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Adalbert Stifter als Maler
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eigentlich lauter Schauplätze, auf denen sich etwas so
recht Taschenbuchmäßiges für Vers oder Prosa er-
eignen kann. Und in der Form spukt noch durch-
aus das 18. Jahrhundert. Der Baumschlag etwa geht
nicht über das allgemeine Gekräusel des Rokoko hin-
aus und die Behandlung ist die zierliche der vielen
Landschaften und Veduten, mit denen man damals
Kassetten und Tischplatten schmückte.
In Nußdorf, dem bier- und weinberühmten Außen-
bezirke Wiens, lebt ein verdienter Kunstfreund, Herr
K. Adolf Bachofen von Echt, der schon lange mit
Bedacht Stiftersche Bilder sammelt. Er besitzt auch
die beiden größeren (das heißt noch immer nicht
eigentlich großen) Landschaften aus dem Nachlaß des
bekannten Budapester Verlagsbuchhändlers Gustav
Heckenast, der Stifters Freund und Verleger war. Die
eine ( > Ideale Landschaft« von 1841) war erst auf der
Wiener akademischen Kunstausstellung und 1842 auf
der Ausstellung des Pester Kunstvereins, wo Heckenast
sie kaufte. Er liebte Stifter, seit dessen Novelle »Feld-
blumen«, die 1840 in seinem vom Grafen Mailath
herausgegebenen Taschenbuche »Iris« erschienen war.
Das zweite dichterische Werk, das der junge Mann
überhaupt geschrieben. Die andere Landschaft malte
er 1846 als Hochzeitsgeschenk für Heckenasts erste
Frau. Besagte »ideale Landschaft« zeigt eine öde
Felsschlucht, zwischen deren senkrechten Wänden ein
Bergstrom hervorbricht, um über eine Bodenstufe
niederzuschäumen. Ein Motiv von der »Teufelsmauer«,
wozu auch mehrere Studien vorhanden sind; eine
kleine, mit düster aufstarrendem Felsgebilde (Besitzer
Max Kalbeck) ist mit ausgestellt. Die Felswände des
großen Bildes, in ihrem fleischfarbenen Kolorit und
der glatten Sorglichkeit, erinnern sofort an die Felsen
Gauermanns, mit dem Stifter befreundet war. Das
Wasser ist weniger gut, die dunstige Luft etwas all-
gemein gehalten. Dennoch macht das Ganze Ein-
druck, durch seinen malerischen Ton und bedeuten-
den Habitus. Angesichts eines solchen Bildes muß
man doch sagen, daß Stifter — etwa in unserer Zeit,
wo man vernünftiger und nicht so auf Umwegen
lernt - - auch ein bedeutender Maler hätte werden
können. Er war eine Gottfried Keller-Natur. Ver-
mutlich wäre dann sein anderes Talent eingeschrumpft,
denn gerade im ersten Schuß der Jugend hatte die
Malerei seine ganze Passion. Er hätte dann wohl
mehr nebenher geschrieben, wie Jules Breton etwa, und
wäre dann vermutlich, wie dieser, zeitlebens auf sein Ge-
schriebenes stolzer gewesen als auf sein Gemaltes.
