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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Februarheft
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Schmitz, Hermann: Deutschland und England im 18. Jahrhundert, [2]: ein Beitrag zu ihren Kunstbeziehungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0288

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einer Reihe von Saaldekorationen verarbeitet, unter
denen die des Marmorpalais bei Potsdam an erster
Stelle stehen. I)ie Flächigkeit und Geradlinigkeit der
Wanddekorationen teilt sich gleichzeitig dcu Möbeln
mit. Auf diesem Gebiete ist es schwierig zu sageh, wie
weit die vorhandenen Stücke nach englisclien Mustern,
den beriihmten Kupferwerken des Chippendale, des
Heppelwhite und Sheraton u. a. kopiert, wie weit sie
umnittelbar englischer Import sind. Die ('hippendale-
Stiihle sind in größer Zahl aus Hamburg hervorgegan-
gen; doch sind sie schon frühzeitig vom Handel nach
Hngland heriibergebracht worden, so daß eine be-
stimmte Lokalisierung heute kaum durchzufiihren ist.
Wiederholt werden seit den siebziger Jaliren „eng-
lische Kabinettmacher“ und „englische Stuhlmacher“ in
Deutschland genannt. Zweifellos waren das deutsche
Tischler, die in englischer Art arbeiteten, wobei die
Frage offen bleiben muß, wie weit diese Künstler in
England selbst studiert haben. Offenbar ist das Letz-
tere der Fall bei dem berühmten deutschen Ebenisten
David Roentgen aus Neuwied, der als,„englischer Kabi-
nettmacher“ im Jahre 1772 in einer Möbelrechnung für
Friedrich den Croßen erscheint. Die Blumenmarket-
terie seiner friihesten eben damals entstandenen
Schreibschränke, wie der beiden neu erworbenen im
Schloßmuseum und im Kopenhagener Kunstgewerbe-
museum weisen in der Tat auf die englische Blumen-
marketterie des Barock zuriick; die Bronzegalerie des
Berliner Möbels zeigt auch die durchbrochenen Citter-
muster, das „Chinese Strapwork“ der englischen Möbel-
kunst der Zeit. Imden Berliner Königskammern begeg-
nen neben Röntgenmöbeln Stiihle und Seatties itn Stile
1 Icppehvhites mit den Straußfedern des Prinz of Wales-
musters und ein Sideboard, das direkt nach einem Stich
des englischen Möbelzeichners Shearer kopiert ist.7)
Das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts bezeiclmet
den Höhepunkt der englischen Beziehungen im deut-
schen Möbelhandwerk; den vollkommensten Begriff
iibermittelt vielleicht das Schloß Paretz bei Potsdam,
dessen Möbel in der Mehrzahl Nach- oder Umbildungen
der Formen Sheratons sind. Noch heute begegnen
immer wieder Möbel verwandter Art im Berliner Han-
del, die als englisch ängesprochen werdeu, aber m. E.
sicher heimische Erzeugnisse sind. Leider sind die
Nachforschungen in den Inventaren und Bauakten der
Schlösser über die Herkunft der Möbel bislier fast ohne
Erfolg geblieben. Klarer liegt das Abhängigkeitsver-
hältnis zu England auf i dem Gebiete der Steingut-
fabrikation.8) Das mit Metalloyden gefärbte englische
Stejngut begann seit 1770 die im Niedergang begrif-
fenen zinnglasierten Fayencen zu verdrängen, und es
sind in vielen Fällen genaue Nachrichten erhalten iiber
die direkte Absicht der deutschen Fabrikcn, die
Massen, Farben und die Formen der Wedgwood-
fabriken von Etruria nachzuahmen. Die älteste Criin-

7) Nach Feststellung von Herrn C-harles Foerster.

8) Vgl. neuerdings Gustav Pazaurek, Steingut, Formgebung
und Geschichte.

dung ist die Casseler, seit 1771, deren marmorierte
Gefäße aucli zu Wanddekorationen in Wörlitz verwen-
det sind; eine der spätesten ist die Eckardsteinsche in
Berlin, für die auch Friedrich Gilly und der junge Schin-
kel Geschirre im englischen Stil entwarfen. Ein beson-
derer Liebhaber der Wedgwoodtöpferei war Friedrich
Wilhelm II., der sein Marmorpalais damit ausstattete.
Von entscheidender Einwirkung wurde ferner die For-
mengebung und technische Behandlung der Engländer
auf dem Cebiete der Silberschmiedekunst. Die glatten
feinumrissenen englischen Bowlen, Terrinen, Gewiirz-
aufsätze, Leuchter usw. beginnen seit den siebziger
Jahren allmählich die ausgeleierten Augsburger Ro-
kokomuster von den deutschen Tischen zu verdrängen.
Insbesondere wird die plattierte Arbeit von England
übernommen. Im Journal des Luxus und der Modeu
in Weimar und in anderen Journalen zur Verbesserung
des. Geschmacks werden neben englischen Möbeln und
Gardinen vor allem Silbergeräte alljährlich abgebildet.
Nach englischen Vorbildern entwickelt sich von Braun-
schweig aus die Lackmalerei auf Möbeln in dem Hause
der Familie Stobwasser, deren einer Zweig am Ende
des Jahrhunderts nach Berlin übergesiedelt ist. In Eng-
land befaßte sich mit derartiger Bemalung von Adam-
rnöbeln neben einigen Italienern Ängelica Kauffmann.
Es ist wichtig, das außer ihr auch andere Maler deut-
scher Herkunft, wie der Ziiricher Fiissli und ein Bruder
unseres Berliner Hackert in den siebziger Jahren nach
England gingen. Der Einfluß des englischen Stiles
macht sich namentlich in der Porträtmalerei, so bei den
Wienern Lainpi und Fiiger und bei den Berlinern
Weitsch und Frisch geltend. In den achtziger Jahren
malte in Berlin der Engländer Cunningham, von dem
die Schlösser noch eine Reihe Bilder aus der Lebensge-
schichte Friedrichs des Großen besitzen. Im Anschluß
daran ist die starke Förderung zu erwähnen, die von
England her der Schabkunst und dem Aquatintastich zu
Teil wurde, der namentlich in den Erzeugnissen der
Dessauer kalkographischen Gesellschaft Schönes gelei-
stet hat, und der den Sinn für das malerische Land-
schaftsempfinden gefördert hat. Auf keinem Gebiet
aber war dic Umwälzung, die der englische Einfluß be-
wirkte, größer als auf dem der Gartenkunst. Diese
Seite ist häufig genug behandelt worden und bedarf des-
halb liier keiner weiteren Erörterung. Es ist nur darauf
hinzuweisen, daß die Baumzucht, die wiederum der
Holzvertäfelung und der Möbelfurnierung zugute kam
nach dem englischen Muster die reichste Belebung er-
fuhr. Übrigens wurden eine Reihe der ausländischeu
Bäume und Sträucher, wie die Weymouthkiefern, die
in der Folgezeit das Bild unserer deutschen Gärten so
entscheidend beeinflussen sollten, durch hessische Offi-
ziere aus Amerika mitgebracht, die dort auf englischer
Seite gegen die Armeen Washingtons gefochten hatten.
So hat also der fluchwiirdige Menschenhandel der hes-
sischen Landgrafen, den schon die zeitgenössische Ge-
schichtsschreibung als einen der dunkelsten Flecke des
Jahrhunderts kennzeichnete, einiges Gute und Niitz-
liclie gestiftet. Endlich sei in diesem Zusammenhange

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