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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Dezemberheft
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Weil, Gustav: Der Rembrandt mit den fünf Lichtquellen: die Entdeckung eines unbekannten Gemäldes des Meisters
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0172

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Lichtproblematik bedeutet. Ein Wagnis, an das kein
Maler vor und nach ihm sich herangetraut hat, ein Prob-
lem, das ihn während seines langen künstlerischen
Erdenwailens ununterbrochen beschäftigte, auf diesem
Bilde hat er es spielend gelös.t. Wie Jakob mit dem
Engel, hat Rembrandt sein Leben lang mit dem Engel
des Lichtes gerungen und in diesem Werke seinen glän-
zendsten Sieg davongetragen. Dieser Rembrandt ist
59 cm hoch, 97 cm breit und auf einem mit zwei riick-
wärtigen Ouerleisten versteiften Doppelbrette aus
Eichenholz gernalt. Er stellt die Hochzeit Alexander
des Großen mit Roxane, der Tochter des Baktrien-
fürsten Oxyarthes dar. Dieses Fest wurde nafgjji der
Eroberung Persiens, Baktriens usw. im Frühjahre 327
v. Chr. gefeiert. Eine feindselige Stimmung — das vae
victis — bildet den Grundton unseres Gemäldes; sie
lagert wie eine düstere Wolke auf jedem Antiitz. Die
Sonne neigt sich bereits dem Untergange zu. Im lang-
gestreckten, gewölbteu Hochzeitssaale herrscht tiefes
Dunkel. Die Festtafel ist von den Gästen größtenteils
verlassen, nur zwei weißbärtige Greise, silzen verein-
samt in ernstem Zwiegespräche im dunkeln Hinter-
grunde. Zwei jugendliche Diener, der eine ein Mohren-
knabe, eine echt Rembrandt’sche Erschwerung des
Lichtproblems, schleppen die letzten Schiisseln herbei.
Links im Vordergrunde, mit dem Rücken zur Tafel, sitzt
gesenkten Hauptes im Kostüme der Zeit Rembrandts
Roxane, alles eher, als eine glückliche Braut. Jede
ihrer Mienen kündet tiefsten Seelenschmerz, tränenlose
J'rauer, willenlose Ergebung in ihr aufgezwungenes
Schicksal. Alexander iu eine goldumrandete Purpur-
mantille gehiilltp'den gelblichweißen Turban aüf dem
edlen Haupte, hält die linke Hand beteuernd auf dem
Herzen, die rechte auf der Schulter Roxanes. Die weit
geöffneten Augen im jugendschönen Antlitz drücken
Spannung, Erstaunen, beinahe Sehrecken aus. Offen-
bar hat er seine Herzenskönigin aufgefordert, ihm ins
Brautgemach. zu folgen, das von einem goldbefransten
Purpurbaldachin gegen den Festsaal abgeschlossen ist.
Drei Hofdamen links von der Hauptgruppe blicken ver-
wundert auf das Königspaar. Die zweite Hauptgruppe
der magistralen Komposition gehört in ihrer vollendeten
Perspektive zum Schönsten, was Rembrandt je ge-
schaffen hat. Auf einer runden, nur leicht erhöhten
Estrade steht ein Opferaltar, eine gelbliche, leicht rau-
chende Flamme lodert zu einem zweiten Baldachin
cmpor, der den rechten Hintergrund abschließt. Drei
Priester, darunter der Hohepriester mit der querge-
spaltenen Tiara auf dem Haupte bringen den Göttern
Brand- und Trankopfer dar. Mehr als die heilige Hand-
lung scheint sie die Szene im Vordergrunde des Bildes
zu beschäftigen. Sie schauen haßerfüllten Elickes auf
den kiihnen Bezwinger der heimatlichen Erde. Zwei
Diener in langen faltigen Gewändern schleppen Holz
und Opfer herbei. Goldene Prunkgefäße, getriebene,
edelsteingeschmückte Krüge edelster Rembrandt’scher
Prägung zieren die äußersten rechten und linken Teile
des Festraumes, Ein Korb, den kein holländischer
Kleinmeister mit größerer Feinheit gemalt hat, steht in

