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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sirén, Osvald: Ein französisches Standardwerk der Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0058

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 7. 30. November

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

EIN FRANZÖSISCHES STANDARDWERK DER
KUNSTWISSENSCHAFT l)
Es herrscht gewiß kein Mangel an kunstgeschichtlichen
Kompendien, das heißt mehr oder weniger gelungenen
Versuchen, das Wesentlichste des Materials und der Resul-
tate der modernen Kunstforschung zusammenzufassen. Je-
doch kennen wir kein solches Werk mit ganz demselben
Programm als die vorliegende Histoire de l'Art. Die
meisten Kompendien der Kunstgeschichte sind ja von
einem einzigen Forscher zusammengestellt worden, von
dem natürlich nicht Spezialkenntnisse jeder einzelnen Epoche
gefordert werden können. Das Resultat muß in solchen
Fällen uneben oder lückenhaft werden, von den besonderen
Vorlieben und Interessen des Verfassers abhängend. Wenn
aber wie im vorliegenden Falle die Arbeit auf mehrere
Spezialforscher verteilt wird, so fällt die angedeutete
Schwierigkeit von selbst weg. Diese kluge Verteilung der
Arbeit auf einen ganzen Stab von Mitarbeitern enthält die
beste Garantie der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit und
der umfassenden Verwendbarkeit des Buches.

Das Verhältnis jedes Mitarbeiters zu dem großen Unter-
nehmen wird in der Vorrede folgender Art angegeben:

»Chacun d'eux a apporte ä l'ceuvre commune sa
part de recherches personnelles, une pratique directe de
monuments dont il s'est Charge de raconter l'histoire et
tout en conservant sa responsabilite et sa maniere propre,
a travaille sinon de la raerae maniere, du moins dans un
meme esprit. Le directeur du laboratoire ne pretend se
substituer ä aucun de ses collaborateurs et amis; son
röle s'est borne ä preparer le programme autour duquel
ils se sont groupes, ä centraliser et ä coordonner le tra-
vail, enfin a Her la gerbe.«

Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Arbeit dieser
Art sehr verschieden beurteilt werden muß je nach dem
Gesichtspunkte, aus dem man sie betrachtet. Das vor-
liegende Buch darf jedenfalls nicht zu der allgemeinen
großen Kategorie der »Kunstgeschichten« gezählt werden;
die Behandlung des Materials ist überhaupt mehr vertieft
als in gewöhnlichen Handbüchern, in den meisten Fällen
haben die Verfasser hier selbst die Originalforschungen
gemacht, die für ihr resp. Thema notwendig waren. Da-
durch bekommt ihre gemeinsame Arbeit wenigstens teil-
weise das Interesse einer methodischen, wissenschaftlichen
Originaluntersuchung.

Das Buch ist aber nicht für einen beschränkten Kreis

1) Histoire de l'Art depuis les premiers temp chretiens
jusqu'ä nos jours. Ouvrage publie sous la direction de
M. Andre Michel. Tome I. Des debuts de l'Art chretien ä
la fin de la periode romane. Premiere Partie. Librairie Ar-
mand Colin, Paris.

von Fachmännern geschrieben, sondern für das gebildete
Publikum überhaupt; hier ist der Versuch gemacht, ein
populäres Werk ohne die gewöhnliche Popularisierung zu
schaffen, man hat sich die sehr schwierige Aufgabe gestellt,
den Leser durch eine präzise und klare Darstellungsart
zu fesseln, ohne von dem wissenschaftlichen Podium zu
einem breiteren »kulturgeschichtlichen«: Boden hetabzu-
steigen. Der Erfolg eines solchen Versuches hängt nicht
nur von den Verfassern, sondern auch von dem Fachinteresse
und Bildung der Leser ab, denn ohne eine gute Portion
von solchen Eigenschaften wird kaum jemand dies Buch
genießen können, besonders nicht den vorliegenden ersten
Teil, wo es sich um Gegenstände handelt, die teilweise
mehr archäologischen als ästhetischen Wert besitzen und
die überhaupt relativ wenig bekannt sind.

Hier wird uns die Entwickelungsgeschichte der christ-
lichen Kunst seit den ersten Anfängen bis zum Ende der
karolingischen Epoche vorgeführt: »Un tableau de l'evo-
lution des formes et de la vie des monuments, avec assez
de details pour que l'enchainement puisse en etre suivi,
avec des references bibliographiques ou graphiques süffi-
santes pour que nos affirmations puissent etre contrölees,
en limitant d'ailleurs ä l'essentiel le choix des monuments
et des preuves; une histoire en un mot, non pas un
repertoire ou un traite d'esthetique.«

Diese schönen Versprechen der Vorrede sind wohl
hauptsächlich erfüllt worden, nur in einem Punkte hat
man mehr versprochen als gegeben: die references gra-
phiques sind absolut nicht süffisantes. — Die Bedeutung
des lllustrationsmaterials in einem Buche, das sich zu einem
breiten Publikum wendet, ist so evident, daß wir jetzt dar-
über nicht sprechen brauchen. Durch gute Bilder können
ja lange Seiten von Beschreibungen vermieden werden, und
ohne solche vermag der beste Schriftsteller nicht ein Bild
oder ein Monument vollständig klar und lebendig vor
unsere Phantasie stellen. Handelt es sich nun gar um
Massen von wenig bekannten Monumenten, so werden die
guten, großen Abbildungen um so wünschenswerter. Im vor-
liegenden Falle müssen wir uns aber mit 207 größtenteils
sehr kleinen Illustrationen begnügen (der Band ist 440
Seiten stark), alle die übrigen hunderte und hunderte
von Monumenten und Malereien werden nur durch
Worte illustriert und obwohl diese manchmal mit gal-
lischem Esprit und Klarheit gewählt sind, können sie doch
nicht Abbildungen ersetzen. So wird es einem fast un-
möglich, den ganzen, bedeutenden Inhalt des Textes
überall auszubeuten. — Auch gibt es hier Abbildungen,
die — vielleicht infolge ihrer Kleinheit — nicht ganz
tadellos sind: vergleicht man z. B. die Kreuzigung aus
St. Maria Antiqua (S. 79) mit einer guten Andersonschen
Photographie, so bemerkt man, wie stark das Klischee
retuschiert wurde, die Gesichter, die Mantelfalten usw. sind
 
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