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Literatur
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liehe, mechanische Hilfsmittel seinen Köpfen erhöhten Aus-
druck zu verleihen aufgegeben und in seinem übrigens
schön empfundenen Gemälde sich Gabriel Max' Manier
bedient hat, um wie in dessen Christus seiner Maria den
Anschein von geschlossenen und doch wieder geöffneten
Augen zu geben. Bei Gelegenheit eines Besuches bei
Herrn Rudolph Hellwag hatte ich Gelegenheit, in dessen
Atelier eine Serie kürzlich vollendeter Gemälde zu sehen,
die als Früchte seines Aufenthaltes in Cornwall entstanden
sind und in ebenso eigenartiger Auffassung und Technik,
sowie durch ansprechendste Ausführung in naturgetreuer
Wahrheit Land-und Seeszenerien von Cornwall wiedergeben.
Von besonderen, für die Chronik zu registrierenden
Ereignissen nenne ich zunächst die Restaurierung der von
Rubens für die große Festhalle in Whitehall hergestellten
Deckengemälde, eine Apotheose König Jakobs I. darstellend.
Interessant ist der Umstand, daß Rubens die betreffende
Arbeit ungefähr ein Jahr lang vollendet bei sich behielt,
weil er von Karl I., dem Besteller des Gemäldes, keine
Zahlung erhalten konnte.
Die jetzt fertige und für das Publikum mit Ausnahme
des Donnerstag geöffnete Galerie, enthaltend 122 Werke
des verstorbenen Altmeisters Watts, liegt unweit seines
Landsitzes Limnerslease bei Compton in der Grafschaft
Surrey, woselbst auch eine Skulpturengalerie in der Er-
richtung begriffen ist. Mrs. Barrington, die eine viel intime
Details ihres Lehrers und Freundes Watts aufweisende
Biographie geschrieben hat und auch Lord Leighton sehr
nahe stand, gab über ihren Freund unter dem Titel >The
Life, Letters and Works of Frederic Leighton (George
Allen) »ein Buch in zwei illustrierten Bänden heraus, das
jedenfalls als das beste bezügliche Werk anerkannt werden
muß. Für uns besitzt die Lebensbeschreibung um so
größeres Interesse, als Leightons künstlerische Anfangs-
periode, als er unter Steinle im Städelschen Institut in
Frankfurt a. M. studierte, eine eingehende Würdigung erfuhr.
Herkomer wurde als Nachfolger Georg Clausens zum
Lehrer an der Königlichen Akademie ernannt. Nicht ohne
Interesse dürfte es sein, zu erfahren, daß an maßgebender
Stelle beschlossen wurde, im British Museum eine Samm-
lung von Gipsabgüssen antiker Werke anzulegen, und daß
als Grundstock für diese die im South-Kensington-Museum
aufbewahrten Arbeiten dienen sollen. Die National
Gallery, die durch Vermächtnis von Lady Hamilton in
den Besitz von Reynolds' Meisterwerk »Lady Cokburn and
her Children« gelangt war, aber durch einige Unregel-
mäßigkeiten in dem betreffenden Testament gezwungen
wurde, das Gemälde herauszugeben, ist nun durch die
Generosität des verstorbenen Mr. Beit, der das Bild für
800000 Mark von den rechtmäßigen Erben erwarb, wieder
in den Besitz desselben eingesetzt. Endlich habe ich den
kürzlich erfolgten Tod von Mr. C. L. Eastlake, Direktors
der »National Gallery«, zu berichten, unter dessen Amts-
tätigkeit das Institut namentlich Holbeins »Gesandten«,
drei Werke von Raffael, darunter die hl. Katharina und
die Ansidei-Madonna, sowie andere bedeutende Gemälde
von Moroni, Poussin, Velasquez und Rubens erlangte.
