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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Schleinitz, Otto von: Die Ausstellung alter Meister in der Londoner Akademie
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Die Klinger-Ausstellung des Leipziger Kunstvereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0131

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Die Klingerausstellung des Leipziger Kunstvereins

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herzog, bedeckten Hauptes weilende Mann ist der Kardinal-
Infant. Auch befinden sich in dieser Gesellschaft noch
van Dycks »Montfort«, Snyders und die Herzogin von Croy.
An den Wänden dieser idealen Bildergalerie hängen viele
von Rubens und seiner Gefolgschaft hergestellte Werke
und andere Gemälde, die entweder nicht mehr vorhanden
oder verloren gegangen sind und schließlich solche
Schöpfungen, die es wert erscheinen lassen, ihnen nach-
zuspüren, so namentlich ein verschollener van Eyck, von
dem die Kunde erhalten ist. (Siehe Kunstchronik Nr. 14
»Ein Wiedererkannter van Eyck«). Das auf Holz gemalte
Bild (Nr. 52 des Katalogs und Lord Huntingfield gehörig)
ist in der Mitte des Vordergrundes auf einem kleinen Ge-
mälde in der Galerie bezeichnet »G. V. Haecht, 1628«.
Teniers und andere haben wohl ähnliche Sujets wie dies
hier, aber keinesfalls ein kunstwissenschaftlich gleich inter-
essantes Werk geschaffen.

Daß die Ausstellung imstande ist, einen neuen, kaum
zu bezweifelnden Holbein vorzuführen, muß tatsächlich als
ein Ereignis angesehen werden! Das Bild wurde niemals
gereinigt und zeigt sich vollständig unberührt. Es handelt
sich um das Porträt einer Dame in dreiviertel Profil in
braunem mit Goldstickerei versehenen Anzug, das abge-
sehen von der etwas schwachen Modellierung der Augen
den besten Schöpfungen des Meisters nicht nachsteht. Der
Mund ist so vorzüglich gelungen, wie ihn der Künstler
niemals besser geschaffen hat. Da die Dame eine Tudor-
rose trägt, so kann man wohl annehmen, daß sie dem
Hofe Heinrichs VIII. nahe stand oder gar eine der Ge-
mahlinnen des Königs ist, wenn nicht Lord Dillon recht
hat, der in dem Bildnis eine Lady Lee, eine Ahne des
Hauses wiedererkennt, von der er ein ähnliches gleich-
zeitiges Porträt in seiner Sammlung zu Ditchley habe. Be-
zeichnet ist das auf Holz gemalte Bildnis nur »Etatis
suae 34«; es befindet sich im Besitz von Major Charles
Palmer. Ein anderes Gemälde, gleichfalls ein Damen-
porträt, dem Grafen Spencer gehörig (Nr. 17) wurde früher
dem Holbein zugeschrieben, indessen ist es jetzt endgültig
als eiri Bild von Nicholas Lucidel erkannt. Die dargestellte
Dame ist wahrscheinlich Anna von Boltzheim, ein Mitglied
der wohlbekannten Nürnberger Familie. Mr. Fairfax
Murray, selbst Maler und außerdem ein sehr bedeutender
Kenner sowie Sammler, sandte der Ausstellung seinen
»Salvator Mundi«, ein Werk, das Dürer mit einiger Be-
rechtigung zugeschrieben werden kann, und das event. als
ein frühes, jedoch nicht intaktes Beispiel von des Meisters
venezianischer Periode gelten darf.

Schließlich enthält die Ausstellung eine vorzügliche
Abteilung älterer und kürzlich verstorbener englischer
Künstler. Es ist leider nicht möglich, an dieser Stelle alle
die vorhandenen, wirklich erstklassigen Werke von Rey-
nolds, Gainsborough, Romney, Hoppner, Raeburn, Morland,
Wilson und Turner namhaft zu machen, jedoch will ich
noch zwei interessante Werke besonders hervorheben. So
ein von Thomas Gainsborough geschaffenes Porträt der
Miß Linley, das erst vor wenigen Jahren bei Christie als
ein braunes, schäbiges und defektes Werk zum Vorschein
kam, bis dahin ganz unbekannt war und jetzt in einem
so schönen Farbenglanz strahlt und überhaupt derartig
künstlerisch restauriert wurde, daß es vielleicht das beste
altenglische Bild auf der Ausstellung ist. Nicht unerwähnt
mag bleiben, daß sich gerade an dieses Bild eine seltsam
romantische Geschichte knüpft: Der Gatte der jungen Dame
war über ihren Tod so melancholisch geworden, daß er
das Bild in einer Nische einmauern ließ, woselbst es erst
50 Jahre später wieder entdeckt wurde. Als zweites nenne
ich noch eine Arbeit von Hogarth, die durch ihren frischen
Reiz den künstlerischen Charakter dieses Meisters um einen

wesentlichen Zug bereichert. Es handelt sich um eine
Familienszene, welche zu einer als Gegenstück zu »Mariage
ä la Mode« gedachten Serie geschaffen war und den Titel
führen sollte: »Die glückliche Ehe«.

