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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Wustmann, Rudolf: Die Josephgeschichte bei Vondel und Rembrandt
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0051

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83

Zu Rembrandt

84

Als Joseph am Schlüsse des vierten Aktes entflieht,
schlägt ihre Liebesraserei in Rachsucht um; der fünfte
Akt bringt dann die falschen Anklagen, erst vor den
Staatsjoffers durch die alte Amme, und dann vor
Potiphar durch Jempsar selbst: bei ihren letzten Worten
tritt Joseph herzu, Potiphars nun ausbrechende Wut
läßt ihn so gut wie nicht zu Worte kommen. Von
diesem Auftritt zu dreien, den Rembrandt 1655 zwei-
mal gemalt hat — das Berliner Bild ist durchgedachter
als das Petersburger — weiß die Bibel nichts. Wenn
der Schauspieler des Joseph nicht ein Stock war, muß
er Gesten zu Hülfe genommen haben, wie Joseph
sie auf Rembrandts beiden Bildern zeigt. Sehr ähn-
liches könnte übrigens auch die Vertooning zu Beginn
dieses fünften Aktes gezeigt haben.

Beiläufig: das verheiratete, aber von Liebesleiden-
schaft zu einem andern Manne ergriffene vornehme
Weib (Phädra, Jempsar), dem die Bühnendichter eine
hilfreiche alte Amme zur Seite geben, ist vielleicht
auch der Gegenstand von der Petersburger soge-
nannten Danae? Vondel könnte von einem Bilde
wie diesem Rembrandtschen angeregt worden sein,
als er am Beginn des zweiten Aktes Jempsar, halb
bloß auf dem Lager — dem gülden stoelbed, wie es
im Hippolyt (1628) heißt —, aus unruhigem Liebes-
traum erwachend, zusammen mit der sie beobachtenden
Amme auf die Bühne brachte. Vondels Messalina-
drama ist leider nicht erhalten.

Der Sofompaneas — dies ist Josephs ägyptischer
Name — des Hugo Grotius, dessen holländische
Übertragung Vondel 1635 veröffentlichte und der
später als Schlußstück der Trilogie benutzt wurde,
handelt davon, wie Josephs Brüder nach Ägypten
kommen und er sich ihnen, nachdem er sie geprüft
hat, zu erkennen gibt. Im dritten Akt, noch vor der
Erkennung, läßt der Dichter Simeon und Juda eine
Galerie mit Wandgemälden betrachten, Juda befragt
über die Darstellungen und Simeon gibt Auskunft.
Gleich vor dem ersten Bilde heißen Judas Worte:

Wat wil het, dat die vrouw, in 't aanzicht zoo verbaasd,
Van groote gramschap blaakt, en t' hair gesleurd laat hangen,
En rukt den jongeling, met nat betraande wangen,
Den mantel van het lijf, terwijl hij voor haar vlucht?

Also eine wenigstens angedeutete drastische Darstel-
lung — man darf sich auch die Schauspielkunst der
holländischen Renaissance nicht zimperlich vorstellen
— des Höhepunktes von Jempsars Liebesleidenschaft,
wie sie Rembrandt damals radierte. Auch hier wieder
werden wir auf das Neben- und Beieinander von
Bild- und Bühnenkunst hingewiesen.

Nachdem im vierten Akt des Sofompaneas die
Erkennung stattgefunden hat, besteht der fünfte fast
nur aus Zukunftsbildern: Pharao bedenkt Joseph mit
neuen Ehren, dieser bittet, daß sein Vater mit seinem
Geschlecht nach Gosen kommen dürfe, Pharao sagt
es zu, und Joseph prophezeit fernere hebräisch-ägyp-
tische Beziehungen bis zum Einzug des Jesuskindes.
Wir wissen nicht, was als Vertooning zu Beginn dieses
Aktes gezeigt wurde, wahrscheinlich eines dieser Zu-
kunftsbilder, vielleicht der Segen Jakobs. Das Bild
Rembrandts in Kassel, das diesen darstellt, ist jeden-

