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Münchener Frühjahrssezession
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Jahren viel besser als im alten Salon, und zwar ge-
rade deswegen, weil Leute, die Schwierigkeiten mit
der Jury hatten, das heißt Leute von starker Persön-
lichkeit, die den Akademikern zuwider waren, Leute
wie Roll, Rodin, Dalou, Bracquemond, Puvis de
Chavannes, Whistler, Cazin in der neuen Oesellschaft
den Ton angaben. Aber diese Leute wurden alt oder
starben, und außerdem machten sie Schule so gut
wie die Bouguereau, Bonnat und Detaille. Und ihre
Nachahmer sind nun genau ebenso langweilig und
unpersönlich, wie im anderen Salon die Nachahmer
der Mitglieder des Instituts, — wobei diese Bezeich-
nung auch gar nicht mehr richtig ist, sintemalen auch
dieSpitzen desChamp deMars jetzt zum Institut gehören.
Das also muß man den Unabhängigen lassen:
sie sind lange nicht so langweilig wie ihre Kollegen
von den beiden offiziellen Salons. Es gibt bei ihnen
Naturburschen, wie Henri Rousseau, der sich die
Seele und die Technik des Achtjährigen bewahrt
hat und mit seiner wirklich ganz ungekünstelten
Naivetät den Beschauer erfreut; dann gibt es da auch
Leute, die etwas gelernt haben und etwas können, die
aber auf ganz aparten, nicht immer leicht verständ-
lichen Pfaden ihren Zielen zustreben, und schließlich
haben wir die Philosophen, denen die Malerei nur
das Mittel zum Zwecke der Aussprache ihrer Gedanken
und Ideen ist. Das alles aber ist sehr interessant,
und in jedem Jahre wieder konstatiert man mit nicht
geringer Freude, daß die korrekte Mittelmäßigkeit in
diesem Salon weit weniger Vertreter hat als in den
beiden anderen.
Demgemäß teilen sich auch die Besucher in zwei
Klassen. Die einen haben das gute Teil erwählt und
kommen, um zu lachen. Das ist hier eine sehr dank-
bare Aufgabe, denn zu lachen gibt es ungemein viel.
Schwieriger haben es die Besucher, die hier die Talente
der Zukunft entdecken wollen, denn wenn irgendwo,
sind sie bei den Unabhängigen zu finden. Die dies-
jährige Ausbeute ist hierin sehr schwach, was wenigstens
meine Entdeckungen anlangt. Außer der nach dem
Katalog in Deutschland geborenen Malerin Elsa Weise,
die ich ihrer farbenfrohen, frischen und breiten Mal-
weise nach für eine Schülerin des Spaniers Claudio
Castelucho halte, ist mir kein einziger Name aufge-
stoßen, der mir noch nicht bekannt gewesen wäre
und der mich zur Nennung reizt. Diese Malerin hat
sechs Bilder ausgestellt, wovon zwei, die besonders
stark an Castelucho erinnern, der mit den gelben und
blauen Hampelmännern spielende Junge und der Junge
im Matrosenanzug ganz famos sind, zwei andere, die
grau und grün gehaltenen Damenbildnisse, sich durch
ebenso diskreten wie reichen Ton auszeichnen. Caste-
lucho selbst hat ebenfalls sechs Bilder ausgestellt,
darunter eine junge Mutter in leuchtend blauem Kleide
und zwei Kinder, die ein brennendes Rot mit stumpfem
Blau vereinen. Dieser junge Spanier, der drüben auf
dem Montparnasse, wo die amerikanischen, englischen,
russischen und deutschen Künstler lieber hausen als
auf dem Montmartre, als Lehrer eine ebenso große
Tätigkeit entfaltet wie als ausführender Maler, ist
sicherlich die bedeutendste Erscheinung, die uns der
Salon des Independants in den letzten drei oder vier
Jahren offenbart hat, und neben ihm müssen seine
bedeutendsten Schülerinnen, die Russin Dannenberg
und die Schweizerin Stetten genannt werden, die in
diesem Jahre beide mit Szenen aus dem Luxembourg-
garten, spielenden Kindern usw. vertreten sind.
Nach dieser Castelucho-Oruppe ist nicht mehr viel
übrig: sehr hübsche kleine Tierbronzen von dem
Bremer Bergfeld; mehrere Pastelle von der Stutt-
garterin Blum-Lazarus, darunter die »Velasquez-Puppe«
sehr hübsch in grau, rosa und gelb; hübsche Aqua-
relle in der Art farbiger Holzschnitte von Pierre
Brissaud; famose, in leuchtender Farbenglut erstrahlende
Szenen aus der Provence von dem Marseiller Henri
Cat, der in seiner Farbenfreude an seinen Landsmann
Monticelli erinnert; ein ausgezeichnetes Stilleben und
mehrere andere, weniger ansprechende Schildereien
von Henry Dezire, der mit dem Hauptton weiß und
einigen gelben, grünen oder blauen Flecken ent-
zückende, kühle Harmonien zu schaffen versteht; eben-
falls ein farbig sehr angenehm wirkendes Stilleben
von der Dresdnerin Helene Funke; mehrere vortreff-
liche Holzschnitte von der Wienerin Martha Hofrichter;
einige interessante, an Castelucho einerseits, an Anglada
anderseits erinnernde Kolorationen von Henri Hourtal;
zwei weibliche Bildnisse von dem Italiener Irolli, der
ein Schüler seines Landsmannes Mancini sein dürfte;
mehrere Aquarelle von dem Russen Kandinsky, die
in ihrer Holzschnittmanier an den Engländer Brangwyn
erinnern; die immer an Anglada erinnernden nächt-
lichen Tanz- und Promenadeszenen von Tony Minartz,
dem übrigens mit dieser Berufung auf den Spanier
sehr Unrecht geschieht, denn Minartz hat solche Sachen
schon ausgestellt, als man von Anglada noch nichts
wußte, und einige geschmackvolle, obschon allzustark
an japanische Vorbilder angelehnte farbige Holzschnitte
von dem Russen Seddeler.
