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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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St. Petersburger Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0242

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 29. 28. Juni.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

= Die nächste Nummer der Kunstchronik, Nr. 30, erscheint am 19. Juli = -

ST. PETERSBURGER BRIEF

Die Ausstellungssaison begann heuer auffallend
früh. Bereits im Oktober wurde die »Erste Herbst-
ausstellung« in der Passage eröffnet. Sie entpuppte
sich als Dilettantenunternehmen, jedenfalls war Dilet-
tantenhaftigkeit ihre Signatur. Die Versuche Kalmakbws,
in symbolistisch-phantastischem Stile zu arbeiten, sind
ebenso dilettantisch wie die gänzlich unklar gefaßten
und technisch unreifen »Variationen über das Thema
Leben« des jungen Dmitrljew, der von einem Teile
der Tagespresse als malerisches Wunderkind ausge-
rufen wurde; daß wohlwollende Kunstfreunde in diese
Skizzen viel hineingesehen haben und aus ihnen
viel Hoffnung für die Zukunft schöpften, darf daran
nicht irre machen. Dann folgte die angebliche Aus-
stellung von Werken des Landschafters J. Schischkin
in den Sälen der Gesellschaft der Kaiserlichen Gesell-
schaft zur Förderung der Künste. Schischkin ist zu
Lebzeiten ebenso überschätzt worden, wie er nunmehr
unterschätzt wird. Wie alle seine Mitstrebenden im
Kreise der Wanderaussteller hat er die russische rea-
listische Malerei um ein gewisses, ihm speziell liegen-
des Gebiet bereichert und zwar war dies die duftige
Poesie des nordischen Tannenwaldes. Jeder Besucher
der Städtischen Tretjaköwgalerie in Moskau wird treff-
liche Proben davon im Gedächtnis behalten haben.
In späteren Jahren wiederholte Schischkin die einmal
gefundenen Farben-, Licht- und Stimmungseffekte ins
Unendliche und die minderwertigsten Arbeiten und
Studien aus jener späten stereotypen Zeit schienen
den Grundstock der Ausstellung gebildet zu haben.
Neben ihnen sah man die allbekannten Radierungen
des Künstlers, denen grade seine starken Seiten, Farben
und Beleuchtung, mangeln. Nicht besser stand es
um die Vertretung der Zeitgenossen Schischkins.
Selbst der frühverstorbene Fedor Wassüjew, der talent-
vollste Landschafter unter den Wanderern, war auf-
fallend schwach vertreten. Kramskois Porträt Schisch-
kins gehört zu seinen schwächsten Arbeiten, was auch
von E. Repins Schischkinbildnis gesagt werden muß.
Von auswärtigen Künstlern waren W. v. Kaulbach,
F. v. Kobell und AI. Calame durch ganz unerträgliche
Proben vertreten, was um so bedauerlicher ist, da es
in Petersburg selten westeuropäische Bilder des 19. Jahr-

hunderts zu sehen gibt. Dem Andenken Schischkins
war durch diese Ausstellung wenig gedient.

Der Ausstellung des Russischen Künstlerbundes
sah man mit Spannung entgegen. Seit unsere Se-
zessionisten von übereifrigem Sturm und Drang zu
abgeklärteren Leistungen fortgeschritten sind, anderer-
seits aber auch das Publikum mehr Verständnis für
die modernen Probleme gewonnen hat, pflegt die
Ausstellung des Bundes als der Clou der Kunstsaison
betrachtet zu werden. Leider konnte der diesjährige
Erfolg sich nicht entfernt mit dem vorjährigen messen.
Ziemlich alle Aussteller blieben hinter den gehegten
Erwartungen zurück. Als rühmliche Ausnahme muß
Leon Bakst genannt werden, der sich energisch heraus-
arbeitet. Sein Porträt der Frau B. ist sowohl in der
Charakteristik wie in der koloristischen Auffassung
und Sicherheit der Technik eine sehr respektable
Leistung. Bakst hat bereits manche gute Porträts
geschaffen, daß sein Talent auch das Landschaftliche
beherrscht, beweisen seine »Sonnigen Tage«, eine
Montblancansicht, und die savoyische Landschaft, die
er »Regentag« benennt. Ganz ins Phantastische streift
Bakst mit seinem »Elysium«. Gewisse räumliche
Inkommensurabilitäten im Bilde haben harten Tadel
wachgerufen. Bedenkt man aber, daß es als Variante
eines Theatervorhanges gemeint ist, so dürften alle
diese Einwände schwinden. In der Hauptsache ist die
visionäre Stimmung vortrefflich festgehalten und in
koloristischer Beziehung sehr gut ausgedrückt. Neben
anderen guten Proben hat Bakst durch diese drei
Gemälde bewiesen, daß er durchaus im Fortschreiten
und in kräftiger Entwickelung begriffen ist. Als voll-
ständiger Mißgriff der Ausstellungsleitung muß die
posthume Ausstellung von Werken Fedor Wladimi-
rowitsch Bötkins bezeichnet werden, die der Ausstellung
des Künstlerbundes angegliedert war. Die in drei Va-
riationen wiederholten nackten Frauen am Flusse, offen-
bar auf Anregungen Puvis de Chavannes' zurückgehend,
sind ganz dilettantisch in der Auffassung, erst recht die
zahlreichen Studien nach Frauenköpfen, die ein rast-
loses Suchen nach Anlehnung von assyrischer Starr-
heit bis zu impressionistischer Verschwommenheit ver-
raten. Beim Künstlerbund hatte auch Jan Ciaglinski
ausgestellt. Ciaglinski hatte man in den letzten Jahren
auf unseren Ausstellungen vermißt und erwartete
 
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