falls wiederum kein bloßes Ergebnis von Rembrandts
Bibellektüre, sondern die Josephdramen sind auch hier
im Spiele. Der nach beiden Seiten auseinanderge-
zogene Vorhang der Innenbühne zeigt einen engen
Raum, der, wie oft in den Dramen, zum größten Teil
durch das Prunkbett ausgefüllt ist. Jakob segnet seine
Enkel, Joseph, im Theaterprachtkostüm, unterstützt die
Hand des Greises; zur Abrundung der Gruppe dient
Asnath, wie die Bibel Josephs Frau nennt, die ihrer
übrigens bei dieser Szene nicht gedenkt, oder Asnethe,
wie Vondel sie nennt und wie sie im Sofompaneas
bedeutend gemacht wird. Mit dieser herrlich gemalten
feierlich-trauten Szene schloß Rembrandt 1656 seine
Josephtrilogie.

Zweierlei wird an dem landläufigen Bilde Rem-
brandts durch diese Beobachtungen und Erwägungen
geändert: seine oft gepriesene absolute und naive Bibel-
vertrautheit erscheint' in deutlich beschränkender Be-
leuchtung, und seine angebliche Einsamkeit innerhalb
der Kultur seiner Zeit wird zum Märchen. Gerade die
Höhe der Seelenkunde dieser Zeit, wie sie sich in
Vondels Renaissancedramen offenbart, hat es Rem-
brandt angetan gehabt; er stellt sich selbstbewußt
neben sie, vertraut wie wenige mit der Bibel, aber in
ihrer Exegese nicht unabhängig von der Bühnen-
kunst seiner Tage. Mag dadurch seine bildnerische
Kraft nicht mehr ganz so subjektiv und isoliert er-
scheinen wie bisher, seine malerische bleibt trotzdem
einzig. RUDOLF WUSTMANN.

ZU REMBRANDT.

In der zweiten Auflage des Kataloges der Rem-
brandt-Ausstellung im Städelschen Kunstinstitut zu
Frankfurt a. M. habe ich zu B. 74 folgende im Nach-
stehenden etwas geänderte Erläuterungen gegeben:

Das »Hundertguldenblatt«, auch »Die große
Krankenheilung« genannt. Um 1649; wahrscheinlich
schon Ende der dreißiger Jahre begonnen. Das
»Hundertguldenblatt« ist die Illustration zum 19. Kapitel
des Evangeliums Matthäi. Links sieht man die
Pharisäer und Jünger Christi im eifrigen Wechsel-
gespräch wegen der vernommenen Worte über die
Untrennbarkeit der Ehe, dann folgen die Mütter, die
ihre Kinder bringen, zu Füßen Jesu hockt der reiche
Jüngling, harrend bis er seine Fragen an den Weisen
stellen kann; das später im Kapitel nur sinnbildlich
gebrauchte Kamel sieht man in der hohen Torwölbung
stehen. Der Name »Die Krankenheilung« ist fallen
zu lassen, da die Kranken nur dazu dienen, um Christi
Liebe zu den Kindern noch mehr zum Ausdrucke zu
bringen. Die linke Hand Christi — die anfangs eine
ganz andere Stellung eingenommen hat — und einiges
andere erfahren zum Zwecke besserer Gesamtwirkung
Änderungen; der Vorgang spielt im Freien, doch
wurde der Hintergrund und viele Figuren verdeckt,
um das Auge nicht abzulenken. —

Näher begründet ist diese Deutung in meinem
Feuilleton in der Frkftr. Ztg. vom 24. Juli d. Js.; sie
stützt sich vor allem auf die meines Wissens früher
nicht beobachtete Tatsache, daß die nun unnatürliche
Haltung des linken Armes Jesu früher eine ganz
 
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