Nun konnte man aber damals schwer malen lernen
und so kam die Sache bei Stifter umgekehrt. Gemalt
hat er unentwegt bis an sein Lebensende, das 1868
unter so traurigen Umständen erfolgte. Er schnitt sich
mit dem Rasiermesser den Hals ab, um die Qualen
eines Krebsleidens abzukürzen. Er war damals pen-
sionierter Hofrat in Linz, wo er so lange Schulrat
gewesen. In dem kunstöden Linz, wo er ja auch für
seine Malpassion so gar keine Förderung fand. Merk-
würdig ist sein von Dr. Horcicka aufgefundenes Maler-
tagebuch, das von 1858—1867 reicht. Ein Seiten-
stück zu dem seines Freundes Gauermann, das vor
vielen Jahren Lützow in der »Zeitschrift für bildende
Kunst« veröffentlicht hat. Nur hat der Schulrat es
so recht schulklassenmäßig und stundeneinteilungs-
weise geführt, in sieben laufenden Rubriken, in die
er immer gewissenhaft eintrug, wie viele Stunden und
Minuten (!) er an den einzelnen Bildern gearbeitet
hatte. »An der Ruhe gezeichnet von 10*07 bis n-25;
1 Stunde 18 Minuten« und so fort über 43 Seiten
hin. Da konnte denn Dr. Horcicka ausrechnen, daß
er an dem Bilde »Bewegung« 75 Stunden und 21 Mi-
nuten gearbeitet, es dann vernichtet, nach zehn Jahren
neu begonnen, im ganzen sich 1163 Stunden und
43 Minuten damit geplagt . . . und es doch nicht
fertig gekriegt hat. Tragikomödie.
Unter den im Österreichischen Kunstverein aus-
gestellten Arbeiten, die ein ganzes Zimmer füllen, sieht
man mehrere jener kleinen Mondscheinstücke. Trotz
ihrer recht stereotypen Wirkung sind einige doch vor-
trefflich. Das beste ein »Passau«, mit mannigfachem
Treiben am Himmel, von dem sich die dunklen Formen
der Kuppeln und Giebel abheben, während unten die
lange Bogenbrücke Silhouettenhaft dunkel durch das
Bild schleicht. »Mondnacht in der Au«, »Straßenau
in Linz« sind auch solche bessere Effektstückchen voll
heimlicher Liebe, von der niemand nichts weiß. Dann
hält er sich wieder mehr an die natürliche Natur,
sieht sich eine heimatliche Scholle recht genau an
und setzt sie in einigen dünnen, wasserfarbigen Tönen,
die mit Empfindung der Bodenbewegung folgen
(»Friedberg«), säuberlich stilisierend aufs Papier. In
der Bodenfalte liegt leider ein Dorf mit dunklen
Dächern, und diese fallen dann zufällig ganz kind-
lich ungeschickt aus. Oder er studiert eingehend die
Spiegelungen im Königssee und bringt sie wirklich
ganz luftig und substanzlos heraus, während die Felsen
selbst, die sich spiegeln, in ihrer kulissenhaften Scha-
bionisierung gar nicht gelingen wollen. Dann studiert
er Schauplätze seiner Dichtungen, nimmt etwa die
Burgruine Wittinghausen, wo der Witiko spielt, von
verschiedenen Seiten mit dem sachgenauen Fleiße des
Stammbuchdilettanten auf. Oder er sucht mit dem
Bleistift dem Formenwesen eines verwitterten Baum-
strunkes, einer alten Waldkapelle auf den Grund zu
kommen. Mit rührender Sorgfalt geht er den Linien
der Architektur nach und setzt ihr mit unbeholfener
Kalligraphie allerlei Pointen auf, z. B. allerlei Drucker
an den Umrahmungen der Fenster, aber die Schlag-
schatten kann er nicht »machen« und schummert sie
nur so andeutungsweise hin. Einmal malt er eine
stramme Aquarellstudie nach dem Vorstehhunde des
Barons Marenholz. Und dann wieder kommen Um-
stände, wo er in der technischen Bedrängnis des
Augenblicks einen quasi-modernen Einfall hat, z. B.
in einer Ölstudie des Hohen Staufen bei Salzburg,
dessen dreigipflige Form er in der Dämmerung von
einem treibenden Wolkenhimmel loskriegen will. Da
heißt es die Sache hinfegen und die Luft fällt dabei
ganz gestrichelt aus, wie von einer heutigen Hand.
