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Zu Hermann Voß: »Bernini als Ardiitekt an der Scala Regia«
Bericht des CarloFontana. Diefer Mann,
der fpäter felblt Oberbaumeilter an St,
Peter geworden ilt und an den von ihm ge«
Ichilderten Ereigniffen unmittelbar beteiligt
war <er hat nadi feiner eigenen Ausfage die
ganze Situation, insbefondere die großen
Stützgerüite, zufammen mit Bernini zeich«
nerilch aufgenommen), gibt in feiner großen
Monographie über die Peterskirche1) einen
ungemein eingehenden Bericht über die
Baugelchichte der Scala Regia,- und in
diefem Bericht wird nicht nur nichts von
einer Translation der linken Seitenwand er«
wähnt <obgleich Fontana gerade die kon«
Itruktive Kühnheit des Unternehmens be-
fonders Itark zu unterltreichen bemüht ilt),
fondern es werden darüber hinaus zwei
politive Tatfachen mitgeteilt, die, wenn lie
zuträfen, den Gedanken an eine folche
Wandverlegung von vornherein ausfchließen
würden,
1. Es wird <ganz abgefehen von der
verhältnismäßig allgemeinen Angabe, daß
»diefelben Mauern«, die die neue Treppe
einlchlöflen, bereits die alte beherbergt hät«
ten) klar ausgefagt, daß Bernini bei feinem
Umbau in doppelter Weife befchränkt ge«
wefen fei: einmal durch die Gebäudeteile,
»die lieh über der Scala befänden« — fo«
dann durch »jene alten Mauern, die fie
auch jetzt noch umgäben«.2) Es kann
kaum deutlicher ausgedrückt werden, daß
der Raum auch in feiner feitlichen Ent«
Wicklung durch die vorhandenen Mauern
beftimmt gewefen fei.
2. Fontana teilt mit, daß die Errichtung
jener umfangreichen Stützkonltruktionen,
aus denen Voß die Abficht einer Wand-
verlegung folgert, eine bloße Notmaß»
nähme gewefen fei, die — an und für fich
gar nicht in Ausficht genommen — erlt durch
einen unvorhergefehenen Zwilchenfall er-
zwungen wurde: »Nachdem man das Werk
1) II Tempio Vaticano, 1694, S. 233 ff.
2) ». . . gl'impedimenti a cagione di quei
muri vecchi, che di presente circondano anche
la scala nuova, e di quegli Edifizij, che sono
sopre di essa«. Später heißt es dann noch,
daß der Befchauer zu der Meinung verleitet
werde, es feien zuerit die Mauern angeordnet
worden, und erlt nachher der Schmuck, und
es habe der Architekt frei ichalten können,
ohne daß er durch jene »Pareti« beengt wor-
den wäre.
mit großem Eifer in Angriff genommen
hatte,- entdeckte man — als die bis oben
durchgehenden Mauern an einigen Stellen
durchbrochen wurden —, daß die Maffe
der Trennungswand zwilchen den Treppen
und der Scala Regia inwendig ganz voll
Trümmern war, man fah daher den völligen
Verluff diefer Mauer und damit den
Untergang der Gebäude felblt vor-
aus. In diefer Lage verwandte der
forgfame Meiffer feine ganze Kunlt
darauf, ein Verfahren zu erfinnen,
durch das er fich gegen ein fo furcht»
bares Unglück fichern und fchützen
könnte, nämlich vermittels finn»
reicher Subltruktionen aus Itark ar-
miertem Balkenwerk . . .«
Es liegt auf der Hand, daß mit dem
partiellen Durchbruch der »bis oben durch-
gehenden Mauern« nicht eine Befeitigung
der ganzen linken Seitenwand gemeint fein
kann, denn diefe würde ja <von der An«
gäbe »in alcuni parti« ganz abgefehen)
jene gewaltigen Subltruktionen, die laut
Fontana erlt nach dem fraglichen Eingriff
und mit Rückficht auf feine unerwarteten
Folgen errichtet wurden, bereits voraus.
gefetzt haben. Es kann fich alfo nur
um einen <an und für fich fiheinbar gefahr»
lofen) Eingriff in die Quermauern handeln,
der in der Tat auf jeden Fall notwendig
war, damit die neuen höheren Tonnenge-
wölbe eingezogen werden konnten3). Die
Ichadhafte Trennungswand zwilchen den
Treppenläufen und der Scala Regia wäre
dann die Itarke Weltwand der Sala, die
diefe in der Tat vom Oberlauf der Treppe
fcheidet, und da, wo fie vom Treppenge-
wölbe durdhfehnitten wird, mit dem Fuß-
boden der Sala und dem oberlten Treppen»
podelt zu einem einzigen Maffiv verlchmilzt.
Diefe »muraglia« alfo hätte fich unerwar-
teterweife als baufällig erwiefen, und einzig
diefer Umltand hätte, nach Fontana, die Er»
richtung jener Subltruktionen nötig gemacht,
die alfo, ihm zufolge, gar keine von Anfang
an ins Auge gefaßte Maßregel gewefen
wäre, fondern eine Rettungsaktion ge»
genüber einem »inopinatus Casus«.
Es ilt unter diefen Umltänden entfchuld-
bar, wenn die bisherige Forlchung — ge-
3) Vgl. auch Voß, a. a. O. S. 10.
