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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0281

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543

Literatur

544

Stils in der Richtigkeit der Worte besteht, so ist sein Buch
in der Tat ein wahrhaftiges Buch. Die Lektüre ist ein
Genuß, wenn man die Darstellung rein literarisch auf sich
wirken läßt. Allein eben in dieser den Laien bestechenden
Klarheit und Selbstverständlichkeit des Ausdrucks liegt die
nicht geringe Gefahr verborgen, daß den zahlreichen, rein
subjektiven Meinungen des Verfassers eine scheinbare Autori-
tät verliehen wird, die ihnen nicht immer zukommt. Zudem
ist die wissenschaftliche Motivierung durchweg in die am
Schlüsse zusammengestellten ausführlichen Anmerkungen
verwiesen, die gerade der größere Teil der Leser über-
gehen wird. Ich fürchte, das Buch hat nicht bloß anregend,
sondern auch verwirrend gewirkt und bin der Meinung, daß
nur ganz feststehende, auch von anderen Forschern an-
erkannte Tatsachen in einer derartigen popularisierenden
Form behandelt werden dürfen.

Wie steht es aber mit dem Konsensus der Forscher?
Die Entwicklungsgeschichte einer teilweise noch so wenig
aufgeklärten Periode der Malerei kann doch nur schreiben,
wer zugleich Kenner ist; und gerade dem Kenner Voll
wird die Gefolgschaft versagt. Auch Dülberg setzt fast
überall da mit seinem Widerspruch ein, wo der Verfasser
seinen auf dem Altar der Eyck-Forschung geschlachteten
Opfern neue, und wie zahlreiche, hinzufügt. Überraschend
ist beispielsweise die Art, wie dem Rogier van der Weyden
der Miraflores-Altar der Berliner Galerie abgesprochen wird.
>Die Ausführung selbst ist für diesen hocharchaischen
Meister viel zu geleckt, sie hat jene Mischung von gleich-
gültiger Mattigkeit und bestechender Sauberkeit, die den
Schulwerken des späten 15. Jahrhunderts eigen ist.« Ver-
geblich mühte ich mich ab, das Gemälde mit Volls Augen
anzusehen — und ähnlich ging es anderen; alle stilistischen
Kriterien schienen vielmehr auf ein Frühwerk zu deuten,
wie es Crowe und Cavalcaselle schon vor 50 Jahren her-
vorgehoben haben. Die urkundliche Notiz aus der Chronik
des Klosters Miraflores, mitgeteilt von Antonio Ponz in
der Viage de Espana (1793), besagt zudem ausdrücklich,
daß im Jahre 1445 ein in der Beschreibung mit dem Berliner
Bilde genau übereinstimmendes »Oratorium a magistro
Rogel magno et famoso Flandresco depictum« der Kar-
tause von König Johann geschenkt wurde. Wenn Voll
(S. 288, in den Anmerkungen) den Versuch macht, die
Glaubwürdigkeit des A. Ponz zu erschüttern und zu be-
zweifeln, daß das Berliner Werk mit dem in der Kloster-
chronik erwähnten identisch sei, was ist dann überhaupt
noch auf dokumentarische Belege zu geben? Selten gingen
Stilkritik und Urkundenforschung so gut zusammen wie in
diesem prägnanten Falle. Auch das Antwerpener Tripty-
chon der sieben Sakramente muß es sich gefallen lassen,
aus der Liste der eigenhändigen Werke Rogiers gestrichen
zu werden: es ist zu »hart und geistlos in der Mal weise«.
Widersprechen solche Kriterien nicht einer Charakterisie-
rung, die gerade auf das »Hocharchaische« in der Kunst
Rogiers den Nachdruck legt? Während nun Voll in sehr
zahlreichen Fällen sonst allgemein anerkannte Gemälde als
Kopien, Schulwerke oder Nachahmungen unter den Tisch
fallen läßt, übt er strenge Kritik an den Versuchen anderer
Forscher, unsere begrenzte Vorstellung von der Kunst ein-
zelner Hauptmeister durch die Zuweisung bisher unbe-
kannter oder falsch benannter Werke zu erweitern. So
läßt er von Hugo van der Goes nur den Portinari-Altar,
das Diptychon des Wiener Hofmuseums und den Brügger
Tod der Maria gelten. Er übersieht die zahlreichen Be-
ziehungen der vor vier Jahren für die Berliner Galerie er-

