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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Wustmann, Rudolf: Die Josephgeschichte bei Vondel und Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0050

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang

1906/1907

Nr. 6. 23. November

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal in den Sommer
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift tur mmenuc
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Kedaktion unu
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 11. tur
die dreispaltige Petilzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DIE JOSEPHGESCHICHTE
BEI VONDEL UND REMBRANDT.
Den Zusammenhang von Rembrandts Bildkunst
mit der Amsterdamer Bühnenkunst seiner Zeit, auf
den ich in dem Rembrandtheft der »Galerien Eu-
ropas« hingewiesen habe, will ich im folgenden an
Rembrandts Gemälden zur Josephgeschichte etwas näher
erläutern.

Von Hollands größtem Dichter, Joost van den
Vondel, gibt es zwei Josephdramen, und ein drittes
hat er aus dem Lateinischen des Hugo Grotius über-
setzt; alle drei wurden seit 1653 oft in Amsterdam
als Trilogie hintereinander gespielt — wir kennen
die Aufführungsdaten —, nachdem sie in den Jahr-
zehnten vorher oft einzeln gespielt worden waren.

Jozef in Dothan, das den frühesten Stoff — Josephs
Verkauf durch seine Brüder — behandelnde Werk,
kam zuletzt auf die Bühne (März 1640, in den fünf
Wochen von Weihnachten 1640 bis Ende Januar
1641 allein neunmal aufgeführt). Vondel erzählt in
der Vorrede, er habe nach einem tragischen Stoffe
des Bruderzwistes gesucht und dabei die biblischen
Geschichten in erster Linie ins Auge gefaßt, weil de
heilige, boven andere geschiedenissen, altijd vor zieh
brengen een zekere goddelijke majesteit en aanbidde-
lijke eerwardigheid, die nergens zoo zeer den in treur-
spelen vereischt worden. Jozefs verkooping schoot
ons in den zin, door het tafereel van Jan Pinas,
hangende, neffens meer kunstige stukken van Peter
Lastman, ten huize van den hooggeleerden en ervaren
Dokter Robbert Verhoeven; daar de bloedige rok
den vader vertoond wordt: gelijk wij in't sluiten van
dit werk, ten naasten bij, met woorden des schilders
wrven, teekeningen, en hartstochten, poogden na te
volgen. Und so schließt Vondels Drama mit einem
Monolog des Rüben, worin sich dieser ausmalt, mit
welchem Schmerz der Vater den blutigen Rock und
die Botschaft empfangen wird . . .

Met wat voor ooren zal hij 't hooren? hoe zieh houwen?
Met wat voor oogen 's kinds bebloeden rok aanschouwen?
Mjj dunkt, ik zie met wat een jammerlijk gestalt
Hij d'armen smtjt van een, en achterover valt,
Met zijnen blooten kop; al 't aangezicht geschapen
Natuurlijk als een lijk; de maagden, kinders, knapen,
Ons vrouwen, moeders, en t' geheele huisgezin
Toeschieten op 't misbaar: den kleenen Benjamin
Aan zijne voeten staande, op 't schreien van de moeders,
Beschreien onbewust t' verlies zijns trouwen broeders.

Die Bibel erzählt nur (1. Mos. 37, 32 ff-): Und
schickten den bunten Rock hin, und ließen ihn ihrem
Vater bringen, und sagen: Diesen haben wir gefunden;
siehe, ob es deines Sohnes Rock sei, oder nicht. Er
kannte ihn aber, und sprach: Es ist meines Sohnes
Rock; ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißendes
Tier hat Joseph zerrissen. Und Jakob zerriß seine
Kleider usw.

Das hat Rembrandt zweimal gemalt. Das etwas
kleinere Bild, beim Earl of Derby, gibt eine belebte
Szene: inmitten eines Menschenauflaufs vor seinem
Hause stürzt der alte Jakob mit ausgebreiteten Armen
hintenüber, um ihn die Boten, Gesinde, jammernde
Weiber und der weinende Benjamin. Ganz un-
biblisch. Vielleicht ähnlich wie bei Pinas. Jedenfalls
wörtlich wie bei Vondel. Und mit einer Architektur,
die mit dem breiten Mittelportal, dem Seitenausgang
ins Freie, den Stufen- und Pilasterandeutungen an
die Bühne mehr als an ein holländisches oder sonst
ein Haus erinnert. — Das Bild in der Eremitage
gibt nur vier Personen: Jakob stehend, zwei Boten
und Benjamin, der hier ahnungslos nach den Flecken
auf dem Rock greift. Jakob im ersten Augenblick
des Entsetzens; eben erst fallen die Worte des
sprechenden Boten, zu denen Rembrandt eine genau
die Bibelworte erläuternde Geste erfunden hat. Hier
haben wir die tiefere Psychologie, den unmittelbareren
Anschluß an die Bibel, hier haben wir Rembrandt,
freilich auch mit Zutaten, die anderswoher stammen,
dem leichenähnlichen Kopf des Alten, der Anwesen-
heit Benjamins; und auch hier eine künstliche Archi-
tektur, deren Vorderstück sich genau so — nur be-
zeichnenderweise im Gegensinn — auf der Bühnen-
radierung des Ecce-Homo findet.

Mutet das Bild in England wie eine Projektion
des Rubensschen Monologes auf die Leinwand an, so
liegt bei dem Bild in Petersburg der Gedanke nahe,
daß ihm die übliche Vertooning, das lebende Bild,
zu Beginn des letzten Aktes entsprochen haben möchte.

Kurz vor dem Joseph in Dothan erschien auf der
Amsterdamer Bühne Vondels jozef in Egypte, Ende
Januar 1640. Der allgemeine Titel läßt nicht erraten,
daß hier nur die Geschichte von Joseph und Potiphars
Frau behandelt ist; schon früher hatte Vondel den
Hippolyt bearbeitet, den er mit dem neuen Drama
zu überbieten gedachte. Die Hauptgestalt ist Jempsar,
Potiphars Gattin, eine der Phädra ähnliche Rolle.
 
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