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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Schumann, Paul: Dresdner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0092

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Dresdener Brief

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erstaunt und unmutig auf den Frevler hinschaut, den sie
alsbald im aufbrausenden Zorn zur Strafe in einen Hirsch
verwandeln wird. Diese Szene ist — natürlich in Form
eines plastischen Monodrams — überzeugend und dabei
in ganz eigenartiger persönlicher Weise dargestellt. Man
hat den plastischen Gedanken noch nicht so dargestellt ge-
gesehen. Dianas Haltung erscheint uns ganz vom Augenblick
gegeben und ist aus der plötzlichen Bewegung des Empor-
schreckens wie im Nu erfaßt. Wir mögen denken: Diana
hat mit verschränkten Armen sorglos träumend am Ufer
des Baches gelegen. Da hört sie plötzlich ein Geräusch:
rasch richtet sie sich auf, wobei die verschränkten Arme
unwillkürlich die Bewegung mitmachen, den Kopf wendet
sie dabei der Stelle zu, woher das störende Geräusch
kam; noch ist sie über die Natur der Störung nicht ganz
klar. Wenigstens hat das Antlitz noch nicht den Ausdruck
des heftigen Zorns angenommen, der sich dann in der
Bestrafung des Störenfrieds Luft macht. Es ist mehr
Ernst und aufkeimender Unwille, der sich in den Zügen
kundgibt. So erklärt sich die Haltung der Diana ganz
ungezwungen.

Sonderbar mutet zunächst der scheibenförmige Gegen-
stand an, den die Göttin mit den Armen an die Brust zu
pressen scheint. Es ist aber nichts weiter als der Marmor,
den der Künstler in ganz dünner Fläche hat stehen lassen,
um nicht durch den Lichteinfall einen unerfreulichen
Schatten hervorzurufen und dadurch die harmonische
Wirkung seines Werkes zu stören. Der Zweck ist erreicht,
wenn man auch nicht das Mittel als völlig einwandfrei
bezeichnen kann.

Sonst ist das Werk — wenn man über die Entstellung
des Körpers durch die Schnürfurchen hinwegzusehen ver-
mag — von hoher Schönheit. Von allen Seiten bietet
sich ein wohl geschlossenes interessantes Bild mit wohl-
tuender Linienführung dar; der ganze Körper mit allen
Gliedmaßen und Muskeln ist einheitlich, dem gegebenen
Motiv entsprechend bewegt, mithin rhythmisch bestimmt
und in seinen Einzelheiten meisterhaft durchgearbeitet.
Besonders der Rücken ist prachtvoll durchgeführt. Nicht
wenig trägt zu der Wirkung der prachtvolle weiße
flimmernde Marmor bei. Erstaunlich aber ist, wie trotz
der energischen Bewegung eine so ruhige Harmonie des
Ganzen erzielt ist. Das Werk nimmt nach allem eine hohe
Stellung unter Max Klingers plastischen Schöpfungen ein.

Auch Otto Greiners Herkules — schon von Weimar
her bekannt und jetzt in Privatbesitz — ist ein reifes und
sehr anziehendes Werk. Der Mittelpunkt der reizvollen
Komposition ist Herkules, der beim Stricken eines Netzes
auf seinem Stuhle eingeschlafen ist. Vor und hinter ihm
stehen je zwei Bacchantinnen, die sich über den Schläfer
lustig machen, zu seinen Füßen spielen drei prächtige
kleine Jungen mit dem Löwenfell. So einfach und na-
türlich das Bild an sich ist, so viel Kunst gibt sich bei
auflösender Betrachtung in der reliefartig aufgerollten
Komposition kund. Es ist die Kunst altitalienischer Kom-
position, aber verbunden mit neuem Empfinden von mu-
sikalischem Rhythmus, wie es Greiner eigen ist. Wohl-
tuende Heiterkeit löst sich vor dem Bilde aus, dessen
Darstellung sich fern hält von der Derbheit und Ausge-
lassenheit, die etwa ein Vläme uns hier gezeigt hätte.
Dem entspricht auch die gedämpfte Farbe der Malerei,
und gar köstlich ist die Landschaft, auf die wir zwischen
den Stützen der Pergola hinblicken.

Von anderen Veranstaltungen des Ernst Arnoldschen
Kunstsalons nennen wir die Ausstellung französischer
Impressionisten, die schon, als sie in München veranstaltet
war, in der Kunstchronik besprochen worden ist, und die
dritte Ausstellung englischer Radierungen, für welche Prof.

