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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Graul, Richard: Erweiterungs- und Neubauten bei den königlichen Museen in Berlin
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Rauch, Christian: Zwei unerkannte Bilder Grünewalds
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0148

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Zwei unbekannte Bilder Grünewalds

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und zum wissenschaftlichen Rufe unserer Nation, dann
gilt es schnell zu handeln und reichliche Mittel zu
bewilligen! Die herrlichen Zeiten schlanken Kunst-
raubes, die zur freilich ephemeren Schöpfung des
Musee Napoleon führten, die günstigen Erwerbungs-
möglichkeiten, denen das Britische Museum und das
Kensington-Museum ein gut Teil ihrer besten Kunst-
schätze danken, sind längst vorüber. Deshalb tut Eile
not und darf eine Entwickelung der Berliner Museen
nicht aufgehalten werden, die ihre Bedeutung für unsere
Nation und für die gebildete Welt überhaupt für alle
Zukunft sichern wird. RICHARD GRAUL.

ZWEI UNERKANNTE BILDER GRÜNEWALDS

Das Grünewald zugeschriebene Bild in der alten
Pinakothek (Katalog iyo4 Nr. 281) »Die Unterredung
des hl. Erasmus und Mauritius« — für mein Gefühl
was malerische Qualitäten anlangt, mit das bedeutendste
Werk deutscher Malerei jener Zeit — war bisher
nicht ganz leicht mit den übrigen Werken Grüne-
walds zusammenzubringen. Ich muß gestehen, daß
ich die Zweifel Woltmanns und Fleurents an dem
Grünewaldschen Ursprung des Bildes geteilt habe,
bis mir vor kurzem auf einer Studienreise, auf der
ich auch Grünewalds Werken nachging, zwei Flügel
eines Altars auffielen, die in jedem Betracht, im Ko-
lorismus wie in der Formengebung ein Bindeglied
zwischen dem Münchener Grünewald und etwa dem
Isenheimer Altar in Kolmar bilden. Es sind dies die
Flügel des Nikolausaltars in St. Lorenz in Nürnberg
(Nr. 11 des kleinen Hartmannschen Führers), die,
1,94X0,55 m groß, die Heiligen Nikolaus und Ladis-
laus darstellen1).

Koelitz (Hans Süß von Kulmbach, Leipzig 1891,
S. 69) schrieb die beiden Bilder Hans von Kulmbach
zu. Diesem gehören sie aber nicht an, wie gerade
der Vergleich mit dem bezeichneten Annenaltar in
derselben Kirche, den Koelitz ausdrücklich mit dem
unseren zusammennennt, beweist. Eher wären An-
klänge an unsere Bilder auf den Kulmbachs der alten
Pinakothek (Kat. Nr. 254—257), am ehesten davon
in dem hl. Willibald (257) zu entdecken. Aber auf
allen diesen Bildern2) hat Kulmbach wie immer eine,
bei aller Weichheit der Farbentöne innerhalb der
Konturen, doch im ganzen stark zeichnerische, ziem-
lich harte Formengebung eines Meisters, der sich trotz
koloristischer Reize eigentlich niemals zu wirklicher
Größe erhebt. In unseren Bildern aber lebt das be-
wußt auf Lösung spezifisch malerischer Probleme in
Licht und Farbe ausgehende Können eines großen
Malers. Beim hl. Nikolaus spielt das von links vorn
kommende Licht auf zart gebrochenen Farbentönen;
ebenso wie beim Isenheimer Altar wohl am frappan-
testen auf der Magdalena der Kreuzigung. Gegen
den dunklen Hintergrund gehen die Farben gleichsam

1) Der Mittelschrein enthält die lebensgroß geschnitzten
Figuren von St. Nikolaus und Ulrich.

