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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Hermanin, Federico: Villa Borghese
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Schleinitz, Otto von: Die "Holman Hunt-Ausstellung" in der "Leicester Gallery"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0035

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1

gl Die »Holman Hunt-Ausstellung« in der >Leicester Gallery« 52

Liste der Monumenti nazionali steht. Nach diesem
Ausbruch des öffentlichen Unwillens über das erste
Attentat auf Villa Borghese kann man sicher sein,
daß die städtischen Kollegien in Zukunft sich vor
solchem hüten werden. Diesmal waren sie durch
Kontrakt gebunden und haben hinter dem Wortlaut
des Gesetzes ihren Schutz gegen den öffentlichen
Unwillen gesucht aber nicht gefunden.

FEDERICO HERMANIN.

DIE »HOLMAN HUNT-AUSSTELLUNO« IN DER
»LEICESTER GALLERY«

Die Herren Brown & Phillips, Inhaber des oben-
genannten Kunstinstituts, haben sich ein dauerndes Ver-
dienst dadurch erworben, daß sie eine, sämmtliche Perioden
Holman Hunts umfassende Ausstellung seiner Werke vor-
zuführen vermochten. Holman Hunt ist vielleicht der
eigenartigste Maler unserer Epoche in England: Er malt
nur was er glaubt, er läßt sich weder auf Kompro-
misse mit dem Einzelnen ein, noch macht er Konzessionen
an die Menge. In der Zeit bitterster Not und der schmäh-
lichsten Angriffe hat er, um sich erhalten zu können, nicht
nur kopieren, sondern auch für Rechnung anderer Kopisten
arbeiten müssen. Aber selbst als die Sorgen immer fühl-
barer wurden und ihren Höhepunkt erreichten und nichts
weiter übrig zu bleiben schien, als den ihm von einem an-
gesehenen Maler angebotenen Posten als Assistent anzu-
nehmen, schlug er ohne Besinnen dies Anerbieten mit der Er-
klärung ab, lieber der Kunst gänzlich zu entsagen, wenn es
ihm denn doch nicht vergönnt sein sollte, Originalwerke zu
schaffen! Mehr wie einmal stand er vor dem Zusammenbruch
seiner Existenz. Im Gegensatz zu dem innigst mit ihm be-
freundeten Millais hatte er den hartnäckigsten Widerstand
bei seiner eigenen Familie zu überwinden, um überhaupt
Künstler werden zu dürfen. Vagabunden- und Künstler-
tum waren dem Vater, der ihm Morland unausgesetzt als
abschreckendes Beispiel vor Augen hielt, gleichbedeutende
Begriffe.

' Mit einer einzigen Ausnahme erhielt Hunt niemals,
auch nicht von der Kirche, der er in der Behandlung des
religiösen Stoffes zu realistisch war, einen direkten Auf-
trag für ein anzufertigendes Bild. Und dennoch honorierte
der Bildhändler Gambart sein Werk »Christus im Tempel«
mit dem höchsten, je einem modernen englischen Künstler
bis dahin gezahlten Preise, das heißt mit 115000 Mark.
Und als sich nun endlich Holman Hunt am Ziele glaubte,
fallierte die Bank, in der er sein Vermögen deponiert
hatte! Der Wirt exmittierte ihn nicht nur, sondern hielt
auch alle seine Arbeiten, Bilder, Skizzen und Studien zu-
rück. Sein Vater nahm ihn zwar gütig auf, aber mit
welchen Gefühlen Hunt das Elternhaus betrat, wird man
leicht ermessen können. Unterstützt von dem unerschüt-
terlichen Glauben an seine Mission und an die Wahrheit
der präraffaelitischen Lehre der Bruderschaft, gelang es
seiner eisernen Willenskraft, sich Schritt für Schritt den
Weg zu bahnen. Das was Millais sozusagen spielend und
mit einem Wurfe erreichte, das mußte Holman Hunt im
hartnäckigsten Kampf ums Dasein fast während eines
Menschenalters vom Schicksal erzwingen.

