindruck hat Fülle, Stimmung und Resonanz. Einige
schnurrige Arabesken hat sich der Künstler freilich nicht
versagen können: die Herren Zaunpfähle sind so sorgfältig
durchgezeichnet, daß sie fast humoristisch wirken, und die
Mohnblüten glotzen den Beschauer an wie die Augen zu-
dringlicher Traumgestalten. Aber diese kalligraphischen
Spiele stören den Gesamteindruck nicht, und so läßt man
sie sich gerne gefallen. F. Hochs »Abendsonne«, Oskar
Molls »Verschneiter Garten«, die Schneelandschaften von
F. Oßwald rechtfertigen alle Erwartungen, die man an diese
Namen knüpft. Alfred Marxers »Fernsicht« erfreut durch
das weiche, träumerische Zusammenklingen der verblaßten
gobelinartigen Töne. Vortreffliche Raumwirkung ist Rene
Francillons »Frühlingsstraße« eigen. Eine geschmackvolle
Musterkarte französischer, neo-impressionistischer Einflüsse
stellen die Landschaften Fugen Kahlers dar. Am deut-
lichsten lassen sich die Einwirkungen Van Goghs erkennen.

Auf dem Gebiete des Stillebens und des Interieurs
sind die pikanten Arbeiten von Julius Heß, Roioff und
W. Schnackenberg zu nennen. Theodor Hümmels »Pute«
kann man füglich als die geistreichste, vornehmste und
differenzierteste Leistung der Ausstellung bezeichnen. Durch
ihre brillante, schneidige Mache, ihre großzügige, über-
zeugende Formbehandlung und die Leuchtkraft ihrer Farbe
kommen die Porträts von Hermann Oroeber zu eindring-
licher Geltung.

Unter einer Gruppe von landschaftlichen Stilisten ragt
neben dem geschmackvollen Otto Bauriedl der offenbar zu
Größerem befähigte Karl Reiser hervor.

Den Clou der Ausstellung bildet aber zweifellos die
Kollektion von Julius Exter. Ruhe und Disziplin sind
Begriffe, die Exter noch nicht kennt, aber gerade dieser
Umstand macht seine Erscheinung so interessant, macht
jedes neue Bild von seiner Hand zu einer neuen Über-
raschung. An solchen Überraschungen ist diese seine
Kollektion wahrlich nicht arm. Bilder wie »Holzknechte«,
»Lautenspielerin«, »Bubi und Mädi« würden selbst dem
blutigsten Anfänger kaum zur Ehre gereichen, so grell
schreien die Farben durcheinander, eine so harte, ner-
vöse, launenhafte Hand verraten sie. Dagegen hat er in
seiner »Gewitterlandschaft« eine Lichtttagödie gestaltet, die
an innerer Größe gewissen Rembrandtschen Konzeptionen
nahekommt. Ich stelle dieses Bild mit seiner tiefen, innigen
Naturanschauung noch über das monumentale Figurenbild
»Nocturno«. Exter ist nur da ganz er selbst, wo er Eso-
teriker ist. »Nocturno« hat zweifellos bedeutende male-
rische Qualitäten, besonders in der Aktschilderung, und eine
große, stilistische Gebärde. Aber diese prunkvolle Monu-
mentalität mit ihrer marmornen Kühle kommt gegen die
leidenschaftliche Glut und die mystische Sinnlichkeit seiner
Landschaften nicht auf.

Die plastische Abteilung bringt hübsche Porträtarbeiten
von Ernst Oeiger, Josef Höffler und Eduard Zimmermann.
Auch die bronzenen Bildnisplaketten von Hans Schwegerle
verdienen Interesse.

In der graphischen Abteilung ist den Farbenholz-
schnitten von Gusty v. Becker besonders viel Raum ge-
geben. Sie strebt jene weiche malerische Wirkung an,
die man aus schottischen Landschaften kennt, und erreicht
diese Wirkung durch geschickte Verwendung des Feucht-
druckes und einer ungebührlich großen Anzahl von Platten.
Sie trägt die Farbe mittelst des Pinsels auf die Druckstöcke
auf und bedient sich der so entstehenden Schraffierung
als zeichnerischen Ausdrucksmittels. Es fehlt ihren Blättern
an Ruhe, auch scheint sie den zufälligen Ergebnissen beim
Druck zuviel Spielraum zu gönnen. Die solideste und
feinste Arbeit im Bereich der Graphik hat Daniel Staschus
mit seinem »Einsamen Haus« gebracht, in dem ein zarter,
grauvioletter Ton vorherrscht. Auch die temperamentvollen
Aquarelle und farbigen Zeichnungen von H. Lichtenberger
sowie das pikante Bleistiftbildnis »Arabeske« von Gino
Parin seien an dieser Stelle nach Gebühr hervorgehoben.

W. MICHEL.

NEUES AUS VENEDIG
Nur noch wenige Wochen trennen uns von der Er-
öffnung der Internationalen Kunstausstellung, die auf den
22. festgesetzt ist. — Man sieht ihr auch mit um so
größerer Spannung entgegen, als sie große Neuheiten
und außerordentlichen Genuß verspricht. 1895 begann die
Ausstellung mit 10 Sälen. Sie ist auch diesmal um einige
vermehrt worden, so daß man jetzt deren 23 zählt. Belgien
hat sich durch den Architekten Soier einen eigenen Pavillon
erbauen lassen, welcher Künstler auch die Innendekoration
besorgt hat. Das an Stelle des bisherigen Kaffeehauses
errichtete Gebäude enthält drei kleinere Vorräume, durch
welche man den Zentralsaal betritt und das hinter dem-
selben gelegene kleinere Kabinett. Der Veranstalter dieser
Separatausstellung ist F. Gevaert. Von ungefähr 50 Aus-
stellern ist dieselbe beschickt. Mehrere Kunstwerke sind
Leihgut aus dem Besitze verschiedener Museen. Am
29. März fand die erste Zusammenkunft der Jury statt,
deren Wahl dieser Tage zustande kam. Sie setzt sich aus
den Malern Fr. Brangwyn, F. Chitarin und L. Dettmann
für die Malerei und den Herren Bistolfi und Trentacoste
für Bildhauerei zusammen, und hat ihres Amtes in fast zu
unerbittlicher Weise gewaltet: von allem Eingesandten
 
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