Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Wilm, Hubert: Zwei alte Holzskulpturen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0207

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
des Germanischen Museums zu Nürnberg. *) Sie ist ein
Kunstwerk von Rang und, für die friihe Zeit ihrer Ent-
stehung, von einer selten vorkommenden guten Erhal-
tung. Abgesehen von einigen unbedeutenden Beschädi-
gungen an den Kronzacken, ist die Form der voll-
runden Biiste, die aus Nußbaumholz geschnitzt ist, noch
vollständig intakt. Von gleich guter Erhaltung ist die
ursprüngliche Fassung: die Fleischteile sind zart rosa,
mit etwas dunkleren Wangen und Lippen; die Krone,
die Flaare und das Gewand sind vergoldet. Macht die
Biiste, wohl wegen ihres lächelnden Gesichtsausdruckes
und des fehlenden Ausschnittes zur Aubewahrung von
Reliquien beim ersten Anblick auch einen etwas pro-
fanen Eindruck, so darf man doch mit Sicherheit an-

Ausgang der Spätgotik, die in den vierziger Jahren des
16. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Der Hauptreiz
dieser qualitätvollen Kleinplastik (Hölie 28 cm), von der
die beste Abbildung keine rechte Vorstellung zu er-
wecken vermag, liegt im Format und in der überaus
reizvollen farbigen Erscheinung. Vollrund geschnitzt,
bietet die kleine Gruppe von allen Seiten ein über-
raschend reiches, harmonisches Bild. Die gemütvolle
Art, mit der die Bewegung der Maria und das Spielen
der Putten mit dem Mantel gegeben ist, weist das Werk
der schwäbischen Schnitzerschule zu. Und es ist doppelt
interessant dadurch, daß es den Abschluß des besonders
in der schwäbischen Schule der Spätgotik ausgiebig
gepflegten Parallelfaltenstils bildet. Ein Beispiel für den

Muttergottes
mit Engeln

schwäbisch um 1530—40

..

Kunsthandlung
Norbert Fischmann
München

nehmen, daß sie, trotz dieser Eigenschaften, kirchlichen
Zwecken gedient hat und einst einen Altar schmückte.
Ein Vergleich mit den gleichzeitigen Werken der Köl-
ner Schule, vor allem mit den zahlreichen Büsten reli-
quiaren in St. Kunibert zu Köln, bestätigt diese Vermu-
tung und begründet auch die zeitliche und örtliche Zu-
weisung.

Die zweite hier abgebildete Holzskulptur, eine
betende Mutter Gottes mit Engeln ist eine Arbeit vom

*) Die Abbildung der Büste ist mit gütiger Erlaubnis des
Verlags dem eben erschienenen Buch: Hubert Wilm, Mittelalter-
liche Plastik im Germanischen Museum zu Nürnberg, Holbein-
Verlag München, entnommen.

Übergang des Schnitzstils des Meisters von Ottobeuern,
der Meister der Mindelheimer und der Biberacher Sippe
und anderer schwäbischer Holzbildhauer in den Schnitz-
stil der Renaissanceskulpturen fehlte bis jetzt. Die
kleine Gruppe bietet dieses Beispiel in glücklichster
Form. Die Parallelfalten der schwäbischen Meister von
1510 bis 1530 waren noch streng ornamental geordnet
und von einem gleichmäßigen Fluß der Linie gebunden;
hier beginnt nun dieses starre Schema freier zu werden,
eckige Faltenbrüche mischen sich unter die parallelen
und ein Naturalismus in der Gewandbehandlung, der
zehn Jahre vorher noch unmüglich gewesen wäre,
bricht sich Bahn.

Die tadellos erhaltene alte Fassung gibt dem klei-
nen Kunstwerk einen besonderen Reiz. In gelblichem

175
 
Annotationen