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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Literatur

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Residenz erscheinen lassen, Gehör zu versagen. In dem
wieder, der Vorliebe des Autors gemäß, reich durchge-
führten Abschnitt über die Erzplastik dieser großen Epoche
wird mit Recht die so ungünstige Aufstellung des mäch-
tigen Kaiser-Ludwig-Mausoleums in der Frauenkirche be-
mängelt. Wie würde man in Italien oder Frankreich sich
bemühen, ein solches Werk, das nicht allzu weit hinter
dem Innsbrucker Kaiser-Max-Grab rangiert, zur Geltung
zu bringen! Viel liebenswürdiger freilich ist die schlanke
Bavaria auf dem Rundtempelchen im Hofgarten; auch sie
wird wegen ihres hohen Standortes selten gut gesehen, so daß
die treffliche beigegebene Abbildungfreudig zu begrüßen ist.

Erscheint die italienische Formenwelt in den Münche-
ner Werken selbst eines Candid und Sustris noch ein
wenig »ins Deutsche übersetzt«, so dringt in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem Bau der Theatiner-
kirche das römische Barock ungemildert in München ein.
Treffend nennt Weese die Michaelskirche ein Kind der
römischen Gesü, die Theatinerkirche, die mit den merk-
würdigen Voluten ihrer grünen Türme und der zurückge-
schobenen Kuppel das Stadtbild fast mehr noch als der
alte Frauendom beherrscht, einen Sprossen von Sanf An-
drea della Valle. — Mit der Regierung Max Emanuels
gelangt dann der französische Stil zur Herrschaft. Schleiß-
heim wird das bayerische Versailles, mit seiner heute so
merkwürdig verschlafenen Stimmung ein rechtes Denkmal
des kurfürstlichen Kaisertraumes, Nymphenburg das Trianon
der Wittelsbacher. Die Seiten über Cuvillies' Amalienburg,
vor deren schimmernder glitzernder Pracht man an Ra-
meaus Gavotten, an Mozartsche Menuetts, an schäumenden
Sekt in geschliffenem Kristall, zierlich halbgeschälte Oran-
gen und tief ausgeschnittene rosenrote Atlasroben denkt,
sind wohl die eindrucksvollsten des Weeseschen Buches.
Der tiefe Fall, den wenigstens in Deutschland Empire,
Klassizismus und Historismus gegenüber dem Rokoko be-
deuten, wird vielleicht an wenigen Stellen so offenbar, wie
bei einer Vergleichung der Innenräume des Münchener
Residenztheaters, Cuvillies' anderer Meisterschöpfung, und
des Hoftheaters: hier überall eigenwillig bestimmte Form,
selbständiges Sehen, innerste Redlichkeit des Charakters,
dort erschreckende seelenlose Raumleere. Ich fürchte,
Weeses Versuch, für den massiven kunstgeschichtlichen
Anschauungsunterricht der Bauten König Ludwigs I. neues
Interesse zu wecken und gar seine verschämte Rettung
Wilhelms v. Kaulbach, wohl der unerfreulichsten Erschei-
nung in der neueren deutschen Kunst, wird nicht Allzu-
viele bekehren, während ich für die bei aller Anlehnung
an die englische Gotik doch festliche und kräftige Gliede-
rung der Maximiliansstraße, und für den zwar etwas Ku-
lissenhaften, aber doch triumphierend ausstrahlenden Bau
des Maximilianeums gerne wärmere Worte gewünscht
hätte. Schade ist es auch, daß Hildebrands Wittelsbacher
Brunnen, wohl die schönste moderne öffentliche Plastik
in deutschen Landen, nur in kleiner Abbildung über dem
Inhaltsverzeichnis erscheint und daß der Verfasser allzusehr
von dem mir nicht ganz sicheren Recht des Historikers,
die eigene Zeit öffentlich zu ignorieren, Gebrauch macht.
Die neuen Isarbrücken, Stucks Villa, die Friedenssäule, die
Schwabinger Schulhäuser mit ihren merkwürdig weichen
und milden und doch so wirksamen Giebelformen, Endells
Elvira-Atelier, endlich die neuen kunstgewerblichen Be-
strebungen der »Vereinigten Werkstätten« und der Obrist-
Schule hätten wohl noch Berücksichtigung finden können,
wenn ein paar tief durchdachte, aber bei der Schilderung
einer einzelnen Stadt wohl entbehrliche Erörterungen über
das Wesen der Gotik, der Renaissance und des Rokoko
und einige, bei genauer Durchsicht auszuscheidende, Wieder-
holungen weggeblieben wären.

