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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Bredius, Abraham: Das Hauptwerk von Simon Marmion
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0162

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag- von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang

1906/1907

Nr. 20. 29. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitsohrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DAS HAUPTWERK VON SIMON MARMION

In der Kirche S. Pietro Martire in Neapel befindet
sich in der vierten Seitenkapelle links ein Gemälde,welches
in Baedekers letzter Ausgabe »Die Legende des hl.
Vinzenz, ein gutes Werk der vlämisch-napolitanischen
Schule^ genannt wird. Es ist verhüllt; die ganze
Kapellenreihe links wird (Einstürzens halber?) mit Holz
gestützt. Als man die Hülle für mich fortzog, war
es nicht schwer, in diesem aus zehn Bildern bestehen-
den Altargemälde die Hand des Simon Marmion —
oder seien wir noch vorsichtig — die Hand des
Meisters der Bilder aus St. Bertin in Berlin, seinerzeit
im Haag im Palais des Prinzen Frederik, zu erkennen.
Dieser Zyklus stellt den hl. Vinzenz und Szenen aus
seinem Leben dar.

Das Bild hat diese Einteilung:

Nr. 1 stellt den Heiligen dar, fast lebensgroß,
nach rechts gewandt, mit aufgehobener Rechten, in
der Linken ein aufgeschlagenes Buch haltend, in Do-
minikanerkleidung. Er steht vor einer Nische, welche
oben in einer Muschelform endigt.

Nr. 2 und Nr. 6, die obersten Bildchen, stellen
zusammen die Verkündigung dar, Nr. 2 den Engel,
nach rechts blickend, 6 die Madonna, demütig vor
sich sehend.

Nr. 3. Der Heilige und noch ein Dominikaner
unterhalten sich mit einer weiblichen Persönlichkeit.

Nr. 4. Der Heilige predigt einer ziemlich zahl-
reichen Schar andächtiger Zuhörer, mit interessanten
Köpfen.

Nr. 5. Der kniende Heilige hat eine Vision der
hl. Jungfrau mit dem Kinde.

Nr. 6. Die eben erwähnte hl. Jungfrau, dem der
Engel eben die Verkündigung gebracht.

Nr. 7. Der Heilige verrichtet ein Wunder. Vor
ihm liegt ein totes Kind, in Stücken. Daneben ein
nacktes Kind in Anbetung. (Soll wohl dasselbe Kind,
wieder lebendig geworden, darstellen.) Dahinter die
Eltern.

Nr. 8. In einer gotischen Kirche erscheint der
Heiland, in blaßkarminrotem Gewand, dem knienden
Heiligen.

Nr. 9. Der Schiffbruch. In einer interessanten,
an Patinir erinnernden Landschaft mit Felsen (auf
einem derselben ein großes Schloß) sieht man ein
scheiterndes Schiff. Oben in den Wolken, klein, der
erscheinende Heilige.

Nr. 10—12. Die aus drei Teilen bestehende Pre-
della. Nr. 10. Der Heilige heilt Kranke, worunter
eine von drei Personen festgehaltene Frau. Nr. 11.
Sonderbare Darstellung. Eine schwarzgekleidete Dame
kniet vor einem Altar. Vor ihr eine große schwarze
Draperie. Auf dem Altar rechts eine Statue der Ma-
donna (?) zwischen zwei Engeln. Hinter ihr eine Frau.
Ganz hinter ihr links tritt ein Mann hervor aus einer
ihn verdeckenden Gardine. Eins der schönsten der
Bilder, von einer prächtigen Färbung, ganz Ton-
malerei; der Kopf des Mannes vortrefflich. Tiefes
Schwarz. Der gestorbene Heilige; umgeben von vier
ganz in Weiß gekleideten Mönchen. Er liegt auf-
gebahrt; an seinem Fußende, rechts, steht ein Bischof,
die Messe lesend. Auch eine treffliche Szene, ganz
und gar erinnernd an die Berliner Bilder.

Es sind in diesem Gemälde fast keine Lokalfarben
oder ganz gedämpfte, ein schwaches Karminrot haupt-
sächlich und schönes, tiefes Schwarz. Ein warmer
bräunlicher Gesamtton. Schwärzliche Schatten im
Fleisch. Die drei untersten Bilder, zusammen ein
Panneau bildend, sind getrennt durch eine hellbraun
gemalte Architektur mit [~1 I LJ 1 f~l f"~| die-
sem Gesims. Auffallend auch hier ist die Lust an
der Genremalerei; jedes Bild ist ein Meisterstück der
erzählenden Malerei. Nichts von einer miniaturartigen
Kunst des Memling, dem die Berliner Bilder früher
 
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