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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sievers, J.: Berliner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0179

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Berliner Brief

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verblüfft ein größeres Bild ganz besonders: die beiden
in ein tiefes Rot gekleideten Töchterchen des Künstlers
ruhen lässig in Polstersesseln, neben den beiden steht
der Sohn. — Ferner die Landschaften, die Strand-
und Seebilder und eine Reihe von Oenreszenen. In
den Landschaftsbildern verleiht er seinen Farben stärkste
Intensität, mag er nun das Leuchten tiefgelber Orangen
aus dunklem Laub oder die weiße Blütenfülle satt-
grüner Oleanderbüsche schildern. In den Fluten des
Meeres tummeln sich badende Knaben in prächtig
beobachteten, zappeligen Schwimmbewegungen, am
Strande spielen bunte Kinder oder spazieren elegante
Damen: brennend hebt sich das Rot eines Kleides
von dem strahlend blauen Himmel. Noch ein merk-
würdig feines Bild »Mutter«: aus der wundervoll
silberweiß gemalten Linnenflut eines Bettes schauen
zwei Köpfe hervor, der einer jungen Mutter mit
schwarzbraunem, ins Violette spielendem Haar und
zartbräunlicher Hautfarbe und ihr zur Seite das rote,
runde Gesichtchen eines Kindes — das Ganze steht
gegen einen gleichfarbigen, silbergrauen Hintergrund.
Eine Komposition von tiefem Ernst und meisterhafter
künstlerischer Interpretation. — Nächst dem Spanier
gilt das Interesse dem Deutschen E. R. Weiß. Seine
charaktervollen Bildnisse, das Grundehrliche der Mutter
des Malers, oder das des »alten Schmidt« geben von
hartem Erleben schlichte Kunde, ein drittes, das des
Künstlers Peter Behrens bietet den vollen geistigen
Ausdruck der dargestellten Persönlichkeit. Dazu farben-
schöne Frucht- und Blumenstücke, von denkbar größter
Ruhe und Einfachheit der Komposition, jeder Farb-
wert hebt sich klar und kühl von dem hellen Hinter-
grund ab. Allerlei Belangloses war sonst noch zu
sehen, aber auch Negatives gibt zu denken. So der
Gesamteindruck, den man vor einer Kollektivausstellung
der Künstlergruppe »Jagd und Sport« empfing. Von
geringen Ausnahmen abgesehen, war es merkwürdig
festzustellen, wie fern diese Maler, die doch ein ganz
besonders enges Verhältnis zur Natur haben sollten, ihr
gegenüberstehen. — Schließlich sollen die Arbeiten
zweier Plastiker nicht vergessen werden. Hans Stolten-
berg-Lerche stellte eine Reihe von geschmackvollen,
technisch sehr reizvollen Keramiken aus, unter denen
das Köpfchen eines kleinen Kindes auffiel. In Pietro
Canonicas Marmorbüsten (unter anderen die der Gräfin
Harrach) spricht sich trotz alles Maßhaltens in der
Formgebung der etwas reichlich sentimentale Italiener
immer wieder aus. Das Gefühl, nicht Marmor-, son-
dern Wachswerken gegenüber zu stehen, wird man
schwer los.

Im Lauf der Jahre hat Cassirer in dankenswertester
Weise Kollektivsammlungen von Werken der meisten
großen französischen Maler gebracht. Die im Februar
gebotene Pissarro-Ausstellung zeichnete sich durch
eine ungemein hohe Qualität einer Reihe von Stücken
aus. Wie Monet einst das Thema der »London bridge«
immer wieder in den verschiedensten Stimmungen be-
handelt hat, so wählt Pissarro einen der köstlichsten
Punkte von Paris, den Platz mit dem Denkmal Hein-
richs IV. auf dem Pont Neuf, mit dem weiten Blick
auf die Ufer und Brücken der Seine, stets aufs neue:

an trübem Herbsttag, in grauer Winterluft und an
lichtem Frühlingsmorgen, wo ein rosiger Schleier über
den Bäumen liegt, die hinter dem Denkmal stehen.
Dann ein Blick auf den Tuileriengarten oder Partien
aus dem Stadtpark von Pontoise, Bilder, die glänzen-
des Zeugnis ablegen von der Kunst Pissarros, den
grünen vielfach abgestuften Laubmassen Weichheit
und Leben zu verleihen. — Paul Baum, der in der
vorigen Ausstellung mit seinen Aquarellen einen so
günstigen Eindruck hinterließ, ist dieses Mal durch eine
Reihe von größeren Ölgemälden vertreten, die meines
Erachtens den Künstler von der weniger guten Seite
zeigen. Nur mit Mühe vermag das Auge die harten
Farbflecken der »neoimpressionistischen« Technik zur
Auflösung zu bringen, auch dürften die Gemälde
jenen kleinen Aquarellen an Größe und Einfachheit
der Komposition unterlegen sein. Wie Baum das
vlämische Niederland hat Ernst Oppler besonders die
Küstengegend Frankreichs zum Vorwurf für seine
Arbeiten gewählt. Die Ansichten aus alten Städtchen
und vom Meeresstrand zeichnen sich ebenso wie eine
Anzahl von Bildnissen durch eine diskrete Malweise
und vornehmen koloristischen Geschmack aus. In
einer Reihe von Kinderszenen und Porträts Heinrich
Linde-Walthers tritt uns eine weniger ausgesprochene
Persönlichkeit entgegen; die Arbeiten haben zum Teil
etwas Kraftloses, von Ausnahmen wie dem Bild eines
allerliebsten kleinen Mädchens abgesehen, das in rotem
Kleid, mit einer rosa Puppe auf dem Schoß in einem
altväterlichen Rohrstuhl sitzt.

Cassirers Märzveranstaltung bot durch eine kleine
Kollektion altenglischer Meister erwünschte Abwechs-
lung. Verschiedene kleine Landschaften Constabels
fielen darunter ganz besonders auf. Eine Reihe von
Werken des französischen Malers Ferdinand Chaigneau,
einem Mitglied der Schule von Barbizon, ließen in
ihrer etwas dürren Farbbehandlung keinen rechten
Genuß aufkommen. Dagegen erfreute Orlik durch
mehrere koloristisch ungemein gewählte Arbeiten,
deren einige äußerst reizvolle Motive aus dem japa-
nischen Leben behandelten. —

Durch eine Kollektivausstellung von Werken einer
englischen Känst/ergruppe, der »Society of 25«, ließ
Caspers Salon die verhältnismäßig selten gebotene,
moderne britische Kunst zu Wort kommen. Fast alle
der Künstler und Künstlerinnen sind Landschafter,
und fast alle stehen sie mehr oder minder stark unter
dem Einfluß moderner französischer und holländischer
Kunst. Starke Individualitäten scheinen sich nicht
unter ihnen zu befinden, trotzdem war der Eindruck
der Gesamtdarbietung ein guter, da man es wohl fast
ausnahmslos mit durchaus ehrlichem Streben und
Können, frei von Spekulation auf den Geschmack
des großen Publikums zu tun hatte. Hughes Stanton
war durch schöne schwerfarbige französische Land-
schaften und ein zwar besonders stark an Corot ge-
mahnendes, aber nichtsdestoweniger beachtenswertes
Bild vertreten: nackte Frauengestalten unter schlanken
Bäumen an einem stillen Wasserspiegel. Auch Gros-
venor Thomas huldigt dem Meister Corot in stimmungs-
vollen Landschaften. Durch kleine farbenfeine Bilder
 
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