Beim Niederschreiben dieser Namen, die ich mir
im Katalog angestrichen habe, fällt mir wieder, wie
im Vorjahre, das Übergewicht der Ausländer über
die Franzosen auf, das ganz ohne meine Absicht in
die Liste gekommen ist. In der Tat entstammt die
gute Hälfte der »Unabhängigen« dem Auslande, und
der ausländische Durchschnitt ist hier besser als der
französische. KARL EUGEN SCHMIDT.
MÜNCHENER FRÜHJAHRSSEZESSION
X Die Stärke dieser Ausstellung liegt, wie die ihrer
Vorgängerin vom Jahre 1906, im Niveau. Starke, schöpfe-
rische Persönlichkeiten wird man hier vergebens suchen;
aber man findet einen tüchtigen, soliden Durchschnitt, der
beweist, daß als Frucht des jahrelangen Ringens der
Meister heute schon ein gut Teil löblicher malerischer
Kultur ins Volk gedrungen ist. Im übrigen stehen stili-
stische Tendenzen immer noch im Vordergrund. Das heißt,
man sucht hier nicht so sehr die bescheidene, redliche
Orientierung an der Natur, als vielmehr die handsame
individuelle Formel zu ihrer Bewältigung. Man strebt auf
etwas abgekürzten Wegen nach Handschrift und gerät da-
her allzuleicht in die Lage, gegen die Anforderungen des
Objektes zu verstoßen und sich selbst die Wege zu einer
freien, ferneren Entwickelung zu verbauen. Immerhin
steckt in diesem stilistischen Streben ein richtiger Kern.
Münchener Frühjahrssezession
354
Jahren viel besser als im alten Salon, und zwar ge-
rade deswegen, weil Leute, die Schwierigkeiten mit
der Jury hatten, das heißt Leute von starker Persön-
lichkeit, die den Akademikern zuwider waren, Leute
wie Roll, Rodin, Dalou, Bracquemond, Puvis de
Chavannes, Whistler, Cazin in der neuen Oesellschaft
den Ton angaben. Aber diese Leute wurden alt oder
starben, und außerdem machten sie Schule so gut
wie die Bouguereau, Bonnat und Detaille. Und ihre
Nachahmer sind nun genau ebenso langweilig und
unpersönlich, wie im anderen Salon die Nachahmer
der Mitglieder des Instituts, — wobei diese Bezeich-
nung auch gar nicht mehr richtig ist, sintemalen auch
dieSpitzen desChamp deMars jetzt zum Institut gehören.
Das also muß man den Unabhängigen lassen:
sie sind lange nicht so langweilig wie ihre Kollegen
von den beiden offiziellen Salons. Es gibt bei ihnen
Naturburschen, wie Henri Rousseau, der sich die
Seele und die Technik des Achtjährigen bewahrt
hat und mit seiner wirklich ganz ungekünstelten
Naivetät den Beschauer erfreut; dann gibt es da auch
Leute, die etwas gelernt haben und etwas können, die
aber auf ganz aparten, nicht immer leicht verständ-
lichen Pfaden ihren Zielen zustreben, und schließlich
haben wir die Philosophen, denen die Malerei nur
das Mittel zum Zwecke der Aussprache ihrer Gedanken
und Ideen ist. Das alles aber ist sehr interessant,
und in jedem Jahre wieder konstatiert man mit nicht
geringer Freude, daß die korrekte Mittelmäßigkeit in
diesem Salon weit weniger Vertreter hat als in den
beiden anderen.
Demgemäß teilen sich auch die Besucher in zwei
Klassen. Die einen haben das gute Teil erwählt und
kommen, um zu lachen. Das ist hier eine sehr dank-
bare Aufgabe, denn zu lachen gibt es ungemein viel.
