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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon des Champ de Mars
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411

Der Salon des

Champ de Mars

412

Landschaften sind sehr hübsch. Im nämlichen Saale
ist Caro-Delvaille untergebracht, der auch schon gleich
bei seinem ersten Auftreten vor fünf oder sechs Jahren
den Gipfelpunkt seiner Kunst geboten zu haben scheint.
Denn seither hat er sich nur immer wiederholt, und
von Jahr zu Jahr kommt es dem Beschauer mehr zum
Bewußtsein, daß dieser Maler eigentlich keine lebenden
Gestalten schildern sollte. In Caro-Delvaille steckt ein
ganz famoser Stillebenmaler, die Zitrone auf dem
Marmortischchen eines seiner heurigen großen Figuren-
bilder ist eine köstliche Perle der Malerei, die nackten
Frauengestalten aber machen ganz den Eindruck von
Nature morte. Andere große Meister zeigen den
gleichen Mangel, Fantin-Latour zum Beispiel, der in
eine Blume, ja in eine einfache weiße Kaffeetasse
mehr Leben zu bannen wußte als in seine mensch-
lichen Bildnisse. Das großartigste, was der Mensch
erreichen kann, ist die Erkenntnis seiner eigenen
Grenzen. Gelingt ihm das, so ist die Meisterschaft
sicher. Caro-Delvaille würde als Stillebenmaler voll-
kommene Meisterwerke schaffen.

Vor Dagnan-Bouveret fragt man sich, warum man
einst den armen Cabanel mit so feindseligem Spotte
verfolgt hat, während man diese jüngeren Leute mit
Hochachtung nennt, obgleich sie genau das nämliche
tun, was an Cabanel mißfiel. Sehr gut, so gut wie
nur jemals ist Blanche mit dem famosen, überaus
charaktervollen Bildnisse des englischen Schriftstellers
Thomas Hardy und mit dem im silberleuchtenden
Kleide vor dem Spiegel stehenden jungen Mädchen;
schwärzer, immer schwärzer wird Cottet in seinen
nicht immer interessanten Bildnissen und Landschaften;
Lucien Simon dagegen bleibt auf der alten Höhe und
fügt seinen vortrefflichen Bildern einen bretonischen
Gottesdienst zu, der mit zu seinen besten Arbeiten
gehört; den Spanier Castelucho und seine Schülerinnen
Dannenberg, Stettier und Weise habe ich neulich bei
den »Unabhängigen« gebührend hervorgehoben, und
alle vier sind auch hier mit ausgezeichneten Arbeiten
vertreten; besonders die spielenden Kinder von Elsa
Weise, die Kinder im Luxembourggarten von Martha
Stettier, das Interieur von Alice Dannenberg und
endlich das große weibliche Bildnis von Castelucho
verdienen das höchste Lob.

Ein vortreffliches, dekorativ aufgefaßtes weibliches
Bildnis hat der Amerikaner Frieseke ausgestellt; Boldini
und La Gandara wetteifern miteinander, wer die Dame
aus der Modewelt unkörperlicher und puppenhafter
wiedergeben könnte; Gaston La Touche ist etwas ein-
förmig und eintönig mit seinen vier Wandgemälden,
deren jedes für sich allein den reizendsten und an-
sprechendsten Farbengeschmack offenbart. Aber es
ist jedesmal die nämliche Melodie von rot, gelb und
grün, es ist jedesmal die nämliche anmutige Frauen-
gestalt an dem nämlichen Weiher, wo sich der näm-
liche Affe herumtreibt. Too much of a good thing,
würde der Engländer sagen. Das hindert aber nicht,
daß La Touche, besonders nach dem diesjährigen Fehl-
schlag Besnards, der liebenswürdigste Kolorist und der
bedeutendste dekorative Künstler des gegenwärtigen
Frankreichs ist. Endlich sei noch der Belgier Smeers

erwähnt, der ein ganz reizendes Bild, ein kleines
Mädchen in Rosa, am Meeresstrande herumpatschend
und mit einem grellroten Schiffchen spielend, aus-
gestellt hat und sich als einen Koloristen von emi-
nenter Begabung und feinstem Geschmack zeigt.

In der Plastik steht wie immer Rodin im Mittel-
punkt. Seine diesjährige Sendung ist eine sehr merk-
würdige Wiederholung des schreitenden Mannes im
Luxembourg, der aus irgend einem Grunde als Jo-
hannes der Täufer bezeichnet wird. Rodin hat diese
Figur abgießen lassen und sich dann mit allerlei
Werkzeug darüber her gemacht, um sie zum Torso
umzugestalten. Er hat den Kopf und die Arme ab-
geschlagen und außerdem noch hie und da ein paar
tiefe Löcher in den armen Gipsmann geschlagen.
Ohne jeden Zweifel gefällt dieser Torso den wasch-
echten Rodinisten viel besser als die Figur im Luxem-
bourg, denn bekanntlich ist eine Skulptur um so schöner,
je unfertiger sie ist, und ein Leib ohne Kopf und
Glieder und mit einem tiefen Loch im Rücken ist
ohne Zweifel »künstlerischer« als ein sorgfältig durch-
gearbeiteter Körper, der alle seine Gliedmaßen besitzt.
Aber Rodin ist viel zu klug, um sich mit einer solchen
Spielerei zu begnügen. Nachdem er mit seinem Torso
die Rodinisten entzückt hat, zeigt er mit drei ganz
ausgezeichnet fein und schön modellierten Büsten auch
den andern Leuten, daß er wirklich ein Meister ist.
Im übrigen sieht es in der Plastik nicht sehr wunder-
bar aus, und es wäre verschwendete Zeit, auf die
mehr oder weniger guten Arbeiten der Rodin- und
anderer Schüler einzugehen. Die von Bartholome aus-
gestellte weibliche Figur beweist aufs neue, daß dieser
Künstler uns mit seinem Totenmal auf dem Pere
Lachaise alles gegeben hat, was man von ihm erhoffen
durfte. Und in Wahrheit darf ein Mann, der eine
solche Arbeit geliefert hat, sich nachher ausruhen.
Zu erwähnen wären noch die beiden Bronzestatuetten
von Carabin, wovon die zum Markte gehende bre-
tonische Bäuerin ganz besonderes Lob verdient, die
außerordentlich hübsche Statuette »Das Menuett« von
Louis Dejean, die Tierbronzen von Bugatti und die
Statuette des Papstes von Hans Lerche.

Ganz besonders wichtig ist in diesem Jahre die
Griffelkunst, die man in zwei Sektionen eingeteilt hat.
Die farbige Radierung hat ihre eigenen Räume er-
halten, wo Eugene Delätre, Boutet de Monvel, Legout-
Gerard, Raffaelli, Frangois Simon und Latenay die
schönsten Blätter geschickt haben. Auch die schwarze
Radierung ist außerordentlich gut mit zwei Blättern
von Köpping, einer ganzen Reihe großer Blätter von
Brangwyn, vortrefflichen Holzschnitten von Paul Emil
Colin, sehr hübschen kleinen Radierungen von Stephen
Haweis, eine Reihe geschmackvoller Gipsographien
von Pierre Roche und einer Anzahl schöner Blätter
von Storm van Gravesande. Die Hauptsache aber,
der Clou der ganzen Ausstellung ist ein großer, dem
Altmeister Felix Bracquemond zugeteilter Raum, worin
nicht nur die schönsten Radierungen dieses seit Meryon
größten französischen Griffelkünstlers gezeigt werden,
sondern wo man diesen überaus interessanten und
vielseitigen Künstler, der bekanntlich auch ein vor-
 
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