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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Dezemberheft
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Gericke, Herbert: Die Kunst und der Wiederaufbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0174

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der Mitarbeit von Künstlern und der Rolle der Kunst
beim Wiederaufbau verspricht.

Wer im letzten Jahr durcli die vom Kriege mitge-
nommenen Gebiete Frankreichs gefahren ist, wird
außer der Wiederaufbauarbeit der Natur, die den zer-
fetzten Boden im Laufe der Jahre mit Griin überzog,
keine Wiederaufbauarbeiten gesehen haben und wird
die Klage des Abgeordneten begreifen, der mit vorsich-
tigem Vorwurf gegen die Regierung fragt, wie man von
einer Mitarbeit von Kiinstlern sprechen könne, solange
die Aufräumungsarbeiten nicht weiter gefördert seien.
„Leuten zu raten, an die kiinstlerische Ausstattung ihres
Heims zu denken, denen noch das Dach iiber detn Kopf
fehle, hieße das nicht das Überflüssige vor das Notwen-
dige setzen?“ Man tritt ein für den Wiederaufbau der
Städte, Dörfer und der einzelnen Häuser nach Grund-
sätzen der Tradition und hofft, daß das von einer Ver-
einigung der diplom. Architekten Frankreichs schon im
Kriege gesammelte Material zusammen mit den vor-
handenen militärischen und Meßbild-Aufnahmen von
früher dazu dienen wird, den Ortschaften ihre Vor-
kriegs-Physiognomie und damit ihr „früheres liebens-
wiirdiges Antlitz“ wieder zu geben. Den Erbauern
wird empfohlen, Baustoffe zu benutzen, die der Land-
schaft eigen sind, und in der Formgebung der Bau-
werke die Linien und den Charakter der Landschaft
sorgfältig zu beachten. Die Landschaften, an die man
denkt, sind die der Oise, Aisne und der Ilc-de-France.
Die charakteristischen Häuser: die ferme des Valois,
das Bergwerkshaus des Nordens, das Haus der Lor-
raine mit seinen gewölbten Türen und das aus Vogesen-
holz gebaute Haus des Elsaß. Wird bei der Gestaltung
der Ortschaften und Lläuser die Tradition als maß-
gebend in den Vordergrund gestellt, so finden sich bei
dein über die Inneneinrichtung der Häuser Gesagten
Richtlinien, die auf der Forderung eines der modernen
Lebensführung angepaßten Hausrates beruhen. Es sind
die Forderüngen nach Schlichtheit, Sachlichkeit, Ruhe
und Zweckmäßigkeit, die bei unseren modernen Innen-
architekten in den letzten Jahren Allgemeingut gewor-
den sind. Wieder findet sich aber die resignierte Klage,
wie man dies von Leute fordern könne, die in dem
Wunsche nach Möbeln nur zu oft auf die Ausverkäufe
der „Stocks americains“ angewiesen waren. Wenn
man den Äußerungen in dem genannten Bericht der
Finanzkommisssion das Gewicht beilegt, das ihnen
zweifellos gebührt, so kann man fiir uns zwei wichtige
Folgerungen daraus ableiten: einmal, daß man bei der
architektonischen Gestaltung der Ortschaften und
Häuser der Mitarbeit unserer Künstler und Architekten
nicht bedarf. (Vielleicht ließe sich fragen, ob bis zur
Fertigstellung des umfangreichen französischen Pro-
gramms den Obdach- und Heimatlosen Frankreichs
nicht mit einem Übergangshaus gedient wäre, das neben
raffiniertester Raumbeschränkung und der Einfachheit
einer Kabine alle Bequemlichkeiten vereinigte.)

Die zweite Folgerung ist, daß die Einrichtungs-
gegenstände nicht in den traditionellen französischen
Stilformen gehalten sein müssen, sondern daß man

Stücke von internationalem Geschmack sucht, die einzig
auf die Bedürfnisse des modernen Lebens hin geschaffen
sind. Dieser Wunsch nach der Neugestaltung des fran-
zösischen Hausrates deckt sich mit den Zielen unserer
deutschen Innenarchitekten. Zieht man in Betracht,
daß der Bedarf an Hausrat bei höchster Einschätzung
der französischen industriellen Leistungsfähigkeit diese
bei weiteni überschreiten wird, so liegt hier eine Mög-
lichkeit für unsere Mitarbeit. Die Dringlichkeit der An-
schaffung von Hausrat sollte den Verdacht von vorn-
herein beseitigen, die deutsche Industrie wolle einen
den französischen Fabriken vorbehaltenen Verdienst
schlucken.

Von diesen Überlegungen geht der Gedanke aus,
nicht mehr zu warten, ob und welche Wünsche Frank-
reich uns bezüglich des Wiederaufbaus unterbreiten
wird, sondern selbst aktiv vorzugehen und zu zeigen,
inwieweit wir in der Lage sind, in gemeinsamer Wie-
deraufbauarbeit die Leistungen der französischen In-
dustrie zu ergänzen. Diese Überlegungen gipfeln in
dem Plane einer Ausstellung deutscher Erzeugnisse. die
gleichsam eine Offerte von Möbeln, Tapeten, Heiz-
körpern, Beleuchtungskörpern, Stoffen, Teppichen, Ge-
schirr, Einrichtungsgegenständen usw. darstellen wür-
de. Wenn man sich nach dem Orte fragt, wohin eine
solche Ausstellung gehört, so wird die Antwort sein
müssen: K ö 1 n oder Wiesbaden, Orte die den
französischen Interessenten leicht die Besichtigung er-
möglichen. Für den Fall, daß dieser Plan greifbare Ge-
stalt annehmen sollte, wäre es an uns, zu überlegen,
auf welche Weise vermieden wird, daß diese Ausstel-
lung ein Aufgebot von Mittelmäßigkeiten wird, wie wir
sie heute unter dem Namen „Qualitätsarbeit“ vielfach
zu sehen bekommen. Es braucht nicht gesagt zu wer-
den, daß für die Auswahl der auszustellenden Stücke
nur Persönlichkeiten in Betracht kommen, die nicht auf
die Unübertrefflichkeit aller deutscher Fabrikate ein-
geschworen sind. Eine spätere Sorge würde es sein,
die auf die Ausstellung folgenden Aufträge dahin zu
bringen, wohin sie gehören, und vor allem das Unter-
nehmertum, von dessen „Tüchtigkeit“ wir nachgerade
im Kunstgewerbe durchaus iiberzeugt sind, auf die un-
entbehrlichste Mitarbeit zu beschränken. Ein Mittel
hierzu kann in einer Verbindung und gegenseitigen Ver-
ständigung deutscher und französischer Handels- und
Handwerkskammern liegen; besonders den Hand-
werkskammern wird es vorbehalten bleiben, die in Auf-
trag gegebene Arbeit durch die fein verästelten Kanäle
ilirer Bereiche selbst in die kleinsten Betriebe fließen zu
lassen. Neben der Wahrung der Interessen der Hand-
werker stehen die Interessen unserer Künstler. Wir
wissen, daß sie bereit zur Mitarbeit sind, wir wissen,
daß Frankreich der Kunst iin Wiederaufbau einen
Anteil zukommen lassen will. Sache der Kunstverwal-
tungen wird es sein, die künstlerischen Kräfte zusam-
menzufassen und die Wiinsche der Künstler wahrzu-
nehmen, von denen wir lioffen, daß ihnen das glückt,
was den Politikern innerhalb von vier Jahren nicht ge-
lungen ist: der Anfang des Wiederaufbaus,

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