Schwieriger haben es die Besucher, die hier die Talente
der Zukunft entdecken wollen, denn wenn irgendwo,
sind sie bei den Unabhängigen zu finden. Die dies-
jährige Ausbeute ist hierin sehr schwach, was wenigstens
meine Entdeckungen anlangt. Außer der nach dem
Katalog in Deutschland geborenen Malerin Elsa Weise,
die ich ihrer farbenfrohen, frischen und breiten Mal-
weise nach für eine Schülerin des Spaniers Claudio
Castelucho halte, ist mir kein einziger Name aufge-
stoßen, der mir noch nicht bekannt gewesen wäre
und der mich zur Nennung reizt. Diese Malerin hat
sechs Bilder ausgestellt, wovon zwei, die besonders
stark an Castelucho erinnern, der mit den gelben und
blauen Hampelmännern spielende Junge und der Junge
im Matrosenanzug ganz famos sind, zwei andere, die
grau und grün gehaltenen Damenbildnisse, sich durch
ebenso diskreten wie reichen Ton auszeichnen. Caste-
lucho selbst hat ebenfalls sechs Bilder ausgestellt,
darunter eine junge Mutter in leuchtend blauem Kleide
und zwei Kinder, die ein brennendes Rot mit stumpfem
Blau vereinen. Dieser junge Spanier, der drüben auf
dem Montparnasse, wo die amerikanischen, englischen,
russischen und deutschen Künstler lieber hausen als
auf dem Montmartre, als Lehrer eine ebenso große
Tätigkeit entfaltet wie als ausführender Maler, ist
sicherlich die bedeutendste Erscheinung, die uns der
Salon des Independants in den letzten drei oder vier
Jahren offenbart hat, und neben ihm müssen seine
bedeutendsten Schülerinnen, die Russin Dannenberg
und die Schweizerin Stetten genannt werden, die in
diesem Jahre beide mit Szenen aus dem Luxembourg-
garten, spielenden Kindern usw. vertreten sind.
Nach dieser Castelucho-Oruppe ist nicht mehr viel
übrig: sehr hübsche kleine Tierbronzen von dem
Bremer Bergfeld; mehrere Pastelle von der Stutt-
garterin Blum-Lazarus, darunter die »Velasquez-Puppe«
sehr hübsch in grau, rosa und gelb; hübsche Aqua-
relle in der Art farbiger Holzschnitte von Pierre
Brissaud; famose, in leuchtender Farbenglut erstrahlende
Szenen aus der Provence von dem Marseiller Henri
Cat, der in seiner Farbenfreude an seinen Landsmann
Monticelli erinnert; ein ausgezeichnetes Stilleben und
mehrere andere, weniger ansprechende Schildereien
von Henry Dezire, der mit dem Hauptton weiß und
einigen gelben, grünen oder blauen Flecken ent-
zückende, kühle Harmonien zu schaffen versteht; eben-
falls ein farbig sehr angenehm wirkendes Stilleben
von der Dresdnerin Helene Funke; mehrere vortreff-
liche Holzschnitte von der Wienerin Martha Hofrichter;
einige interessante, an Castelucho einerseits, an Anglada
anderseits erinnernde Kolorationen von Henri Hourtal;
zwei weibliche Bildnisse von dem Italiener Irolli, der
ein Schüler seines Landsmannes Mancini sein dürfte;
mehrere Aquarelle von dem Russen Kandinsky, die
in ihrer Holzschnittmanier an den Engländer Brangwyn
erinnern; die immer an Anglada erinnernden nächt-
lichen Tanz- und Promenadeszenen von Tony Minartz,
dem übrigens mit dieser Berufung auf den Spanier
sehr Unrecht geschieht, denn Minartz hat solche Sachen
schon ausgestellt, als man von Anglada noch nichts
wußte, und einige geschmackvolle, obschon allzustark
an japanische Vorbilder angelehnte farbige Holzschnitte
von dem Russen Seddeler.
Beim Niederschreiben dieser Namen, die ich mir
im Katalog angestrichen habe, fällt mir wieder, wie
im Vorjahre, das Übergewicht der Ausländer über
die Franzosen auf, das ganz ohne meine Absicht in
die Liste gekommen ist. In der Tat entstammt die
gute Hälfte der »Unabhängigen« dem Auslande, und
der ausländische Durchschnitt ist hier besser als der
französische. KARL EUGEN SCHMIDT.
MÜNCHENER FRÜHJAHRSSEZESSION
X Die Stärke dieser Ausstellung liegt, wie die ihrer
Vorgängerin vom Jahre 1906, im Niveau. Starke, schöpfe-
rische Persönlichkeiten wird man hier vergebens suchen;
aber man findet einen tüchtigen, soliden Durchschnitt, der
beweist, daß als Frucht des jahrelangen Ringens der
Meister heute schon ein gut Teil löblicher malerischer
Kultur ins Volk gedrungen ist. Im übrigen stehen stili-
stische Tendenzen immer noch im Vordergrund. Das heißt,
man sucht hier nicht so sehr die bescheidene, redliche
Orientierung an der Natur, als vielmehr die handsame
individuelle Formel zu ihrer Bewältigung. Man strebt auf
etwas abgekürzten Wegen nach Handschrift und gerät da-
her allzuleicht in die Lage, gegen die Anforderungen des
Objektes zu verstoßen und sich selbst die Wege zu einer
freien, ferneren Entwickelung zu verbauen. Immerhin
steckt in diesem stilistischen Streben ein richtiger Kern.