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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Takács, Zoltán: Zu einem Kupferstich Dürers
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Michel, W.: Die altenglische Ausstellung in der Galerie Heinemann-München
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0060

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Die altenglische Ausstellung in der Galerie Heinemann

102

'497> Heller 1486 — 1500, Hausmann und van Eye in die I
erste Periode des Meisters, Middleton ins Ende von 1497;
Koehler möchte denselben, hauptsächlich der Tradition
folgend, Ende des 15. Jahrhunderts datieren. (A chronolo-
gical catalogue, Nr. 19.)

Wir meinen jedoch in der glücklichen Lage zu sein,
die Gruppe der Arbeiten, welchen der fragliche Stich zu-
gehört, gefunden zu haben.

Die Albertina besitzt drei kolorierte Federzeichnungen
von Dürers Hand: »Christus und die beiden Schacher«
(L 490-492), welche von den übrigen Zeichnungen des
Meisters sich durch ihren weitgehenden Realismus unter-
scheiden. Sie tragen das Datum 1505 und ihr in gewissem
Sinne malerischer Stil läßt sich von den Blättern der
»Grünen Passion« ableiten. Die Grundformen der Körper,
welche den in der erwähnten Folge vorkommenden eben-
falls entsprechen, stimmen dann mit denen des hl. Sebastian
auffallend überein.

Der Kopf des Heiligen mit seinen aufgelösten, weit
herumflatternden Locken und der mit schwungvollen Linien
energisch umrissenen Jochbeinpartie erinnert an den des
gekreuzigten Erlösers. Der Körper des Heiligen ist ab-
gemagert; seine Muskeln laden ungleichmäßig aus, als ob
sie stellenweise angeschwollen wären. Ihre Ansätze sind
dagegen schwach. Besonders stark ausgeprägt ist unter
anderem die große Achselhöhle mit der übermäßig akzen-
tuierten umgebenden Muskulatur. Das andere unterschei-
dende Merkmal seiner Körperbildung ist die Verbindung
zwischen Brust und Magen durch unnatürlich ausgebildete
Muskeln in der Mitte, nach Barbaris Vorbild, wie bei dem
rechten Schacher auf dem undatierten Holzschnitt »Der Kal-
varienberg« (B. 59). Ganz ähnlich gebildete Achselhöhle hat der
linke Schacher (L 492) und die gleiche Verbindung zwischen
Brust und Magen bemerken wir, wenn auch schwächer
angedeutet, bei dem rechten (L. 491). Auffallend ist bei
dem Sebastian die Andeutung der kleinen Höhle an dem
Übergang vom Bein zum Rist, die Form des Ristes über-
haupt, die zerquetschten Zehen, besonders die große, mit
der Angabe des Knochengerüstes. Dieselben Eigentüm-
lichkeiten finden sich wieder auf L. 492.

Der schlagendste Beweis für die gleichzeitige Ent-
stehung der Blätter bleibt jedoch die Beinbehaarung.
Außer dem Stiche kommt sie nur auf den Zeichnungen
L. 491 und 492, sonst nirgends in Dürers Werken vor.

Das Britische Museum besitzt eine Federzeichnung,
welche einen sich kasteienden Büßer darstellt (L. 237). Ob-
wohl das Blatt von Lippmann angezweifelt wird, so haben
wir doch keinen Grund, seine Echtheit nicht anzuerkennen.
Es kann auch mit Recht in das Jahr 1505 gesetzt werden.
Vergleichen wir nun die Körperbildung des Büßenden
mit derselben des hl. Sebastian, so finden wir die gleichen
Grundformen hier wie dort. Der mit der Feder geistreich
gezeichnete und 1505 datierte Kopf eines Mannes (eben-
falls im Brit. Mus., L. 236) ist das einzige Werk, wo der
Schwung der Umrisse und das System der Linien dem
Stile des kleinen Kupferstiches in jeder Beziehung ent-
spricht. Zu vergleichen ist auch die Andeutung des spärlichen
Bartwuchses, mit der Beinbehaarung des Heiligen. Die
Zeichnung und Bearbeitung der datierten Stiche von 1505
(»Die Satyrfamilie«, B. 69, Das »kleine« und das »große
Pferd«, B. 96 und 97) sagt nichts gegen unsere Theorie
und erwähnen wir schließlich den Frauenkopf L. 408,
(»Brustbild einer südtirolischen Bäuerin«) mit seiner B. 55
ähnlichen Behandlung, so haben wir, unserer Meinung
nach, die wichtigsten Beweise aufgezählt, welche unsere,
die Datierung des Stiches betreffende Meinung rechtfertigen.

