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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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2. Oktoberheft
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Schweinfurth, Philipp: Das unsterbliche Griechenland, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0094

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„Gipsabgüsse aus Marraor“, wie sie gelegentlich tref-
fend benannt wurden, gesehen hat. Abgesehen von der
Verunstaltung durch die Feigenblätter — sogar der
einzigen ira Vatikan befindlichen attischen Grabstele
ist diese Schmach angetan worden — muß allerdings
gesagt werden, daß man im Vatikan vorsichtiger mit
den Bildwerken umzugehen versteht wie in Athen. Ich
kann nicht verschweigen, daß bei einem Neuanstrich
der Wände des Nationalmuseums mit einer an sich
wenig angenehmen roten Farbe verschiedene Stücke,
darunter solche von höchstem Rang, gf.litten haben.

Die Vasensarnmlung mit den großen geometrischen
und melischen Stücken und den Lekythen, die Samm-
lung der Terrakotten und der Bronzen ist in letzter Zeit
nicht wesentlich vergrößert worden. Die neuen Funde
von Mykenä, auf die ich noch zu sprechen komme, sind
für das Museum in Nauplia bestimmt. Dagegen sind
im Laufe der letzten Jahre und in neuester Zeit griechi-
sche Originalwerke auf dem Gebiete der Skulptur hin-
zugekommen, die zum Teil noch nicht pubiiziert, zum
Teil bisher in einer ihrer Redeutung entsprechenden
Weise nicht bekannt geworden sind. Da sieht man zu-
nächst das 1915 von Stai's bei dem Tempel des Poseidon
auf Sunion gefundene Relieffragment, einen sich be-
kränzenden Jüngling darstellend. Der Oberkörper der
Figur ist erhalten. Der Grund soll bei der Auffindung
dunkelblaue, das Haar hellbraune Farbe gezeigt haben.
Stiftlöcher beweisen, daß die Krone aus Metall gefertigt
war. Der Dargestellte ist vermutlich ein Athlet, der
die goldene Krone errungen, wenn nicht ein attischer
Lokalheros. Eine Besprechung in der Wochenausgabe
des Manchester Guardian (July 7, 1922), wo auch eine
Abbildung gegeben ist, setzt das Werk um 460—450 an,
vergleicht es mit dem Relief der sogenannten „Trauern-
den Athena“ im Akropolismuseum (dessen Maße das
Relief von Sunion nur um weniges übersteigen) und
dem Ludovisi-Thron, und bezeichnet es als unmittelbare
Vorstufe des Parthenonfrieses. Im Text der genannten
Besprechung w'erden des weiteren auch die beiden her-
vorragenden Funde erwähnt, die im Frühjahre dieses
Jahres in Athen gemacht worden sind. Sie stammen
aus den Resten der Themistokleischen Mauer im S. W.
der Stadt, und bestätigen die schon gelegentlich der
Beschreibu.ng früherer an derselben Stelle gemachten
Funde von P. Kastriotis zitierte Stelle aus Thukydides
( rhukyd. I, 93), der zufolge Themistokles in aller Eile
alte Denksteine und Grabstelen in die Befestigungs-
mauer mit verbaut habe. Bei den neuen Funden von
der 1 hemistokleischen Mauer handelt es sich um zwei
flache Marmorwerke von ungefähr quadratischer Form,
von denen jedes als Basis für eine offenbar vor einer
Wand aufgestellte Statue gedient hat, denn nur je drei
Seiten sind an jedem von ihnen mit Flachreliefs ver-
ziert. Diese Flachreliefs zeigen etwa handgroße helle
Figuren auf zum Teil noch gut erhaltenem weinroten
Grunde. Während das Relief der sich bekränzenden
Athleten ein sehr bezeichnendes Tasten und Suchen in
der Modellierung verrät, fällt an den Reliefs von der

Themistokleischen Mauer eine überaus feste, einheit-
liche Haltung auf. Sie legen offenbar den gefestigten
Reliefstil der peisistratidischen Zeit an den Tag, der
ein in sich geschlossenes Können darstellte, und dem-
gegenüber Werke wie das Relief von Sunion revolutio-
när gewirkt haben inüssen. Lebendigkeit der Darstel-
lung und Meisterschaft in der Ausführung treten in der
Ringerszene und dem interessanten Sportmotiv schön
zutage. An den Gestalten einer anderen Darstellung
erinnern einige auf den ersten Blick in merkwürdiger
Weise an die badenden Soldaten vom Karton des Mi-
chelangelo. Wie mir in Athen gesagt wurde, sollen in
der Vasenmalerei Vorstufen und Parallelen zu den
neuen Reliefs in Fülle vorhanden sein. Wie dem auch
sei, als Skulpturen bleiben sie zunächst unica. Es ist
aber nicht ausgeschlossen, daß Terrakotten zum Ver-
gleich herangezogen werden können. Ein Tonrelief der
Pariser Sammlung (No. 209, Abb. bei Pottier, Diphilos,
pl. VIII) kommt in der Darstellung eines stehenden, auf
seinen Stab gestützten Jünglings bestimmten Figuren
der Athener Reliefs nahe; doch scheint das Pariser
Relief etwas jünger zu sein. Eine genaue Beschreibung
und Abbildung der neuen Athener Funde wird in den
Veröffentlichungen des Französischen und des Deut-
schen Instituts demnächst erscheinen.

Als ich im Nationalmuseum einige Äußerungen der
Sympathie für die späthellenistische, von Delos stam-
mende Venusgruppe vorzubringen in Begriff war,
wurde mir von einem gelehrten Pendanten mit einem
prononzierten „scheußlich“ das Wort abgeschnitten.
Ein gnädiger Himmel behüte uns aber vor einer so ein-
seitigen Weisheit. Glücklicherweise regen sich auch
innerhalb der engeren klassischen Archäologie Proteste
gegen starre Vorurteile dieser Art, und gerade bei dem
in Frage kommenden liebenswürdigen Werk liegt mir
daran, sie so gut ich kann, zu durchbrechen. Die ge-
nannte Gruppe ist bereits mehrere Jahre vor dem
Kriege von den Franzosen auf Delos entdeckt, jedoch
erst neuerdings nach Athen geschafft worden, wo sie
dem Poseidon von Melos gegenüber am anderen Ende
des Saales Aufstellung gefunden hat. Dargestellt ist
Aphrodite, der sich Pan werbend genähert hat. Dieser
Bocksfuß hat etwas treuherziges, bei all seiner Utiver-
schämtheit. Niemand kann ihm recht böse sein, und
die Göttin selbst ist es am allerwenigsten. Sie scheint
vielmehr zu empfinden, wie im Kontrast zur Bocksge-
stalt ihre üppige Schönheit doppelte Majestät gewinnt;
herrlich aufgerichtet, droht sie dem Frechling lächelnd
mit dem erhobenen Schuh. Und damit wir keinen
Augenblick iin Zweifel bleiben, ist bereits ein kleiner
Amorin herbeigepflogen, der im nächsten Augenblick
den alten Bock mit heiterem Spott zu seinen Wald- und
Wiesenjungfrauen zurückführen wird, dort wo er hin-
gehört. Die Gruppe ist prächtig erhalten, die Arbeit ist
noch immer von sehr hoher Qualität, und eine Fülle
von Grazie offenbart sich zu den Bewegungen der Fi-
guren zu einander. Sie läßt den durch den Verlust der
Polychromie hervorgerufenen alabasterartigen Ein-

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