Die englische Kritik, die im allgemeinen und zu aller
Zeit niemals den Ton des Anstandes verlassen hatte, ver-
stieg sich sogar in den öffentlichen Besprechungen der
Präraffaeliten so weit, die Worte »Schande« und »Infamie«
zu gebrauchen! Daß es unter diesen Umständen den
Sammlern nicht sehr begehrenswert erscheinen mochte,
Arbeiten von den so arg mitgenommenen Künstlern zu

besitzen, wird nur zu begreiflich, um so leichter, wenn
man sich des Erfahrungssatzes erinnert, daß das größere
Publikum über zeitgenössische Kunst in der Regel be-
fangen urteilt, und jede Generation über das vergangene
Jahrhundert die Achseln zuckt. Der Präraffaelismus, der
nachmals der Epoche seinen charakteristischen Stempel
aufdrückte, wäre beinahe verloren gewesen, wenn Ruskin
nicht zu seiner Rettung herbeigeeilt und der Fahne der
kleinen mutigen Schar zum Siege verholten hätte.

Zu dem Ausstellungskatalog, der im ganzen 68 Werke
umfaßt, hat der Maler Sir William Richmond, von dem
übrigens zwei Porträts Hunts herrühren, die dieser als die
besten ansieht, eine kurze Vorrede verfaßt. Aufder Ausstellung
finden wir ein im Jahre 1875 angefertigtes ausgezeichnetes
Selbstporträt des Meisters in halb orientalischem Kostüm,
das bisher noch niemals öffentlich zu sehen war und von
Hunt als Stiftung für die Uffizien in Florenz bestimmt ist,
wo es neben dem Bildnis von Millais seinen Platz finden
wird. Der Meister erscheint im rotblonden Bart und trägt
den im gelobten Lande getragenen Maleranzug während
der Periode seines Schaffens, die er selbst als die wich-
tigste bezeichnet hat.

Bisher wurde ziemlich allgemein angenommen, daß
der Name »Präraffaelismus« gelegentlich bei Besichtigung
von Kupferstichen Lasinios nach den Fresken im Campo-
santo von Pisa während eines geselligen Zusammenseins
bei Millais entstanden sei. Holman Hunt selbst berichtigt
aber diese Auffassung und erzählt, es habe sich in An-
wesenheit einer ganz erheblichen Anzahl von Kunstjüngern
um eine Besprechung von Raffaels Werken gehandelt,
und wenn er auch seine aufrichtigste Hochschätzung für
den italienischen Meister bekundete, so sei es ihm anderer-
seits nicht möglich gewesen, dessen Fehler zu übersehen.
So wurde namentlich die »Transfiguration* einer ein-
gehenden Kritik unterzogen, wobei Holman Hunt äußerte,
daß dies Werk weder den Sinn der Bibel wiedergäbe,
noch dem rein menschlichen Fühlen gerecht werde und
geradezu widersinnig wirke1). Da erscholl von mehreren
Seiten — aber ironisch — der Zwischenruf: »Dann muß
man also, um Vorbilder zu suchen, zu der Präraffaelitischen
Periode zurückkehren!«

Das früheste auf der Ausstellung befindliche und noch
keinen eigentlich präraffaelitischen Charakter tragende
Bild betitelt sich »The Eve of St. Agnes«, oder »Die
Flucht von Madeline und Porphyro«, dessen Stoff dem
gleichnamigen Gedicht von Keats, für den der Meister
stets eine besondere Vorliebe empfand, entnommen wurde.
Dann sehen wir hier aus dem Jahre 1851 das angefertigte
Werk »Valentin befreit Silvia von Proteus«, dessen Inhalt
Shakespeares »Die beiden Veroneser« zugrunde liegt, und
dessen Charakter durchaus den Geist des Praeraphaelismus
verrät. Ferner aus derselben Epoche »The Hireling Shep-
herd«, »Der gedungene Hirt«. Das ausgestellte Original
ist Eigentum der Stadt Manchester. Es wurde in Ewell
in der Grafschaft Surrey gemalt, wo sich Holman Hunt
damals in Begleitung von Millais befand, der gleichzeitig
»Ophelia« und die »Hugenotten« anfertigte. In dieselbe
Schaffensperiode gehört ferner das Shakespeares »Maß
für Maß« entliehene Sujet »Claudio und Isabella« und
»Wandernde Schafe an der englischen Küste«. Letzteres
bietet eigentlich nur einen Ausschnitt aus dem »Gedungenen
Hirten« und entstand unmittebar danach. Ruskin erklärte
seinerzeit: Schafe sind niemals besser gemalt worden!
Das Werk ist aber besonders deshalb interessant, weil

1) Der Künstler scheint also auch das in allen Kunst-
geschichten »fortgeerbte« falsche Urteil über dieses klare
und durchaus nicht zwiespältige Gemälde zu hegen. D. Red.
 
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