O. v, SCHLEINITZ.
LITERATUR
Berühmte Kunststätten Nr. 35 München von Artur
Weese. Mit 160 Abbildungen. Leipzig, E. A. Seemann
1906. Preis M. 4.—.
So viel Bücher gerade in dieser Zeit von der Eigenart
der bayerischen Hauptstadt handeln — Ruederers für das
nächste Jahr erwartetes temperamentvolles Bekenntnis wird
sich wohl am frischesten lesen — so schwer bleibt es, die
verschiedenen notwendigen Beobachtungsstandpunkte für
ein Gesamtbild zu vereinigen. Gewiß keine »alte Stadt«
in dem Sinne, daß die Monumente aus ein oder zwei
Stilepochen der ganzen Erscheinung das Gepräge aufdrücken
und ihren eigentlichen Wert bestimmen, gewiß kein Seiten-
stück zu Nürnberg, Rouen, Oxford oder Siena, ist München
doch reich an merkwürdigen Baudenkmalen, die sich nur
ein wenig suchen lassen. Gewiß nicht die erste Stadt der
deutschen bildenden, redenden und tönenden Künste, ist
München doch durch den falschen Ruf, billig zu sein, und
durch seine schönen Straßen, die für den schlenkernden
Schritt des Phantasten breit und meist leer genug sind,
eine Art Baumschule für Geistesheroen und solche, die es
werden wollen, geworden. Gewiß sind Münchens Museen
in keinem Betracht mehr die ersten Deutschlands, aber
die geringe Bedeutung, die Industrie und Politik dort haben,
läßt alles, was dort für die Kunst geschieht, groß und
wichtig erscheinen (Berlin wird man nie glauben, daß es
eine »Kunststadt« sei — auch wenn sich in 30 Jahren seine
Sammlungen an Zahl und Wert verdoppeln). Noch ein
anderer Gesichtspunkt ist die drohende Entwickelung Mün-
chens zur Fremdenstadt — möge der in seiner herben
Eigenart so reizvolle Ort vor dem Schicksale, ein deutsches
Luzern zu werden, bewahrt bleiben!
Das Buch des früher Münchener, jetzt Berner Uni-
versitätslehrers ist mehr auf Eindringen als auf Rundung
gestellt und gibt im wesentlichen eine Baugeschichte der
merkwürdigsten Monumente, von den ersten Anfängen der
Stadt bis zu der gewaltsamen Renaissance Ludwigs I. Mit
Feinheit wird bemerkt, daß gerade in München sich das
allmähliche Wachstum der Stadt wie an den Jahresringen
eines Baumstammes noch deutlich ablesen lasse — obgleich
ja weite Strecken lang kein Stein auf dem anderen ge-
blieben ist. Gut wird der bürgerliche Ernst der braven
Frauenkirche hervorgehoben, der ihr gegenüber manchem
weit reicheren gotischen Bauwerk die stärkere und bleiben-
dere Wirkung sichert. Der altbayerischen Malerei schenkt
Weese vielleicht nicht genug Beachtung, reich aber ist der
Abschnitt über die spätgotische Plastik, in dem besonders
die starke Persönlichkeit Erasmus Grassers, des Meisters
der vortrefflich bewegten, nur etwas karikierten Maruska-
tänzer im alten Rathaussaal bedeutend hervortritt. Ich
habe indessen das Gefühl, daß Weese dem Grasser ein
wenig zu viel zuschreibt: der Grabstein des Ulrich Are-
singer, die Grabplatte Kaiser Ludwigs und die des Bötsch-
ner haben eigentlich jeder eine besondere Art der Falten-
gebung und werden daher kaum alle von einer Hand sein.
Hübsch wird Albrecht V. als der erste Museumsgründer
Münchens eingeführt, und erfreulich wirkt die Abbildung
des Münzhofs von Egkl, der in seinem Bestreben, italienische
Formen im deutschen Sinne durchzubilden, bisher zu wenig
beachtet wurde. Die Eigenart der mächtigen Michaels-
kirche wird geschickt aus dem Geist der Gegenreformation
hergeleitet, und auf Grund einer von Ernst Bassermann-
Jordan veröffentlichten Archivnotiz der italienisierte Hol-
länder Friedrich Sushis als der Schöpfer ihres strahlenden
Interieurs angesprochen. Etwas kühn und auch von Weese
nur lächelnd vorgebracht ist der Gedanke, die Fassade, die
freilich genug an eines der vor 25 Jahren so beliebten »alt-
deutschen Büfetts« erinnnert, könne von dem Kunstschreiner
Wendel Dittrich herrühren. Lehrreich und überraschend
macht sich die aus Merian genommene Abbildung der
Residenzfassade Maximilians I.; leider war dieser feierliche
Reichtum von Säulenpfeilern und Kartuschen nur aufge-
malt und nicht wirklich. Als den leitenden Geist der
Münchener Spätrenaissance sieht auch Weese den Peter
Candid an, ohne aber den Forschungen Karl Trautmanns,
die mehr und mehr den Weilheimer Hans Krumper als
den ausführenden Architekten des Kaiserhoftraktes der
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liehe, mechanische Hilfsmittel seinen Köpfen erhöhten Aus-
druck zu verleihen aufgegeben und in seinem übrigens
schön empfundenen Gemälde sich Gabriel Max' Manier
bedient hat, um wie in dessen Christus seiner Maria den
Anschein von geschlossenen und doch wieder geöffneten
Augen zu geben. Bei Gelegenheit eines Besuches bei
Herrn Rudolph Hellwag hatte ich Gelegenheit, in dessen
Atelier eine Serie kürzlich vollendeter Gemälde zu sehen,
die als Früchte seines Aufenthaltes in Cornwall entstanden
sind und in ebenso eigenartiger Auffassung und Technik,
sowie durch ansprechendste Ausführung in naturgetreuer
Wahrheit Land-und Seeszenerien von Cornwall wiedergeben.
