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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0098

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 12. 11. Januar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF

Von Karl Euoen Schmidt

Seit zwei Jahren besitzt Frankreich einen besonderen
Kunstminister in der Person des Staatssekretärs Du-
jardin Beaumetz, der früher Maler war und viele
schlechte Soldatenbilder gemalt hat, ehe er durch
eine reiche Heirat instand gesetzt wurde, die
Kunst an den Nagel zu hängen und sich der Politik
zu ergeben. Vor Dujardin besorgte der Minister für
Unterrichtswesen die Geschäfte der Kunst, aber Du-
jardin ist doch nicht der erste französische Kunst-
minister. Unter Gambetta gab es schon einmal einen
Kunstminister: Antonin Proust, den Freund Manets,
dessen eifrigem Bemühen es gelungen ist, den Im-
pressionismus sozusagen offiziös zu machen.

Herr Dujardin nimmt seine Aufgabe sehr ernst,
er eröffnet alle erdenklichen Ausstellungen, enthüllt
unzählige Denkmäler, präsidiert zahllosen Fest-
schmäusen und hält tagtäglich eine Festrede. Seine
Haupttätigkeit aber entwickelt er als Käufer für die
Museen, und hier verhält er sich ganz anders als
die früheren Bevollmächtigten des Staates. Bisher
wurde es für selbstverständlich gehalten, daß der
Staat die Unglücklichen, die er großgepäppelt hatte,
also die preisgekrönten Schüler der Ecole des Beaux-
arts, ihr ganzes Leben lang füttern und nähren mußte.
Herr Dujardin verwirft diese Ansicht nicht, aber er
läßt doch auch anderen Leuten etwas zukommen und
geht darin so weit, daß er nicht nur bei den Unab-
hängigen, sondern überhaupt in allen Ausstellungen
Ankäufe macht: sogar bei den Eisenbahnbeamten, die
alljährlich eine Kunstausstellung von selbstgeschaffenen
Arbeiten veranstalten, hat Dujardin gekauft.

Die größte Neuerung aber ist, daß Dujardin die
vom Staate gekauften Arbeiten öffentlich zeigt, daß
er also den Mut seiner Überzeugung hat. Bisher
verschwand die übergroße Mehrzahl der vom Staate
angekauften Kunstwerke spurlos in Kellern und
Speichern oder in den Museen der Provinz, und nur
der allerkleinste Teil blieb in Paris. Herr Dujardin
kann seine Einkäufe natürlich auch nicht in der Haupt-
stadt behalten, denn dazu müßte erst endlich einmal
ein Museum der modernen Kunst gebaut und das
winzige Gewächshaus des Luxembourg verlassen
werden. Aber ehe er die Sachen verschwinden läßt,
zeigt er sie doch dem Pariser Publikum und hat sie

zu dem Ende in dem großen Ausstellungssaale der
Ecole des Beaux-arts vereinigt. Es sind rund vier-
hundert Arbeiten, aber man muß deshalb nicht
glauben, der französische Staat mache größere Auf-
wendungen für Kunst als andere Länder. Das
Gegenteil ist der Fall. Unter den vierhundert Ar-
beiten befinden sich wohl hundert Radierungen und
Lithographien, und die meisten Gemälde sind so be-
scheiden, daß ihre Urheber sich mit wenig Geld und
der Ehre des staatlichen Ankaufes begnügen mußten.
Wenn man der Ansicht ist, der Staat dürfe nur vor-
bildliche Werke kaufen, dann erlebt man hier eine
arge Enttäuschung. Ist man aber billig und erwägt
man alle die Rücksichten, die so ein armer Kunst-
tyrann nehmen muß, dann kommt man zum Urteil,
daß Herr Dujardin seine Aufgabe doch nicht schlecht
ausfüllt: der Durchschnitt ist jedenfalls besser als der
Durchschnitt im Salon, und den herzlich mittelmäßigen
Sachen stehen ebensoviele wirklich gute gegenüber.
Höchstens könnte man vielleicht einwenden, daß der
ehemalige Soldatenmaler diesem von Böcklin so
grimmig verworfenen Genre allzugroßes Interesse ent-
gegenbringe. Es hängen da ein paar Dutzend zum
Teil sehr umfangreiche Schlachten- und Manöver-
bilder, deren Urheber vermutlich gute Armeepatrioten,
aber recht alltägliche Maler sind.

Aber wir wollen uns bei den Schattenseiten nicht
aufhalten, sondern lieber sehen, durch welche Er-
werbungen die französischen Museen wirklich be-
reichert werden. In der Skulptur ist da vor allem
die wirklich höchst anmutige und ergreifende, wenn
auch etwas nach Familienblattlyrik schmeckende Gruppe
»Elsaß-Lothringen« von dem verstorbenen Bildhauer
und Maler Paul Dubois. In Wachs war die Gruppe
schon vor sieben oder acht Jahren im Salon, jetzt ist
sie in Bronze ausgeführt. Von Rodin hat der Staat
drei Bronzebüsten gekauft, darunter eine merkwürdig
theatralische und äußerliche Allegorie des Krieges, die
ganz an den Lehrmeister Rodins, an den plastischen
Phrasenmacher Carrier-Belleuse erinnert. Dann ist da
die tüchtige Gruppe der einen verunglückten Kameraden
wegtragenden Bergleute von Cordonnier, die stark
rodinisierten »Söhne Kains« von Landowski, die bei
ihrer Ausstellung im Salon wohl mehr als gebührende
Bewunderung gefunden haben, die schöne Frauen-
figur »Der Sommer« von Lefevre und ein sensen-
dengelnder Schnitter von Borchard.
 
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