Eine wunderbare Überraschung boten fünf Werke des
kürzlich verstorbenen Malers James Charles (1850—1906).
In diesem Meister hat England einen der ausgezeichnetsten
Landschafter besessen, von dem außer vier bis fünf Kennern,
die seine Arbeiten in aller Stille sammelten, niemand ge-
wußt hat. So hat unter anderen einer dieser Sammler
allein 50 Werke für sich erworben. Wenn vielleicht nicht
sogar der erste zeitgenössische Fachmaler Englands, so
muß man Charles doch unbestreitbar zu den allerbesten
zählen. Da die Leicester Gallery demnächst eine um-
fassende Nachlaßausstellung dieses Meisters veranstaltet,
behalte ich mir vor, noch Näheres über diesen Künstler
mitzuteilen. o. v. Schleinitz.

DIE KLINGER-AUSSTELLUNG DES LEIPZIGER
KUNSTVEREINS

Zu Ehren des 50. Geburtstages von Max Klinger
(18. Februar) hat der mit dem städtischen Museum un-
mittelbar verbundene Kunstverein eine Ausstellung ver-
anstaltet, die ein prachtvolles Panorama bietet.

Klinger ist für Leipzig ein Schatz, dessen sich die
Bürger bewußt sind, und der deshalb auch nach Kräften
gepflegt wird; es wird das Ruhmesblatt der Direktion
des Leipziger Museums bleiben, Max Klingers Werk recht-
zeitig und so vollzählig gesammelt zu haben, daß jeder,
der über den Meister als Griffelkünstler und Bildhauer
ein Urteil haben will, nach Leipzig kommen muß. Wäre
es der Direktion möglich gewesen, in früheren Jahren alle
Widerstände zu beseitigen, so sähe die Klingersammlung
sogar noch ganz anders aus.

Die Ausstellung ist sehr glücklich arrangiert. Den
Eintretenden grüßt in der Mitte des Saales der große
silberne Tafelaufsatz für das neue Leipziger Rathaus.
Rechts und links breiten sich an den Tischen Radierung
an Radierung, Zeichnung an Zeichnung. Auch eine ganze
Anzahl seiner malerischen und plastischen Werke, soweit
sie erreichbar waren, prangen an den Wänden. Sehr inter-
essant ist es, die gesamten Dekorationsstücke aus der
längst niedergerissenen Villa Albers in Steglitz, die sich
teils im Besitz der Nationalgalerie, teils der Hamburger
Kunsthalle, teils der Berliner Kunsthandlung Fritz Gurlitt
befinden, hier einmal zusammen zu sehen. Daß diese
Stücke in drei Windrichtungen zerstreut worden sind, ist
höchst bedauerlich und hätte unter allen Umständen ver-
mieden werden müssen. Denn jetzt hat man sich der
Möglichkeit beraubt, diesen Klingerschen Saal in seiner
ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Als bloße Einzel-
bilder in irgend einem Museum an der Wand hängend,
büßen die Bilder von ihrem Reiz ungemein viel ein. Sie
sind keine Rahmenbilder, sondern dekorative Füllungen
und Friese. Vielleicht entschließt sich eines der beiden
Museen, dem anderen seinen Besitz wieder abzutreten,
damit diese Malereien in ihrer ursprünglichen Form wieder
zu einem Saal vereinigt werden können.

Uber die ausgestellten graphischen Werke zu sprechen,
ist vor den Lesern der Kunstchronik nicht vonnöten, wenn-
gleich ich überzeugt bin, daß auch der schon in Klinger
sehr Erfahrene hier noch Entdeckungen machen wird.
Unter den Federzeichnungen nehmen die erste Stelle die
sechzig Blätter eines Skizzenbuches ein, das Klinger von
seinem sechzehnten bis zu seinem zwanzigsten Jahre ge-
führt hat. Glückliche Jugend, die schon so viel Welten
verschenken darf, ohne sich auszugeben!
 
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