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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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2. Dezemberheft
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Weigmann, Otto: Moritz von Schwind's Zeichnungen zu Dichtungen von Eduard Möricke
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0209

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ziehen läßt? Wie sich hier unter des freundlichen
Engels liebevollem Zuspruch die Wandlung des aus-
gehungerten Pferdls aus einer kreuzlahmen schwach-
beinigen Mähre in ein kraftstrotzendes feuriges Roß
bildlich wahrnehmbar vollzieht, das verrät eine so
liebenswtirdige Vertrautheit des Künstlers mit der Tier-
seele, daß die Legende, Schwind sei zeitlebens mit der
Tierzeichnung auf gespanntem Fuße gestanden, wohl
einer Überprüfung bedarf.

Den künstlerischen Mittelpunkt des Albums bilden
die herrlichen sieben Kompositionen zur „Geschichte
von der schönen Lau“. Man kannte diese köstlichen
Umdichtungen seither nur aus den Umrißradierungen
von Julius Naue (1873 in der Göschen.schen Verlags-
buchhandlung, Stuttgart erschienen, die aber zu deut-
lich den Stempel fremder Bildübersetzung tragen, als
daß sie verwöhnten Ansprüchen geniigen könnten. Nun
liegen sie, wenigstens zum größten Teile in der Fassung
vor, wie sie der Meister selbst gestaltet hat, mit Wah-
rung der Zartheit und Lebendigkeit der ersten Nieder-
schrift in vorziiglichen Lichtdrucktafeln wiedergegeben,
und lassen erst in dieser Ausführung den unnachahm-
lichen Reiz ihrer künstlerischen Formensprache nach-
fühlen. Ob nicht zwischen diesen zarten Gebilden, die
deutlich die suchende Linienführung des ersten Ent-
wurfes zeigen, und den Naue’schen Linienradierungen
noch eine vom Kiinstler selbst redigierte Reinzeich-
nung vorhanden war, bedarf noch der Aufklärung; je-
denfalls sind manche Einzelformen, wie etwa die Details
der gerade bei Schwind oft so ausdrucksvollen Hände,
die in den Radierungen durchgeführt sind in den aus-
liegenden Skizzen nur angedeutet; obwohl kaum an-
zunehmen ist, daß Schwind die weitere Ausführung
fremder Arbeit überlassen hat, ist es doch auffällig, daß
von solch ausgeführten Zeichnungen bis jetzt noch kein
einziges Blatt wieder zum Vorschein gekommen ist.
Auch sind vorerst leider nur fünf von den sieben Vor-
lagen auffindbar gewesen. Wo sie fehlen, wie beim
ersten Bilde (Lau entsteigt dem Brunnen) und dem
vierten Bilde (die Lau hört im Traum den Kuß des
dicken Abtes in dreifachem Echo wiederschallen) ist
dem Album eine Skizze in Federzeichnung, beziehungs-
weise eine spätere Aquarellwiederholung beigefügt,
die in ihrer Tonigkeit freilich die Einheitlichkeit des
ganzen etwas stört und auch als Komposiotion in der
Andeutung des Örtlichen weniger klar als der Naue-
sche Umriß gehalten ist.

Es ist schwer zu sagen, welcher dieser von frischer
Fröhlichkeit erfüllten Szenen die Palme zu reichen ist,
ob den idyllisch heiteren Begebenheiten, wie der schö-
nen Lau beim Trocknen der Füße, oder beim Anblick
des auf dem Töpfchen sitzenden Kindchens das Lachen
ankommt, oder vielmehr den schalkhaften Streichen
des Klosterkoches, der das Überwallen des Blautopfes
mit der Bettschere verhindern will, und ein andermal
der ohnmächtigen Lau einen Kuß raubt. Aber viel-
leicht ist doch als die Perle des Ganzen die ausgelas-
sene Mädchenschar zu betrachten, die der schönen
Lau im Licht das schwere Stolperreimchen zum Nach-
sprechen aufgibt.

Vom kunsthistorischen Standpunkt wäre es von
Interesse gewesen, wenn auch den nocli vorhandenen
Teilstudien zu diesem Zyklus, deren die Nachlaßauktion
bei Rudolph Lepke — Berlin im Oktober 1900 sieben
enthielt, weiter nachgeforscht worden wäre; so z. B.
befinden sich im Darmstädter Landesmuseum zwei be-
sonders reizvolle Federzeichnungen und eine Bleistift-
skizze zum letzten Bilde. Auch wäre eine Stellung-
nahme zu der Frage erwünscht gewesen, ob das im
Stuttgarter Kufterstichkabinett verwahrte Blatt, das die
im Cyklus nicht verbildlichte Szene illustriert, wie die
Lau von Seefrauen zunr Lachen verlockt wird, (ab-
gebildet Klassiker der Kunst Seite 490) nicht doch wie
der Verfasser dieser Zeilen jetzt glaubt, als Fälschung
aus dem Schwindwerke wieder auszuscheiden sei.
Aber Vollständigkeit lag nicht im Sinne des Heraus-
gebers; er hätte sonst auch das noch im Familienbe-
sitze befindliche Skizzenblatt zu Lucie Gelmeroth dem
aus Möricke’s Besitze stammenden Blatte im Schiller-
museum zu Marbach, mit dem das Album schließt, noch
beifügen müssen.

Dem Bilderteil der Publikation hat der Heraus-
geber, der sich sowohl als Mörikeforscher wie als
Schwindbiograph erfolgreich betätigt hat, eine warrn
geschriebene Einführung vorausgeschickt, die in liebe-
voller Weise aus dem Briefwechsel der beiden Poeten
zusammenstellt, was zum Verständnis ihres Freur.d-
schaftsverhältnisses wie der ihm entsprungenen Kunst-
werke beitragen kann. Ihm, wie dem Verleger Oskar
Beck in München, der die Ausstattung des Werkes in
der Kunstanstalt Obernetter in München in muster-
gültiger Weise besorgen ließ, gebührt für dieses, wahre
Freude bringende Werk der aufrichtigste Dank aller
Freunde echter deutscher Kunst.

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