2) Der Annenaltar ist 1523 bezeichnet, also wahrschein-
lich erst nach Kulmbachs Tode (1522) durch andere Hand
fertiggestellt worden.

phosphoreszierend los: das Blaugrün des Pluviale mit
der pikanten goldgelben Bordüre, das im Lichte gold-
gelb gebrochene Rot des Manipels, das Weiß der in
den Falten feinfühlig modellierten Alba und des Hals-
tuches. Das Antlitz alt und verhärmt und doch voll
verhaltener Glut in den klugen Augen, von weißen
Locken umrahmt, ist in graubräunlichen Tönen mo-

j deliiert; in derselben Pinselführung wie das Inkarnat
der Köpfe auf dem Münchener Bild. Auch die

! Technik in der Darstellung der Stickerei auf der Mitra
des Nikolaus ist genau die gleiche, wie auf der Mitra
des Münchener Erasmus und der Wappenstickerei
unten auf seiner Alba: breit malerische Behandlung,
die Flecken an Flecken setzt, ohne daß auch nur ein
Detail zu Ungunsten der naturalistischen Wirkung (auf
eine gewisse Distanz natürlich) unterdrückt wäre1).
In der eigentlichen Farbenwahl hängt dieses Bild ferner
aufs engste mit den Flügeln des durch seine Aufschrift
auf dem Rahmen für Grünewald beglaubigten Altars
in der Maria-Schneekapelle der Aschaffenburger Stifts-
kirche zusammen, die den hl. Martin und Georg
darstellen. Bei ihnen leuchten genau dieselben Farben
auf dunklem Grunde, soweit der traurige Zustand
der schändlich verstümmelten Bilder das erkennen
läßta). Die Ladislaustafel in Nürnberg ist in gewissem
Gegensatz zu der kontrastreicheren Haltung des Niko-
lausflügels, der bläulich-grünliche Akkorde auf einem
dunkelroten Vorhang zeigt, im ganzen auf einen
warmen roten Ton gestimmt, zu dem der grüne
Hintergrundvorhang wenig kontrastiert: die Haupt-
fläche gibt ein roter Mantel ab, das Inkarnat ist bräun-
lich modelliert, der Bart braun. Nächst verwandt
diesem Bilde sind die Kriegsknechte des Münchener
Unterredungsbildes, auch in der guten, ja virtuosen
Darstellung der Bewegung und dem ebenfalls auf Rot

! gestimmten Kolorit.

Leider sind diese kostbaren Bilder stark verschmutzt
und nachgedunkelt und bedürfen dringend einer vor-
sichtigen Reinigung. Daß diese den durch die Schmutz-
schicht natürlich beeinflußten künstlerischen Charakter
der Bilder wesentlich verändern würde, glaube ich
aber nicht. Vielleicht käme dabei das Monogramm
oder der Name des Meisters zutage. Sollte das ein
anderer sein wie Grünewald, so wäre es wunderbar,
wie weit er seine Individualität zugunsten Grünewalds
geopfert hätte. Vorläufig heißen die Bilder am besten
Grunewald. CHRISTIAN RAUCH.

1) Eine vorzügliche künstlerische Würdigung des Mün-
chener Bildes gibt Bock in seinem Orünewald, Straßburg
1904, S. 134 ff.

2) Ich glaube seit meiner letzten Untersuchung an Ort
und Stelle mit Sicherheit, daß diese neben dem alten Altar-
rahmen roh an die Wand genagelten Bilder die alten
Flügel des Altares sind. Daß dieser trotz seiner »Renais-
saws-Erscheinung« solche gehabt hat, konnte ich aus den
noch vorhandenen Zapfenlöchern und dem Riegelloch für
den Mittelverschluß an dem Rahmen feststellen, ferner
stimmt die unten noch erhaltene Breitendimension der
Flügel (jeder ca. 90 cm ohne Rahmen) zu der Rahmen-
breite des Mittelbildes von 1,99 m. (Fragment des Mittel-
bildes, von Bayersdorffer erkannt, in der Städt. Altertums-
sammlung zu Freiburg i. B.)
 
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