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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Jacobsen, Emil: Neues über Leonardo
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0106

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 13. 25. Januar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen. Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

NEUES ÜBER LEONARDO
Von Emil Jacobsen

I.

Studien von Leonardo zu Verrocchios Colleoni-
Monument.

Im Jahrbuch der königlichen preußischen Kunst-
sammlungen von 1904 hat Bode in einem viel erwähnten
Aufsatze »Leonardo als Bildhauer« mehrere mit ein-
ander verwandte, früher Verrocchio und seiner Schule
zugeschriebene Reliefs von überraschender Lebensfülle
für Leonardo in Anspruch genommen und dadurch
unsere Auffassung von Leonardo als Bildhauer wesent-
lich bereichert.

Im möchte im nachfolgenden darauf aufmerksam
machen, daß Leonardo aller Wahrscheinlichkeit nach
einen wesentlichen Anteil an der Ausgestaltung des
Reiterstandbildes des Colleoni gehabt hat. Meine
Untersuchungen sind jedoch nicht auf die Anregung
Bodes zurückzuführen. Ihr Resultat wurde im wesent-
lichen bereits ein Jahr früher in einer Sitzung des
kunsthistorischen Instituts in Florenz zum Vortrag
gebracht.

* *

*

In der Kollektion Malcolm im British Museum
befindet sich ein mit der Feder gezeichnetes Profil-
brustbild eines geharnischten Kriegers mit Helm, das
zu den wenigen ganz sicheren Zeichnungen Leonardos
gerechnet wird1). Wen dieses Bild darstellt, läßt sich
unschwer feststellen, wenn man es mit dem Reiter
auf dem Monument Verrocchios vergleicht. Wir haben
hier die Gesichtszüge des Kondottiere Bartolommeo
Colleoni vor uns. Nicht das Bildnis des Kondottiere,
wie er im Leben aussah, sondern das ins Ideale

1) Reproduziert in Berensons Werk »The Drawings
of the Florentine Painters«. In seinen kritischen Bemer-
kungen über die in diesem Werke reproduzierten Zeich-
nungen hat neuerdings A. von Beckerath, wenn auch »nicht
ohne Zögern«, einige Zweifel an der Authentizität der
berühmten Zeichnung angeregt (Repert. f. Kunstw. 1906
p. 15) Ich kann auf die kritischen Bemerkungen des Herrn
von Beckerath hier nicht näher eingehen. Für meine Aus-
führung ist die Sache ja ohne Bedeutung, da die Zeich-
nung jedenfalls — auch nach von Beckerath — auf eine
Vorlage Leonardos zurückgeht.

gesteigerte Porträt der heldenhaften Gestalt, wie der
Künstler sie für das Reitermonument schaffen wollte.
Um dies zu erkennen, braucht man nur die Zeichnung
mit der Profilansicht des Kondottiere, wie er in
Mackowskys »Verrocchio« Seite 65 abgebildet ist,
zu vergleichen. Der Krieger trägt am Halse einen
Löwenkopf. Daß dies wahrscheinlich eine Anspie-
lung auf Col-leone sein soll, darauf machte mich
Professor Brockhaus aufmerksamx). Es ist nun merk-
würdig, daß dieses Bildnis nicht der einzige Colleoni-
kopf ist, der auf Leonardo zurückgeht. In Rahmen
93 befindet sich unter Nr. 449 F in den Uffizien
ein mit der Feder gezeichneter Profilkopf von un-
bestrittener Echtheit, welcher auch den Colleonikopf
(hier barhaupt und ohne Helm und Rüstung) dar-
stellt. Es gibt noch mehrere Zeichnungen Leonardos
von ganz ähnlichem Kopftypus, ja, man kann be-
haupten, derselbe repräsentiert einen durchaus leonar-
desken Typus, der den Meister offenbar lange Zeit
hindurch fortwährend beschäftigt hat: ich nenne unter
den Zeichnungen in den Uffizien noch den Profilkopf
eines Greises (für echt ausgegeben, doch wahrschein-
lich Kopie), den Profilkopf eines mit Lorbeer gekrönten
Greises in Windsor (reproduziert von Müntz' »Leo-
nard«, Seite 237), einen anderen Greisenkopf in Profil
auf einem Blatt in derselben Sammlung (Müller-Walde,
Abbildung 12), mehrere Studien zu seinem Abend-
mahl, verschiedene Köpfe unter seinen Karikaturen,
die alle diesen Typus variieren'2).

Hierdurch wird in hohem Maße die Vermutung
bestärkt, daß der junge Leonardo der Mitarbeiter
Verrocchios an dem Reitermonument, wenigstens was
das gewaltige Kondottierehaupt anbetrifft, gewesen sei.
»Gegenüber der sorgfältig auf die Einzelheiten Bedacht
nehmenden Modellierung des Pferdekörpers erkennt
man in diesem nur in den großen entscheidenden
Formen angelegten Kopf kaum die gleiche Meister-

1) Von dieser Zeichnung inspiriert ist offenbar das Bas-
relief in der Kollektion Paul Rattier mit der Inschrift: P
SC1PIONE, das von einigen Leonardo, jedenfalls aber seiner
Schule zuzuschreiben ist. Hier ist der Löwenkopf durch ein
Medusenhaupt ersetzt (abgebildet Müntz, »Leonard de Vinci«,
Seite 162).

2) Auf das spezifisch Leonardische am Colleonikopf
ist auch Frizzoni, gewiß unabhängig von meiner in Florenz
vorgetragenen Ansicht, aufmerksam geworden. Siehe seine
Besprechung über Reymonds Verrocchio in L'Arte 1906.
 
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