Alles in allem wird man aber dem Verfasser und dem
Verlag für das stattliche und reich mit Abbildungen ver-
sehene Büchlein nur Dank sagen können, das an vielen
Stellen selbst dem Spezialforscher zu denken geben wird,
und das jedem im edleren Sinne schaulustigen Fremden
die lapidaren Angaben Baedekers über die nicht immer
bequem zutage liegenden und doch oft so köstlichen Denk-
mäler der Bau- und Zierkunst vom 15. bis zum 18. Jahr-
hundert mit warmem, reichen Leben erfüllt.

Franz Dülberg.

Primo Levi, Domenico Morelli. Roma-Torino, Roux-Vi-
arengo, 1906.

Dieses schöne Buch über den eigenartigsten italienischen
Maler der Neuzeit hat nicht nur für das italienische Publi-
kum Interesse, sondern für alle die, welche sich für die
moderne italienische Kunst interessieren, denn dem Ver-
fasser ist es gelungen, uns weit mehr als die Lebens-
beschreibung eines Künstlers, nämlich ein vollständiges
Bild der italienischen Malerei während eines halben Jahr-
hunderts zu geben. Wer das Buch liest, dem wird vieles
Unverständliche in der neuen italienischen Kunst verständ-
lich, denn mit Morelli sind seine Zeitgenossen geschildert
und besonders die verschiedenen Schulen. Wer Morellis
spätere Tätigkeit kennt, seine phantastischen Kompositionen,
der wird sich wohl wundern, daß der junge Künstler nach
seiner ersten Reise nach Rom als höchsten Eindruck die
Bewunderung für Overbeck mitbrachte. Das Buch von
Primo Levi kann als ein Muster angesehen werden in der
Art, aus Briefen, zeitgenössischen Zeitungsberichten usw.
biographische Elemente zu schöpfen, besonders das Kapitel,
in welchem der Verfasser ein Bild der italienischen Maler-
schulen um die fünfziger Jahre entwirft. Man lernt so
vieles kennen, was niemand bis jetzt geahnt hätte. Mit
größter Genauigkeit ist die ganze Entwickelung der Kunst
Morellis erläutert und der Verfasser weiß klar darzustellen,
welchen Einfluß jedes Bild auf die Zeitgenossen gehabt
hat, von dem Bild der Bilderstürmer an, welches wohl als
das erste moderne Malwerk in Italien anzusehen ist. Es
ist selten ein Werk über moderne Kunst mit so viel ernstem,
solidem Dokumentenmaterial verfaßt worden und Primo
Levi hat damit den italienischen Kunsthistorikern, die sich
mit zeitgenössischen Künstlern befassen, ein schönes Bei-
spiel gegeben. f. h.

Hermann Egger, Codex Escurialensis. Ein Skizzenbuch
aus der Werkstatt Domenico Ghirlandajos. 2 Bände.
(Sonderschriften des österreichischen archäologischen In-
stitutes in Wien, Band IV). Wien, A. Holder 1905.
Die vorliegende schöne Publikation, deren Zustande-
kommen dem österreichischen archäologischen Institut ver-
dankt wird, macht einen vom Ende des 15. Jahrhunderts
stammenden Codex mit Zeichnungen zum Gemeingut der
Forschung, welcher das allseitige Interesse rege gemacht
hat, seit vor etwas mehr als zwanzig Jahren die wissen-
schaftliche Welt durch Justi und Müntz von seiner Existenz
erfahren hatte.

In eigentümlicher Weise sind verschiedene Disziplinen
an dieser Publikation interessiert; die Archäologie in erster
Linie, da der Zeichner, wie so manch einer der Rompilger
der Vergangenheit, vorzüglich den antiken Monumenten
seine Aufmerksamkeit widmete, die Topographie wegen
der äußerst wertvollen Stadtansichten, nicht zuletzt aber
die neuere Kunstgeschichte, die, aus vielfachen Ursachen
so wie so dabei interessiert, durch die Person des Zeichners
sich in ihr eigenstes Gebiet versetzt sieht.

Ich will hier nicht von der reichen Ausbeute sprechen,
die die erstgenannten Verwandten der Kunstgeschichte aus
dem Escuraliensis ziehen. Nur so viel sei gesagt, daß die
 
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