Von besonderen, für die Chronik zu registrierenden
Ereignissen nenne ich zunächst die Restaurierung der von
Rubens für die große Festhalle in Whitehall hergestellten
Deckengemälde, eine Apotheose König Jakobs I. darstellend.
Interessant ist der Umstand, daß Rubens die betreffende
Arbeit ungefähr ein Jahr lang vollendet bei sich behielt,
weil er von Karl I., dem Besteller des Gemäldes, keine
Zahlung erhalten konnte.
Die jetzt fertige und für das Publikum mit Ausnahme
des Donnerstag geöffnete Galerie, enthaltend 122 Werke
des verstorbenen Altmeisters Watts, liegt unweit seines
Landsitzes Limnerslease bei Compton in der Grafschaft
Surrey, woselbst auch eine Skulpturengalerie in der Er-
richtung begriffen ist. Mrs. Barrington, die eine viel intime
Details ihres Lehrers und Freundes Watts aufweisende
Biographie geschrieben hat und auch Lord Leighton sehr
nahe stand, gab über ihren Freund unter dem Titel >The
Life, Letters and Works of Frederic Leighton (George
Allen) »ein Buch in zwei illustrierten Bänden heraus, das
jedenfalls als das beste bezügliche Werk anerkannt werden
muß. Für uns besitzt die Lebensbeschreibung um so
größeres Interesse, als Leightons künstlerische Anfangs-
periode, als er unter Steinle im Städelschen Institut in
Frankfurt a. M. studierte, eine eingehende Würdigung erfuhr.
Herkomer wurde als Nachfolger Georg Clausens zum
Lehrer an der Königlichen Akademie ernannt. Nicht ohne
Interesse dürfte es sein, zu erfahren, daß an maßgebender
Stelle beschlossen wurde, im British Museum eine Samm-
lung von Gipsabgüssen antiker Werke anzulegen, und daß
als Grundstock für diese die im South-Kensington-Museum
aufbewahrten Arbeiten dienen sollen. Die National
Gallery, die durch Vermächtnis von Lady Hamilton in
den Besitz von Reynolds' Meisterwerk »Lady Cokburn and
her Children« gelangt war, aber durch einige Unregel-
mäßigkeiten in dem betreffenden Testament gezwungen
wurde, das Gemälde herauszugeben, ist nun durch die
Generosität des verstorbenen Mr. Beit, der das Bild für
800000 Mark von den rechtmäßigen Erben erwarb, wieder
in den Besitz desselben eingesetzt. Endlich habe ich den
kürzlich erfolgten Tod von Mr. C. L. Eastlake, Direktors
der »National Gallery«, zu berichten, unter dessen Amts-
tätigkeit das Institut namentlich Holbeins »Gesandten«,
drei Werke von Raffael, darunter die hl. Katharina und
die Ansidei-Madonna, sowie andere bedeutende Gemälde
von Moroni, Poussin, Velasquez und Rubens erlangte.