Zu Hermann Voß: »Bernini als Ardiitekt an der Scala Regia«
Bericht des CarloFontana. Diefer Mann,
der fpäter felblt Oberbaumeilter an St,
Peter geworden ilt und an den von ihm ge«
Ichilderten Ereigniffen unmittelbar beteiligt
war <er hat nadi feiner eigenen Ausfage die
ganze Situation, insbefondere die großen
Stützgerüite, zufammen mit Bernini zeich«
nerilch aufgenommen), gibt in feiner großen
Monographie über die Peterskirche1) einen
ungemein eingehenden Bericht über die
Baugelchichte der Scala Regia,- und in
diefem Bericht wird nicht nur nichts von
einer Translation der linken Seitenwand er«
wähnt <obgleich Fontana gerade die kon«
Itruktive Kühnheit des Unternehmens be-
fonders Itark zu unterltreichen bemüht ilt),
fondern es werden darüber hinaus zwei
politive Tatfachen mitgeteilt, die, wenn lie
zuträfen, den Gedanken an eine folche
Wandverlegung von vornherein ausfchließen
würden,
1. Es wird <ganz abgefehen von der
verhältnismäßig allgemeinen Angabe, daß
»diefelben Mauern«, die die neue Treppe
einlchlöflen, bereits die alte beherbergt hät«
ten) klar ausgefagt, daß Bernini bei feinem
Umbau in doppelter Weife befchränkt ge«
wefen fei: einmal durch die Gebäudeteile,
»die lieh über der Scala befänden« — fo«
dann durch »jene alten Mauern, die fie
auch jetzt noch umgäben«.2) Es kann
kaum deutlicher ausgedrückt werden, daß
der Raum auch in feiner feitlichen Ent«
Wicklung durch die vorhandenen Mauern
beftimmt gewefen fei.
2. Fontana teilt mit, daß die Errichtung
jener umfangreichen Stützkonltruktionen,
aus denen Voß die Abficht einer Wand-
verlegung folgert, eine bloße Notmaß»
nähme gewefen fei, die — an und für fich
gar nicht in Ausficht genommen — erlt durch
einen unvorhergefehenen Zwilchenfall er-
zwungen wurde: »Nachdem man das Werk
1) II Tempio Vaticano, 1694, S. 233 ff.
2) ». . . gl'impedimenti a cagione di quei
muri vecchi, che di presente circondano anche
la scala nuova, e di quegli Edifizij, che sono
sopre di essa«. Später heißt es dann noch,
daß der Befchauer zu der Meinung verleitet
werde, es feien zuerit die Mauern angeordnet
worden, und erlt nachher der Schmuck, und
es habe der Architekt frei ichalten können,
ohne daß er durch jene »Pareti« beengt wor-
den wäre.
mit großem Eifer in Angriff genommen
hatte,- entdeckte man — als die bis oben
durchgehenden Mauern an einigen Stellen
durchbrochen wurden —, daß die Maffe
der Trennungswand zwilchen den Treppen
und der Scala Regia inwendig ganz voll
Trümmern war, man fah daher den völligen
Verluff diefer Mauer und damit den
Untergang der Gebäude felblt vor-
aus. In diefer Lage verwandte der
forgfame Meiffer feine ganze Kunlt
darauf, ein Verfahren zu erfinnen,
durch das er fich gegen ein fo furcht»
bares Unglück fichern und fchützen
könnte, nämlich vermittels finn»
reicher Subltruktionen aus Itark ar-
miertem Balkenwerk . . .«
Es liegt auf der Hand, daß mit dem
partiellen Durchbruch der »bis oben durch-
gehenden Mauern« nicht eine Befeitigung
der ganzen linken Seitenwand gemeint fein
kann, denn diefe würde ja <von der An«
gäbe »in alcuni parti« ganz abgefehen)
jene gewaltigen Subltruktionen, die laut
Fontana erlt nach dem fraglichen Eingriff
und mit Rückficht auf feine unerwarteten
Folgen errichtet wurden, bereits voraus.
gefetzt haben. Es kann fich alfo nur
um einen <an und für fich fiheinbar gefahr»
lofen) Eingriff in die Quermauern handeln,
der in der Tat auf jeden Fall notwendig
war, damit die neuen höheren Tonnenge-
wölbe eingezogen werden konnten3). Die
Ichadhafte Trennungswand zwilchen den
Treppenläufen und der Scala Regia wäre
dann die Itarke Weltwand der Sala, die
diefe in der Tat vom Oberlauf der Treppe
fcheidet, und da, wo fie vom Treppenge-
wölbe durdhfehnitten wird, mit dem Fuß-
boden der Sala und dem oberlten Treppen»
podelt zu einem einzigen Maffiv verlchmilzt.
Diefe »muraglia« alfo hätte fich unerwar-
teterweife als baufällig erwiefen, und einzig
diefer Umltand hätte, nach Fontana, die Er»
richtung jener Subltruktionen nötig gemacht,
die alfo, ihm zufolge, gar keine von Anfang
an ins Auge gefaßte Maßregel gewefen
wäre, fondern eine Rettungsaktion ge»
genüber einem »inopinatus Casus«.
Es ilt unter diefen Umltänden entfchuld-
bar, wenn die bisherige Forlchung — ge-
3) Vgl. auch Voß, a. a. O. S. 10.