Z. Takrfcs.

DIE ALTENGLISCHE AUSSTELLUNG IN DER
GALERIE HEINEMANN-MÜNCHEN

Der Hauptwert dieser umfangreichen und erlesenen
Sammlung liegt in der etwa 40 Nummern umfassenden
Kollektion John Constables, die über das Schaffen des
Meisters in der dankenswertesten Weise orientiert. Sie
ergibt mit überwältigender Klarheit, daß Constable für die
moderne Landschaftsmalerei dasselbe bedeutet, was Shake-
speare dem modernen Drama gewesen ist. Man kennt
auf dem Kontinent schon seit geraumer Zeit alle die An-
regungen, die von ihm ausgegangen sind. Um so höher
ist denn auch der Genuß, einmal vor ihrer Quelle zu
stehen. Wir wissen, welcher Taumel das junge Frank-
reich, vertreten durch Delacroix und Gericault, ergriff, als
Constables Meisterwerke über den Kanal kamen. Wir
wissen, daß durch diese Beiden Constables Einfluß durch
die französische Malerei des ganzen verflossenen Jahr-
hunderts hindurchgetragen worden ist und daß sogar die
letzten impressionistischen Schulen noch von den An-
regungen zehren, die von der unerschöpflichen Kraft und
Fülle seiner Künstlerschaft ausströmten. Die beiden großen
feindlichen Richtungen in der französischen Landschafts-
malerei, die durch die Namen Courbet und Corot be-
zeichnet werden, liegen in Constable beisammen, und es
scheint, als habe die Landschaftsmalerei des 19. Jahr-
hunderts nichts getan, als das, was bei Constable har-
monisch vereinigt war, einzeln zu entwickeln und zu
spezialisieren. Auch dieses Beispiel beweist, daß der
Prozeß der Geschichte ein Differenzierungsprozeß ist und
daß die großen Zusammenfasser nicht am Ende, sondern
am Anfang der zugehörigen Zeitabschnitte stehen. —

Das Phänomen des künstlerischen Genies ist empirisch
nicht völlig erklärbar. Bei Constable darf man aber doch
vielleicht das Wort wagen, daß es seine kräftige, reine
Sinnlichkeit war, die seinen Schöpfungen ihre ewige, un-
verwelkliche Jugend gegeben hat. Er gab nichts als
Natur, er ist völlig objektiv, er steht vor der Wirklichkeit
mit voller Naivität und Unschuld. Alle optischen Ein-
drücke werden ihm zu Erlebnissen, vielgestaltig wie das
wechselnde Angesicht der Natur ist er selbst in der Wahl
seiner Mittel. Diese großartige Objektivität läßt ihm das
Bestreben, sich auf eine individuelle »Handschrift« festzu-
legen, als absurd und geradezu verwerflich erscheinen.
Man kann sagen, daß unter allen neueren Künstlern keiner
der Gefahr des Manierismus weniger ausgesetzt gewesen
ist, als Constable. Selbst der gewaltige Courbet erscheint
neben ihm als Spezialist. Ihm ist die zarteste Lyrik, das
lieblichste Idyll ebenso zugänglich wie das Erschütternde
und selbst das Grauenhafte im Toben der entfesselten
Elemente. Das kränkliche, schmachtende Licht eines Früh-
lings stellt er mit derselben Liebe dar wie die gewaltigen
Lichttragödien eines von gigantischen Wolken durch-
stürmten Gewitterhimmels. Die höchste Anforderung, die
an den Menschen und Künstler herantreten kann, hat er
erfüllt: die Anforderung, der Natur kongenial und eben-
bürtig zu werden. — Von seinen Bildern seien die Glebe-
farm, Hampstead Heath bei Gewitterschwüle, die Schleuse,
The Young Waltonians, die Kiesgrube, Dedham Valley
namentlich aufgeführt. — Im übrigen sind hier auch die
Altmeister des englischen Porträts mit hervorragenden
Leistungen vertreten: Gainsborough (Damenporträt), Rey-
nolds, Romney, Lawrence, John Hoppner, Raeburn und
andere, die weniger in Betracht kommen. Von bedeutenden
landschaftlichen Leistungen seien eine Ansicht von Edin-
burgh (Turner) und ein Bauernhaus von Crome genannt.

w. MIC HFL.
 
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