Ein Bild fällt aus dem sonstigen Darstellungskreise
vollkommen heraus. Es heißt »Place de Palud« und
stellt einen Platz in einer offenbar bretonischen Stadt
Adalbert Stifter als Maler
310
eigentlich lauter Schauplätze, auf denen sich etwas so
recht Taschenbuchmäßiges für Vers oder Prosa er-
eignen kann. Und in der Form spukt noch durch-
aus das 18. Jahrhundert. Der Baumschlag etwa geht
nicht über das allgemeine Gekräusel des Rokoko hin-
aus und die Behandlung ist die zierliche der vielen
Landschaften und Veduten, mit denen man damals
Kassetten und Tischplatten schmückte.
In Nußdorf, dem bier- und weinberühmten Außen-
bezirke Wiens, lebt ein verdienter Kunstfreund, Herr
K. Adolf Bachofen von Echt, der schon lange mit
Bedacht Stiftersche Bilder sammelt. Er besitzt auch
die beiden größeren (das heißt noch immer nicht
eigentlich großen) Landschaften aus dem Nachlaß des
bekannten Budapester Verlagsbuchhändlers Gustav
Heckenast, der Stifters Freund und Verleger war. Die
eine ( > Ideale Landschaft« von 1841) war erst auf der
Wiener akademischen Kunstausstellung und 1842 auf
der Ausstellung des Pester Kunstvereins, wo Heckenast
sie kaufte. Er liebte Stifter, seit dessen Novelle »Feld-
blumen«, die 1840 in seinem vom Grafen Mailath
herausgegebenen Taschenbuche »Iris« erschienen war.
Das zweite dichterische Werk, das der junge Mann
überhaupt geschrieben. Die andere Landschaft malte
er 1846 als Hochzeitsgeschenk für Heckenasts erste
Frau. Besagte »ideale Landschaft« zeigt eine öde
Felsschlucht, zwischen deren senkrechten Wänden ein
Bergstrom hervorbricht, um über eine Bodenstufe
niederzuschäumen. Ein Motiv von der »Teufelsmauer«,
wozu auch mehrere Studien vorhanden sind; eine
kleine, mit düster aufstarrendem Felsgebilde (Besitzer
Max Kalbeck) ist mit ausgestellt. Die Felswände des
großen Bildes, in ihrem fleischfarbenen Kolorit und
der glatten Sorglichkeit, erinnern sofort an die Felsen
Gauermanns, mit dem Stifter befreundet war. Das
Wasser ist weniger gut, die dunstige Luft etwas all-
gemein gehalten. Dennoch macht das Ganze Ein-
druck, durch seinen malerischen Ton und bedeuten-
den Habitus. Angesichts eines solchen Bildes muß
man doch sagen, daß Stifter — etwa in unserer Zeit,
wo man vernünftiger und nicht so auf Umwegen
lernt - - auch ein bedeutender Maler hätte werden
können. Er war eine Gottfried Keller-Natur. Ver-
mutlich wäre dann sein anderes Talent eingeschrumpft,
denn gerade im ersten Schuß der Jugend hatte die
Malerei seine ganze Passion. Er hätte dann wohl
mehr nebenher geschrieben, wie Jules Breton etwa, und
wäre dann vermutlich, wie dieser, zeitlebens auf sein Ge-
schriebenes stolzer gewesen als auf sein Gemaltes.
