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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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2. Märzheft
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Bode, Wilhelm von: Eine neue deutsche Kunst in Sicht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0364

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erneuern kann, muß die Zeit sich beruhigt haben,
müssen wenigstens die Keime zu neuer Kultur sich ent-
wickelt haben, müssen neue ideale Ziele die Völker
bewegen: davon sind wir aber nie ferner gewesen als
gerade jetzt!

Die Hoffnung unserer patriotischen Kunstfreunde
auf Besserung unserer deutschen Kunst gründet sich
darauf, daß das Tischtuch zwischen Deutschland und
Frankreich griindlich zerschnitten sei. Das ist aber
doch nur durch die Franzosen geschehen; denn nicht
nur unsere Impressionisten, noch mehr die zahlreichen
Spielarten der Modernsten haben ihren Most aus Frank-
reich geholt, französeln noch immer, auch wenn sie sich
jetzt fiir urdeutsch in ihrer Kunst halten. Zudem ist bei
uns in Deutschland die freie Entwicklung der Kunst,
trotz aller juryfreien Ausstellungen, jetzt weit stärker
beliindert als in der „furchtbaren Kaiserzeit“. Was hat
man doch alles für uns in Deutschland um der Kunst
willen getan, und was tut maii gerade heute noch! Alle
Akademien werden beibehalten, ja womöglich ver-
doppelt, (wie in Weimar das „Bauhaus“ neben der Aka-
demie), Meisterateliers können nicht genug errichtet
werden, die Kunstgewerbeschulen werden besonders
kultiviert, mit Kunstschneiderschulen verbunden. Wie
man die Filmindustrie offiziell auf jcde Weise fördert
(das Reichsministerium des Innern hat eine eigene Ab-
teilung dafür und das Auswärtige Amt desgleichen), wie
man duldet, daß in jedem freien Hause an großen
Straßen, trotz aller Wohnungsnot immer neue Kinos
entstehen und das Theater immer weiter verkommt, so
glaubt man auch din bildende Kunst zu fördern, indem
man immer neue Ämter errichtet und sie reichlich mit
Beamten — nattuiich Kunsthistorikern — besetzt, einen
großen Apparat schafft und stattliche Millionen dafür in
den Etat stellt. Was dabei herauskommt, das hat uns
kürzlich der Reichskunstwart selbst vorgeklagt, der
seine Mißerfolge offen zugibt, aber auf ungenügende
Mittel und Mangel an Kompetenz schiebt. Und doch
hat er m. W. im v. J. schon einen Etat von 70 Millionen
gehabt, der doch jetzt der Geldentwertung entsprechend
wohl auf 700 Millionen hinaufgesetzt wird. Wie das
Reichsministerium des Innern, so hat auch das Preu-
ßische Kultusministerium, das Preußische Finanzmini-
sterium und selbst das Auswärtige Amt seine Kunst-
abteilung mit verschiedenen Kunsthistorikern als Leiter
und Mitarbeiter. Haben sie die Kunst gefördert? oder
fördern sie vielmehr den kleinen Kreis von Künstlern,
die sie um sich versammeln ?

In ähnlicher Weise schädlich auf die Kunst von
heute hat z. T. aucli die unnatürliche Förderung des
Kunststudiums und der Kunstmuseen gewirkt. Es ist
eine nicht genügend erkannte Erscheinung, daß das In-
teresse an der Kunst sich steigert und verallgemeinert
und die Preise für Kunstwerke immer höher geschraubt
werden, je mehr die künstlerische Lcistung abnimmt.
Das Studium der Kunstgeschichte hat seit einem Men-
schenalter eine Steigerung erfahren wie keine andere
Wissenschaft; Deutschland w-ird jetzt etwa 50 Dozen-

ten an den Hochschulen haben, und man rechnet, daß
allein tn den letzten Jahren etwa 200 Kunsthistoriker
ihren Dr. phil. absolviert haben. Nun haben zwar, wie
wir sehen, eine Reihe von Reichs- und Landesministe-
rien ihre eigenen Kunstabteilungen begründet und mit
Kunsthistorikern besetzt und eine ganze Reihe von
Städten hat, selbst noch nach dem Zusammenbruch.
städtische Museen aller Art errichtet und mit kunst-
historischen Leitern überreich ausgestattet. Aber ab-
gesehen davon, daß alle diese Stellen mit jungen Leuten
besetzt sind, wird der Bankrott unseres Reiches, der
Länder und Städte mit dem Zwang einer Balanzierung
ihrer Einnahmen und Ausgaben, der nicht lange mehr
auf sich warten lassen kann, nur allzubald dem uner-
hörten Luxus in Museumsbauten und Ausstellungen ein
Ende mit Schrecken setzen. Die zahllosen Kunsthisto-
riker werden also, wie es bereits vor dem Krieg der
Fall war und seither stets weitere Fortschritte gemacht
hat. zum größten Teil ihrem Fach untreu werden
müssen;" denn wenn sie auch als Referenten für die
Presse oder, vor Allem, als Kunsthändler zur Kunst
weiter in Beziehung bleiben, werden sie der Kunst-
geschichte docli regelmäßig entfremdet. Sie werden
Schrittmacher meist der modernsten Richtungen unse-
rer deutschen Kunst und Vermittler derselben an das
kaufende Publikum. Dieses ist aber seit dem Kriege
gründlich verändert; die alten selbständigen Sammler
halten sich fast ganz fern, während die Masse der Neu-
reichen in ihrer starken Ahnungslosigkeit, namentlich
der weibliche Teil dieser Gesellschaft, dem die neuen
Geschäftsleute und Schieber die Kunst als Sport und
Reklamemittel gern überlassen, aus Neuerungssucht und
Modenarrheit sich die Kunst der vielen „Ismen“ ein-
reden lassen. Sie werden so zu den stärksten Förde-
rern unserer ungesunden neuesten Kunstströmungen,
auch in der bildenden Knnst. Mode und Snobismus sind
die Götzen, denen in diesen Kreisen auch beim Sammeln
geopfert wird; unter diesen Fahilen kann aber echte
Kunst nicht gedeihen. Das modernste Kunstleben in
Deutschland, das sich jetzt gern als echt uational auf-
spielt, ist docli nur schließlich ein karikiertes Ausleben
der Pariser Künstlercliquen vor dem Kriege.

Eine Besserung, ein wirklicher Aufschwung ist
unter solchen Verhältnissen nicht denkbar. Größen-
wahn.Verschwendungssucht und Perversität, die heute
bei dem Vabanque-Spiel der ganzen Wirtschaft noch
mehr als vor dem Kriege große Kreise Deutschlands
verblendet und leider gerade seit dem Kriege auch ver-
derbt haben, ein Aufgehen der Nation in verknöchertes
Beamtentum, Kommissionsunfug und Parlamentarismus
verhindern heute mehr als je auch nur den Ansat?. zu
einer Gesundung unserer völlig kranken Kultur. Ge-
rade die Kunst, das verhätschelte Kind unserer Zeit,
muß unter der Versumpfung unserer ganzen Kultur am
meisten leiden; sie wird unfehlbar noch tiefer sinken.
Erst die furchtbarste Not, der wir entgegengehen,
kann wieder echtes deutsches Empfinden, kann den
Dräng zur Verinnerlichung in jedem Einzelnen er-

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