worbenen Anbetung der Hirten gerade zu dem auch von
ihm als Spätwerk bezeichneten Gemälde der Akademie in
Brügge; Friedländers interessante Versuche, in einer Reihe
von Bildern des ausgehenden 15. Jahrhunderts Kopien
nach verlorengegangenen Werken des Genters festzu-
stellen, werden glatt abgelehnt. Vergeblich sucht man
nach einer Meinungsäußerung über das seit 1903 im Reichs-
museum zu Amsterdam ausgestellte Gemälde eines Stifters
mit dem Täufer Johannes, das der dortige Katalog be-
scheiden »gemalt in der Manier von Hugo van der Goes«
nennt; meiner Meinung nach hat es Anspruch darauf, als
ein im Kopf des bartlosen Mannes sehr bedeutendes
Original zu gelten. In der Sammlung Carrand des National-
museums zu Florenz findet sich ferner das Fragment einer
Kreuzabnahme mit den Köpfen von drei den Christuskörper
umgebenden Getreuen, das besonders in dem Joseph von
Arimathia einen so durchaus goesartigen Typus aufweist,
daß hier noch mehr als vor dem bereits von Friedländer
genannten, schlechter erhaltenen Berliner Exemplar mit
trauernden Frauen (Nr. 1622) die Frage nach einer ver-
lorenen Kreuzabnahme großartig monumentalen Charakters
auftaucht. Obschon Voll im Vorwort seines Buches es
ausdrücklich ablehnt, ein corpus tabularum der altnieder-
ländischen Malerei zu geben, wäre es vielleicht doch an-
gebracht gewesen, bei so zahlreichen Negationen auch ein-
mal etwas Positives beizubringen, besonders da seine
Bilderkenntnis eine selten ausgedehnte ist.

Wozu diese Ausstellungen? Für die Nichts-als-
Kenner, die berufsmäßigen Bildertäufer ist ja ein Buch
nicht geschrieben, das mit Recht in der Hervorhebung des
Wesentlichen, in der Charakteristik der Hauptmeister
und in der Betonung der enlwickelungsgeschichtlichen Zu-
sammenhänge seine erste Aufgabe sieht. Und gerne stimmt
man Voll bei, wenn er in eindringlichen Worten Rogiers
große Kreuzabnahme im Escorial feiert, wenn er die Be-
deutung der Berner Teppiche als Ersatz für die verlorenen
Gerechtigkeitsbilder desselben Meisters aus dem Brüsseler
Rathause hervorhebt, wenn er, wie er es schon früher in
zahlreichen Aufsätzen tat, die Stellung des Dirk Bouts als
eine prominentere auffaßt, als man bisher annahm, und
von seinem Werk die Schöpfungen des freilich unglück-
lich benannten »Meisters der Perle von Brabant« abtrennt.
Von dem Kapitel über Justus von Gent ist zu sagen, daß
es das Beste enthält, was über diesen noch wenig be-
kannten Meister geschrieben worden ist. Aber immer
wieder drängt der Kenner den Historiker vom geraden
Wege in Dickicht und Hecken von seltsam verschnittenen
Formen, in steinige unwegsame Pfade und Engpässe.
Nicht verkannt sei die Gewissenhaftigkeit, mit der Voll
kein Resultat früherer Forchung als ein gegebenes hin-
nimmt, wie er jeden einzelnen Fall von neuem bedenkt
und auch den Laien zu eigener Gedankenarbeit zwingt.
Daher die ganz persönliche Durchdringung des gewaltigen
Stoffes, daher aber auch der Eigensinn, der zu Folgerungen
führt, wie der, daß das Porträt des Mannes mit den Nelken
in den Kreis des Kölner Meisters der heiligen Sippe ge-
höre. Wird mit solchem Sonderbündlertum »die oberste
Aufgabe aller wissenschaftlichen Tätigkeit« erfüllt?

Walter Cohen.

Künstlerisch gebildete Dame mit besten Zeugnissen sucht
Stellung

als Privatsekretärin. Gefällige Angebote unter A. F. an
Rudolf Mosse in Jena erbeten.

Inhalt: Ausstellung für kirchliche Kunst zu Soest, verbunden mit einer Ausstellung von Werken Aldegrevers. Von Dr. Waldmann. — Pariser Brief.

Von K.E.Schmidt. — h. Lücke f; j. Engl t; A. v. Bauer f. — Personalnachrichten. — Schelper-Qrabmal in Leipzig; Moser-Denkmal in
Görlitz. — Berliner Porträtausstellung. — Verkauf der OaleiieSix; Erwerbungen des Wallraf-Richartz-Museums in Köln; Vom Russischen
Museum in St. Petersburg; Erwerbungen des Leipziger Kunstgewerbemuseums 1906; Erwerbung des Städtischen Museums in Elberfeld.—
Stiftung des Malers Klein-Chevallier. — Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten. — Vermischtes. — Die altnieder-
ländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling. —- Anzeigen.

Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. seemann, Leipzig, Querstraße 13
Druck von Ernst Hedrich Nachf. o. m. b. h. Leipzig
 
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