Nun konnte man aber damals schwer malen lernen
und so kam die Sache bei Stifter umgekehrt. Gemalt
hat er unentwegt bis an sein Lebensende, das 1868
unter so traurigen Umständen erfolgte. Er schnitt sich
mit dem Rasiermesser den Hals ab, um die Qualen
eines Krebsleidens abzukürzen. Er war damals pen-
sionierter Hofrat in Linz, wo er so lange Schulrat
gewesen. In dem kunstöden Linz, wo er ja auch für
seine Malpassion so gar keine Förderung fand. Merk-
würdig ist sein von Dr. Horcicka aufgefundenes Maler-
tagebuch, das von 1858—1867 reicht. Ein Seiten-
stück zu dem seines Freundes Gauermann, das vor
vielen Jahren Lützow in der »Zeitschrift für bildende
Kunst« veröffentlicht hat. Nur hat der Schulrat es
so recht schulklassenmäßig und stundeneinteilungs-
weise geführt, in sieben laufenden Rubriken, in die
er immer gewissenhaft eintrug, wie viele Stunden und
Minuten (!) er an den einzelnen Bildern gearbeitet
hatte. »An der Ruhe gezeichnet von 10*07 bis n-25;
1 Stunde 18 Minuten« und so fort über 43 Seiten
hin. Da konnte denn Dr. Horcicka ausrechnen, daß
er an dem Bilde »Bewegung« 75 Stunden und 21 Mi-
nuten gearbeitet, es dann vernichtet, nach zehn Jahren
neu begonnen, im ganzen sich 1163 Stunden und
43 Minuten damit geplagt . . . und es doch nicht
fertig gekriegt hat. Tragikomödie.
Unter den im Österreichischen Kunstverein aus-
gestellten Arbeiten, die ein ganzes Zimmer füllen, sieht
man mehrere jener kleinen Mondscheinstücke. Trotz
ihrer recht stereotypen Wirkung sind einige doch vor-
trefflich. Das beste ein »Passau«, mit mannigfachem
Treiben am Himmel, von dem sich die dunklen Formen
der Kuppeln und Giebel abheben, während unten die
lange Bogenbrücke Silhouettenhaft dunkel durch das
Bild schleicht. »Mondnacht in der Au«, »Straßenau
in Linz« sind auch solche bessere Effektstückchen voll
heimlicher Liebe, von der niemand nichts weiß. Dann
hält er sich wieder mehr an die natürliche Natur,
sieht sich eine heimatliche Scholle recht genau an
und setzt sie in einigen dünnen, wasserfarbigen Tönen,
die mit Empfindung der Bodenbewegung folgen
(»Friedberg«), säuberlich stilisierend aufs Papier. In
der Bodenfalte liegt leider ein Dorf mit dunklen
Dächern, und diese fallen dann zufällig ganz kind-
lich ungeschickt aus. Oder er studiert eingehend die
Spiegelungen im Königssee und bringt sie wirklich
ganz luftig und substanzlos heraus, während die Felsen
selbst, die sich spiegeln, in ihrer kulissenhaften Scha-
bionisierung gar nicht gelingen wollen. Dann studiert
er Schauplätze seiner Dichtungen, nimmt etwa die
Burgruine Wittinghausen, wo der Witiko spielt, von
verschiedenen Seiten mit dem sachgenauen Fleiße des
Stammbuchdilettanten auf. Oder er sucht mit dem
Bleistift dem Formenwesen eines verwitterten Baum-
strunkes, einer alten Waldkapelle auf den Grund zu
kommen. Mit rührender Sorgfalt geht er den Linien
der Architektur nach und setzt ihr mit unbeholfener
Kalligraphie allerlei Pointen auf, z. B. allerlei Drucker
an den Umrahmungen der Fenster, aber die Schlag-
schatten kann er nicht »machen« und schummert sie
nur so andeutungsweise hin. Einmal malt er eine
stramme Aquarellstudie nach dem Vorstehhunde des
Barons Marenholz. Und dann wieder kommen Um-
stände, wo er in der technischen Bedrängnis des
Augenblicks einen quasi-modernen Einfall hat, z. B.
in einer Ölstudie des Hohen Staufen bei Salzburg,
dessen dreigipflige Form er in der Dämmerung von
einem treibenden Wolkenhimmel loskriegen will. Da
heißt es die Sache hinfegen und die Luft fällt dabei
ganz gestrichelt aus, wie von einer heutigen Hand.
Ein Bild fällt aus dem sonstigen Darstellungskreise
vollkommen heraus. Es heißt »Place de Palud« und
stellt einen Platz in einer offenbar bretonischen Stadt