Dr. Hans W. Singer in England die Unterlagen beschafft
hat. Sie bildete eine lehrreiche Ergänzung der beiden
ersten gleichartigen Ausstellungen, die 1896 und 1904 an
gleicher Stelle veranstaltet wurden. Sahen wir damals in
mehreren Hunderten von Blättern die Meisterwerke der
Cameron, Strang, Legros, Seymour Haden, Short, Goff
und anderen, so bot diese dritte Ausstellung vor allem
Radierungen jüngerer und auf dem Festlande zumeist un-
bekannter englischer Künstler. Singer vertritt die Ansicht,
daß die englische Radierung eine Kunst der strengen
Schulung, der verfeinertsten Überlieferung sei, im Gegensatz
zu den festländischen, in der Mehrzahl vereinzelten und
vorübergehenden Versuchen. Die Ausstellung, die nicht
weniger als 336 Blatt von 32 dieser jüngeren Künstler
umfaßte, bestätigte diese Ansicht, insofern die große Mehr-
zahl der Radierungen richtiges Stilgefühl und guten Ge-
schmack bekundete. Bemerkenswert war noch, daß die
Tonradierung sich stärker geltend machte als die Radierung
der reinen Linie. Singer führt diese Erscheinung darauf
zurück, daß Brangwyn und Alfred East wegen des Erfolges,
den ihre derartigen Arbeiten seit 1904 gerade in Deutsch-
land haben, diese Kunst besonders gepflegt und damit
auch andere angeregt haben. Hervorzuheben sind von
den Ausstellern zunächst einige Dilettanten im besten Sinne
des Wortes: Sir J. C. Robinson, der ein Ehrenamt in
Seymour Hadens Society of Painter-Etchers bekleidet, dann
der bekannte Kunstsammler John Postie Heseltine, der
Drucker Frederick Goulding, »durch dessen Zauberhand
die meisten aller in England geschaffenen modernen
Originalradierungen ihr schließliches Aussehen erlangten«,
endlich der Rechtsgelehrte Frank Newbolt, der in seinen
Mußestunden die Radierkunst pflegt. Weiter nennen wir
die Brüder Edward und Maurice Detmold, die ihre Tier-
bilder (Pfau, Fledermaus, Adler) in gemeinsamer Arbeit
mit der Radiernadel zu schaffen pflegen, ferner Augustus
E. John, Harold Percival, Percy Robertson, Sidney Lee,
der vom japanisierenden Holzschnitt auch zur Radierung
übergegangen ist und auch hier mit Vorliebe durch Ton
und Fläche wirkt. Weiter Hugh Paton und G. W. Rhead,
die nach Singers Mitteilung ihre praktischen Erfahrungen
im Stechen und Radieren auch in Handbüchern nieder-
gelegt haben, dann die beiden Schüler Shorts: Nathaniel
Sparks und J. R. G. Exley, endlich zwei Damen: Frl.
Nichols aus Nottingham und Frl. Ethel K. Martyn, deren
Arbeiten in keiner Weise hinter denen ihrer männlichen
Genossen zurückstehen. Die letztere hatte namentlich
Illustrationen zu George Herbert und Robert Louis Stevenson,
sowie einige biblische Motive ausgestellt, die an die Weise
der Präraffaeliten erinnerten, während Frl. Nichols male-
rische Motive aus Stadt und Land bevorzugt.

Die sehr verdienstliche Ausstellung enthielt zur Er-
gänzung noch hervorragende Blätter von Muirhead Bone,
Frank Brangwyn, Cameron, Haden, Strang und Penneil,
sowie endlich eine umfassende Sammlung der buchkünst-
lerischen Leistungen Lucien Pissarros: handgedruckte
Bücher der Vale Type Series, Bücher der Brook Type
Series und eine ganze Anzahl von Einzelholzschnitten —
allesamt Zeugnisse der hohen Stufe, auf welche die Buch-
kunst in England besonders durch die vorbildlichen Ar-
beiten von William Morris gehoben worden ist.

Auch in Emil Richters Kunsthandlung fand eine be-
deutsame Ausstellung statt: wir sahen dort die Werke von
Leo Putz, die einen Überblick über das gesamte Schaffen
des Künstlers seit 10 Jahren ermöglichte. Die Kunst dieses
sinnenfreudigen Malers, der in so meisterhafter Weise die
rein malerischen Elemente seiner Kunst beherrscht, ist in-
zwischen in der Zeitschrift für bildende Kunst von anderer
Seite gewürdigt worden.
 
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