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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Heidrich, Ernst: Eine deutsche Kopie vom Jahre 1518 nach Michelangelos Pietà
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Bredius, Abraham: Noch zu Simon Marmion
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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon des Champ de Mars
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0213

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Eine deutsche Kopie vom Jahre 1518 nach Michelangelos Pietä - Noch zu Sim

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starken Erlebnis, als Teilinhalt eines den ganzen Men-
schen erschütternden seelischen Vorgangs begriffen
werden könnte. Man wird statt dieses Zusammen-
haltens der Stimmung vielfach nur ein bedeutungs-
loses Spielen und Kräuseln der Linie (im Gewand)
oder eine nüchterne Deutlichkeit der Form (im Körper)
finden. Aus diesem Mangel an Durchdringung, Kon-
zentriertheit, der ja gewiß auch wieder eine gewisse
Gesamtstimmung hervorbringt, erklärt sich der Ein-
druck der Befangenheit, den das Ganze doch wohl
auf den Beschauer machen dürfte: daß ein persön-
liches Leben nur erst unsicher, wie träumend zum
Vorschein kommt. In der Tat bedeutet ja doch diese
Epoche für Deutschland durchaus eine Zeit unruhigen
Werdens, nicht den Abschluß und die Vollendung
einer bestimmten Richtung menschlicher Kultur, wie
das für die gleichzeitige italienische Hochrenaissance
zu gelten hat.

Die Frage, ob nun der Meister des Mainzer Epi-
taphs selbst in Italien gewesen ist, ob also seine eigene
oder eine fremde Zeichnung nach Michelangelos Pietä
von ihm benutzt worden ist, ist natürlich mit voller
Sicherheit nicht eher zu entscheiden, als bis wir von
dem Künstler selbst und anderen Werken seiner Hand
bestimmtere Kunde haben. Doch hängt von der
Entscheidung dieser Frage in der Hauptsache nicht
gar so viel ab.

Der Vollständigkeit halber sei auch der Neben-
figuren des Reliefs noch kurz gedacht. Wenn man
für den Johannes vielleicht noch halbwegs vergleich-
bare Analoga in italienischen Werken nachzuweisen
vermöchte, so ist die Magdalena dagegen in ihrer
Bewegung (von der Tracht ist natürlich ganz abzu-
sehen) durchaus unitalienisch: sie ist den Figuren von
patronisierenden Heiligen nahe verwandt, wie sie etwa
auf den rechten Flügeln der München-Kölner Altar-
werke des Meisters vom Tode Mariä sich finden.
Ob dieser Ubereinstimmung irgendwelche Bedeutung
für die Erkenntnis der künstlerischen Herkunft des
Meisters zukommt, mag auf sich beruhen. Die
Figurenkomposition des Reliefs im Ganzen wider-
strebt ebenso, wie die Pietä selbst allen italienischen
Rhythmen.

Von einer wirklichen Rivalität der deutschen mit
der italienischen Kunst kann bei diesem Mainzer
Epitaph noch nicht die Rede sein, so nämlich, daß
die besondere Art der italienischen Bilddarstellung
planmäßig und im Wetteifer mit den italienischen
Künstlern aufgenommen würde. Mehr noch Benutzung
als wirkliche Nachschöpfung italienischer Formen
und daher eine knappe, fast dürftige Reduktion der
originalen Bildung gegenüber den späteren üppig
wuchernden Übertreibungen der italienischen Körper-
behandlung — es ist noch deutsche, nationale Kunst,
naiv und lebendig in der ganzen Schaffenstendenz,
ohne den gelehrten, unfreudigen Ton des Manieris-
mus, nur eben eins jener Vorzeichen der in der Folge
schnell eintretenden Internationalisierung auch der
deutschen Kunst unter der Führung Italiens.

NOCH ZU SIMON MARMION1).
Wenn man aufmerksam das vortreffliche Werk
von Monseigneur Dehaisnes2) durchliest, kommt man
doch wohl beinahe zur Gewißheit, daß die Berliner
Bilder von Marmion gemalt sind. Und dabei fällt
mir auf, was in Mannions Grabschrift gesagt wird.
Diese wurde von dem Chronikschreiber Philipps des
Schönen, Jean Molinet, gemacht und von der Tombe
graviert. Darin heißt es:

Ciel, soleil, feu, ayr, mer, terre visible,
Metaulx, bestaulx, habitz rouges, bruns, pers,
Bois, bledz, Campz, pretz et toutte rien pingible,
Par art fabrille ay attainet le possible
Autant ou plus que nulz des plus expers,
Tant vivement que nul bruict je n'y pers
Car j'ay pourtraict tel mort gisant soubz lame
Qu'il sambloit vif et ne rester que l'äme.

Les yeulx ont prins doulce refection

En nies exploictz, tant propres et exquis

Qu'Uz ont donne grande admiration

Ryant object et consolation

Aux empereurs, roix, comtes et marquis.

J'ay decore, par art et sens acquis,

Libvres, tableaux, cappelles et autelz

Telz que pour lhors ne sont ghaires (guere) de telz.

Painctres mortels, qui prendez patronnaiges

Sur mes couleurs noires, vertes ou blances

Quand vous aurez pourtraict vos personnaiges

Apres les miens, dont sont grandz les sonnaiges (das Lob)

Ottroies moy vos doulces bienveillances.

Priez aux Sainctz dont j'ai faict les semblances

Que Peterne! painetre pardon me face

Sy que lassus je tire apres sa face.

u. s. w.

Es ist eigentümlich, daß besonders erwähnt wird,
daß er das Meer gemalt hat (vergleiche Nr. 9 der
Neapeler Tafel, eine richtige Marine schon) und daß
das Schwarz die erste Farbe ist, die genannt wird,
und bei den Kleidern das Rot. (Vergleiche das von
mir erwähnte tiefe Schwarz und das schwache Karmin-
rot.) Marmion starb 1489. Die Altartafel in Neapel
wurde höchstwahrscheinlich zwischen 1460 und 1480
gestiftet.

Hoffentlich findet man noch einmal in den Ar-
chiven Neapels etwas Näheres über das hochbedeutende
Kunstwerk. a. bredius.

DER SALON DES CHAMP DE MARS.

Diese Bezeichnung werde ich mir doch endlich
abgewöhnen müssen, denn es ist jetzt schon neun
Jahre her, daß die Ausstellung der Societe nationale
zum letzten Male am Marsfelde stattgefunden hat.
Jetzt hausen die feindlichen Brüder längst unter einem
Dache, wenn auch durch eine dünne Schranke von-
einander getrennt. Und nicht nur körperlich hat sich
diese Einigung vollzogen, man darf auch von einer

1) S. Kunstchronik Nr. 20, 29. März.

2) Recherches sur le Retable de Saint-Bertin et sur
Simon Marmion. Lille, L. Quarre, Libraire, 64 Grand Place
1892.
 
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