der Nähe des Altars. Alle Geräte, die Gewandfaltcn
dcr Diener sind in vollkommener Miniaturtechnik be-
handelt. Doch zu einem Unikum wird dieses Bild durch
die verschiedenen Lichtquellen, die hier zu
einem harmonischen Ganzen seltenster Art vereinigt
sind. Durch ein großes unsichtbares Fenster falleu von
der linken Seite die letzten Strahlen der Abendsonne in
den großen Raiun und beleuchten mit glänzenden Re-
flexen die beiden Hauptgestalten Alexander und Roxane
und die drei Hofdamen; in der gewölbten dunklen Rie-
senhalle, die drei gewaltige Säulen gegen ein weites
Tor abschließen, verbreiten sieben Öllampen ein mysti-
sches Helldunkel; durch eine kleine Türe links von den
Säulen dringt gedämpftes Tageslicht; durch das mäcli-
tige Tor, in dessen Rahinen die Stadt und zahlreichc
Menschen sichtbar werden, griißt noch der lichte Tag.
Anschließend an das große Tor steigt die Opferflamme
nach oben und verzerrt die haßerfüllten Mienen der
Priester ins Dämonische.

Die Deutung meines Bildes — neben der völlig
eimvandfreien, unverdächtigen, naß in naß hergestellten
Signatur, die erst bei der Reinigung am rechten untern
Bildrande zum Vorschein kam, steht die Jahreszahl
1628 — bereitete große Schwierigkeiten, da die orienta-
lische Gewandung, insbesondere die Tiara des hohen
Priesters beinahe niit ausschließender Bestimmtheit auf
einen alt- oder neutestamentarischen Bildstoff, auf eines
seiner zahlreichen „Judenbilder" hinwiesen, bis endlich
nach der Restaurierung ein tiber der Supraporta be-
findlicher persischer Epitaph den Schlüssel zur Erkli-
r.ung bot. Interessant ist eine in der Nähe dieses Epi-
taphs befindliche Kartusche, dic auf einigen Bildern aus
dieser Zeit bei Renibrandt wiederkehrt. Es ist erstaun-
lich, wie der 22 jährige Rembrandt an dieses schwerste
aller Lichtprobleme heranging. Zwei, höchstens drei
verschiedene Belichtungsarten auf e i n e m Bilde sind
wohl im ganzen Lebenswerke des Meisters nachzu-
weisen. Den Lichtquellrekord der Alexanderhochzeit,
es sei mir der sportliche Ausdruck gestattet, hat er
niemals zuvor, niemals später erreicht oder auch nur
angestrebt. Auf der Grablegung der Münchner Pina-
kothek z. B. dringt durch das große Höhlenfenster ein
fahles Mondlicht; eine Fackel und eine Stallaterne
treten hinzu, die tragische Szene zu beleuchten. Wäre
es nicht eine Versiindigung an dem unsterblichen Ge-
nius Rembrandts, man müßte die Alexanderhochzeit ais
ein Virtuosenstück bezeichnen, der Teufelssonate Pa-
ganinis an die Seite stellen, die sich in schwierigen
Fingergriffen, Trillern, Passagen und Flageolets nicht
gnug tun kann. Die Alexanderhochzeit ist mit einem
Worte eine Symphonie des Lichtes in Moll, die sich im
weiten Festraume zu einer unauflöslichen, harmoni-
schen Einheit zusammenschließt. Doch nicht nur als
Zauberer des Lichtes, sondern auch der Farbe und der
Charakterisierungskunst tritt uns Rembrandt in unsc-
rem Rilde entgegen. Die tiefe Innerlichkeit, die insbe-
sondere in seinen religiösen Bildern uns gefangen
nimmt, das Mitleid mit jeglicher Kreatur versagt er in
seiner bodenlosen. Herzensgüte aucli der heidnischen
 
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