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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Bode, Wilhelm von: Die Gruppe der Begegnung Mariä mit der hl. Elisabeth in S. Giovanni Fuorcivitas zu Pistoja
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0267

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515

Die Gruppe der Begegnung Mariä mit der hl

Elisabeth in S. Giovanni fuorcivitas zu Pistoja

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schwerlich jemand beistimmen: die Bewunderung der-
selben als ein Meisterwerk der Robbiaschule ist eine
allgemeine, selbst in dem traurigen Zustand, den die
rohe Versetzung von ihrem Standort 1790 verschuldet
hat. Die Behauptung, daß erst Ghirlandajo in der
Gruppe der Visitation Elisabeth knieend dargestellt
habe, erweist sich durch einen Blick auf die Monu-
mente als völlig irrtümlich: gerade bis auf Ghirlandajo
pflegt die Darstellung in dieser Weise gegeben zu
werden und erst seit Albertinellis Bilde von 1503
in den Uffizien finden wir regelmäßig die Heilige
aufrecht vor Maria stehend. Pistoja selbst besitzt auch
ein charakteristisches Beispiel, wie die Robbia-Werk-
statt im Cinquecento die Gruppe in dieser Weise dar-
stellte, in der Begegnung von Giovanni della Robbia
im Ceppo vom Jahre 1525, der dieselbe Darstellung
des gleichen Künstlers im Oratorium zu San Ansano vor
Florenz durchaus entspricht. In dem Altar von Lampo-
recchio hat er die alte Darstellungsweise beibehalten
und der Gruppe in Pistoja fast treu entlehnt, aber in wie
schwächlicher Weise! Der Vergleich dieser Darstellungen
mit der Gruppe in S. Giovanni hätte Dr. Bacci allein
schon überzeugen müssen, wie falsch er letzterebeurteilt!
Auch die Behauptung Baccis, die alte Gruppe, die
sich 1445 in der Kirche befand, könne nicht die jetzt
dort befindliche sein, denn sonst hätte diese nicht bis
1513 ohne Tabernakel bleiben können, erweist sich
als ein Trugschluß: wie viele herrliche Statuen und
Gemälde der Renaissance sind durch lange Zeit, ja
dauernd ohne Tabernakel oder sonstige würdige Aus-
stattung geblieben! Wäre es nicht viel auffälliger, daß
die Urkunden der Elisabeth-Compagnie, die gerade im
Cinquecento so beredt sind, immer nur von den Aus-
gaben für die Ausstattung der Gruppe sprechen, aber
niemals von solchen für die Errichtung derselben? —
Die stilistischen Einwände Baccis gegen die Ent-
stehung der Gruppe im Quattrocento sind von Allan
Marquand, der sie zuerst als Werk des alten Luca
überzeugend nachgewiesen hat, und seither wiederholt
von anderen, die über die Gruppe geschrieben haben,
widerlegt worden. Die gleichen, oben genannten Dar-
stellungen aus der späten Zeit der Robbia-Werkstatt
beweisen zur Genüge den gewaltigen Abstand, künst-
lerisch wie zeitlich, von unserer Gruppe; aber auch
äußere Gründe, wie die Art und Farbe der Glasur,
die großzügige Faltenbildung, die feine naturalistische
Durchbildung der Figuren, die für die frühere Zeit
ganz charakteristische, später nicht mehr vorkommende
Art, wie das Haar in einem Tuch zusammengenommen
ist, weisen die Entstehung der herrlichen Gruppe in
die Zeit um oder kurz vor 1445, in der in den
Urkunden zuerst davon die Rede ist. Wenn ich
früher, veranlaßt durch die Meisterschaft der Arbeit,
diese erst in eine spätere Zeit des Luca, um 1470,
gesetzt habe, so gebe ich jetzt A. Marquand1) durchaus
recht, daß Lucas urkundlich in den vierziger Jahren
ausgeführte glasierte Tonarbeiten, wie die beiden

1) Allan Marquand hat sich (im Americ. Journal of
Archaeology, 1907) gleichfalls gegen die Schlußfolgerungen
Baccis ausgesprochen.

großen Lünetten und die Leuchterengel im Dom, die
Lünette an S. Domenico in Urbino und ähnliche in
den vierziger Jahren entstandene Werke, schon die
gleichen großzügigen Eigenschaften dieser Gruppe
haben, die wir demnach jetzt der Zeit von Lucas erster
Blüte, um 1445, zuschreiben dürfen.

Am Schluß seiner Publikation gibt der junge
Forscher Bacci den Herren Kunsthistorikern einen
derben Denkzettel mit auf den Weg: »Mögen die
Kunsthistoriker und Kenner so viel Namen nennen
wie sie wollen, die Kunstgeschichte nimmt dem Luca,
was ihm nicht gehört«. Sie gibt ihm aber auch,
was ihm gebührt, und sie verweist die Archiv-
forschung in ihre Schranken, durch den Nachweis,
daß vereinzelte und unscheinbare Angaben der Ur-
kunden erst ihre Bedeutung erhalten, indem sie durch
die Kunstforscher in Verbindung gebracht werden
mit den Monumenten und der Stilkritik. Gerade
die neuere italienische Archivforschung hat wieder-
holt bewiesen, zu welchen schlimmen Trugschlüssen
eine kritiklose Verwertung solcher kleiner Funde
in den Archiven führen kann. Die Auffindung der
Urkunde, nach welcher der Auftrag auf das stets dem
Lorenzo di Credi zugeschriebene Altarbild mit der
Madonna zwischen den Heiligen Johannes d.T. und Zeno
im Dom zu Pistoja an Verrocchio erteilt und Zahlungen
an diesen gemacht wurden, haben dazu verleitet, das
Gemälde für ein Werk dieses Meisters auszugeben.
Man nahm — ohne genügende Kenntnis der übrigen
Werke des einen und des anderen Meisters — die Ur-
kunde buchstäblich und beachtete nicht, daß Verrocchio
eine große Werkstätte hielt, in der zum Teil ganz
hervorragende Künstler verschiedener Art arbeiteten
und seine Aufträge ausführten, und daß in Pistoja,
gerade zur Zeit, aus der jene Urkunden stammen,
Lorenzo di Credi der Leiter von Verrocchios Werkstatt
war. Ebenso irrig waren die Schlüsse, welche man
aus harmlosen Angaben über die Ausschmückung der
vielumstrittenen Altartafel mit Tobias auf der Wander-
schaft mit den Erzengeln in der Akademie zu Florenz
gezogen hat, die nach Mesnil wahrscheinlich schon 1463
vollendet war. Weil ein sonst ganz unbekannter Maler
Chimenti di Piero im Jahre 1467 für die Bemalung
des Vorhangs vor diesem Bilde von der Compagnia
»il Raffa« bezahlt wurde, hat man ihm auch das
Alterbild selbst zugeschrieben, und es dem Verrocchio
oder wem es sonst bisher gegeben wurde ein für
allemal absprechen wollen. Ähnliche Trugschlüsse
sind auch aus den Urkunden über die Aus-
schmückung des Tabernakels an Or San Michele, in
dem jetzt Verrocchios Thomasgruppe steht, gezogen
worden. Die Kunstgeschichte kann nicht ohne die
Archivforschung bestehen, und sie kann dieser für
jeden neuen Fund nicht dankbar genug sein, aber die
Verwertung dieser Urkunden, ihre Übereinstimmung
mit den Monumenten kann nicht ohne genaueste
Kenntnis derselben erfolgen und muß daher in erster
Linie der Kunstgeschichte überlassen bleiben.

W. BODE.
 
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