O. v, SCHLEINITZ.
LITERATUR
Berühmte Kunststätten Nr. 35 München von Artur
Weese. Mit 160 Abbildungen. Leipzig, E. A. Seemann
1906. Preis M. 4.—.
So viel Bücher gerade in dieser Zeit von der Eigenart
der bayerischen Hauptstadt handeln — Ruederers für das
nächste Jahr erwartetes temperamentvolles Bekenntnis wird
sich wohl am frischesten lesen — so schwer bleibt es, die
verschiedenen notwendigen Beobachtungsstandpunkte für
ein Gesamtbild zu vereinigen. Gewiß keine »alte Stadt«
in dem Sinne, daß die Monumente aus ein oder zwei
Stilepochen der ganzen Erscheinung das Gepräge aufdrücken
und ihren eigentlichen Wert bestimmen, gewiß kein Seiten-
stück zu Nürnberg, Rouen, Oxford oder Siena, ist München
doch reich an merkwürdigen Baudenkmalen, die sich nur
ein wenig suchen lassen. Gewiß nicht die erste Stadt der
deutschen bildenden, redenden und tönenden Künste, ist
München doch durch den falschen Ruf, billig zu sein, und
durch seine schönen Straßen, die für den schlenkernden
Schritt des Phantasten breit und meist leer genug sind,
eine Art Baumschule für Geistesheroen und solche, die es
werden wollen, geworden. Gewiß sind Münchens Museen
in keinem Betracht mehr die ersten Deutschlands, aber
die geringe Bedeutung, die Industrie und Politik dort haben,
läßt alles, was dort für die Kunst geschieht, groß und
wichtig erscheinen (Berlin wird man nie glauben, daß es
eine »Kunststadt« sei — auch wenn sich in 30 Jahren seine
Sammlungen an Zahl und Wert verdoppeln). Noch ein
anderer Gesichtspunkt ist die drohende Entwickelung Mün-
chens zur Fremdenstadt — möge der in seiner herben
Eigenart so reizvolle Ort vor dem Schicksale, ein deutsches
Luzern zu werden, bewahrt bleiben!
Das Buch des früher Münchener, jetzt Berner Uni-
versitätslehrers ist mehr auf Eindringen als auf Rundung
gestellt und gibt im wesentlichen eine Baugeschichte der
merkwürdigsten Monumente, von den ersten Anfängen der
Stadt bis zu der gewaltsamen Renaissance Ludwigs I. Mit
Feinheit wird bemerkt, daß gerade in München sich das
allmähliche Wachstum der Stadt wie an den Jahresringen
eines Baumstammes noch deutlich ablesen lasse — obgleich
ja weite Strecken lang kein Stein auf dem anderen ge-
blieben ist. Gut wird der bürgerliche Ernst der braven
Frauenkirche hervorgehoben, der ihr gegenüber manchem
weit reicheren gotischen Bauwerk die stärkere und bleiben-
dere Wirkung sichert. Der altbayerischen Malerei schenkt
Weese vielleicht nicht genug Beachtung, reich aber ist der
Abschnitt über die spätgotische Plastik, in dem besonders
die starke Persönlichkeit Erasmus Grassers, des Meisters
der vortrefflich bewegten, nur etwas karikierten Maruska-
tänzer im alten Rathaussaal bedeutend hervortritt. Ich
habe indessen das Gefühl, daß Weese dem Grasser ein
wenig zu viel zuschreibt: der Grabstein des Ulrich Are-
singer, die Grabplatte Kaiser Ludwigs und die des Bötsch-
ner haben eigentlich jeder eine besondere Art der Falten-
gebung und werden daher kaum alle von einer Hand sein.
Hübsch wird Albrecht V. als der erste Museumsgründer
Münchens eingeführt, und erfreulich wirkt die Abbildung
des Münzhofs von Egkl, der in seinem Bestreben, italienische
Formen im deutschen Sinne durchzubilden, bisher zu wenig
beachtet wurde. Die Eigenart der mächtigen Michaels-
kirche wird geschickt aus dem Geist der Gegenreformation
hergeleitet, und auf Grund einer von Ernst Bassermann-
Jordan veröffentlichten Archivnotiz der italienisierte Hol-
länder Friedrich Sushis als der Schöpfer ihres strahlenden
Interieurs angesprochen. Etwas kühn und auch von Weese
nur lächelnd vorgebracht ist der Gedanke, die Fassade, die
freilich genug an eines der vor 25 Jahren so beliebten »alt-
deutschen Büfetts« erinnnert, könne von dem Kunstschreiner
Wendel Dittrich herrühren. Lehrreich und überraschend
macht sich die aus Merian genommene Abbildung der
Residenzfassade Maximilians I.; leider war dieser feierliche
Reichtum von Säulenpfeilern und Kartuschen nur aufge-
malt und nicht wirklich. Als den leitenden Geist der
Münchener Spätrenaissance sieht auch Weese den Peter
Candid an, ohne aber den Forschungen Karl Trautmanns,
die mehr und mehr den Weilheimer Hans Krumper als
den ausführenden Architekten des Kaiserhoftraktes der