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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Aprilheft
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Pazaurek, Gustav Edmund: Deutsche Möbel des Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0394

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flüssig, nicht nur die Umdeutungsversuche und Ge-
schichtsfälschungen richtigzustellen, sondern den deut-
schen Anteil an der Möbelkunst der zwciten Hälfte des
18. Jahrhünderts entsprechend herauszuarbeiten, da-
mit es uns auf diesem Gebiete nicht ebenso ergehe,
wie im Reich der Damenmoden, die auch bis zum Welt-
krieg nur den Pariser Stempel tragen mußten, obwohl
unendlich viel begabte, nicht französische Kräfte, wenn
auch anonym, an denselben hervorragenden Anteil
hatten.

Die vornehme „Bauformenbibliothek“, die der
Stuttgarter Verlag Julius Hoffmann seit einer Reihe von
Jahren herausgibt, bringt ein überraschendes Material.
Hatte der Band von Seymour de Ricci über den Louis-
XVI-Stil die höfischen Prunkstücke in reicher Fiille
herauszuarbeiten verstanden und der Band von G. M.
Ellwood das englische Möbel bis gegen das Jalir 1800
ebenfalls in einer großen Fülle von Beispielen anschau-
lich zu machen gewußt, so bildet der soeben erschie-
nene Band über die deutschen Möbel des Klassizismus
eine ebenso willkommene wie notwendige Ergänzung
dazu, wie dies in gewissem Sinne bereits bei den „Ame-
rikanischen Möbeln“ von L. V. Lockwood in derselben
Bauformenbibliothek der Fall gewesen ist. Aber
diese sind doch mehr eine kulturgeschichtlich inter-
essante, als ästhetisch bedeutende Krcuzung holländi-
scher mit späteren englischen Einflüssen, verarbeiteten
somit Anregungen, die streng genommen selbst sekun-
där der Praxis nicht viel zu bieten hatten.

Ganz anders verhält es sich mit den deutschen
Möbeln des Klassizismus, die nicht nur auf die primi-
tiven französischen Formen und Dekore zurückgreifen,
sondern doch auch unendlich viel mehr aus eigenem
beizusteuern gewußt haben. Das zeigt der neue Band
der Hoffmannschen Bauformenbibliothek gerade bei der
Gegenüberstellung mit dem von Lockwood recht deut-
lich. Wieder werden uns außer einigen selir charakte-
ristisch gewählten Innenräumen alle Arten von Einzel-
möbeln vorgeführt wie Schränke, Sekretäre, Kommo-
den, Tische, Uhren, Stiihle Polsterbänke, Sofas, Betten,
aber auch Pianos, Nähtische, Etageren, üfenschirme,
Spiegelrahmen u. dgl., u. z. geschieht dies diesmal in den
mannigfaltigsten Techniken in einer so schönen Aus-
wahl, daß wir einen vorzüglichen Einblick in die ver-
schiedensten Produktionsgruppen Süd- und Nord-
deutschlands gewinnen. Die preußischen Königs-
schlösser wie das Berliner Schloßmuseum, die Schlös-
ser von Dessau, Braunsehweig, Kassel und noch mehr
die von Stuttgart und Würzburg, das alte Wiener Hof-
mobiliendepot, die Residenz von Bamberg, das Resi-
denzmuseum von München wie die Museen von Altona,
Hannover, Kiel, Lübeck, Schleswig, niclit weniger
fränkische Schlösser und Berliner Privatsammlungen,
wie die von Sanitätsrat Dosquet oder der Frau Feist
steuerten die schönsten Stücke bei, so daß wir nun tat-
sächlich einen Überblick haben, wie er bisher nicht
bestand.

In H e r m a n n S c h m i t z vom Berliner Schloß-
museum ist ein vorzüglicher Bearbeiter der ganzen

Epoche gefunden wörden, der gerade dafür besonders
berufen erscheint. Hat er doch schon 1920 in seinem
Werke „Vor hundert Jahren; Festräume und Wohn-
zimmer des deutschen Klassizismus und Biedermeier"
jene Zeit, die er bereits in seiner Gußeisenpublikation
zum Worte kommen ließ, sehr anschaulich darzustcllen
gewußt, so daß er nun, soweit es die noch sehr lücken-
haften Vorarbeiten auf diesem Gebiete überhaupt ge-
statten, eine treffliche Zusammenfassung bieten konnte.

Gerade gegenüber dem fürstlichen Prachttnöbel,
das sich von Paris aus die Welt eroberte, bildet das
schlichtere deutsche Möbel schon als konstruktiv
brauchbares Vorbild besonderes Intersse, namentlich
das norddeutsche Möbel, das dem Herausgeber natürlich
besonders naheliegt. Deswegen kommt aber auch Süd-
deutschland keineswegs zu kurz und die ausgezeichnete
rheiniche Werkstatt von David R o e n t g e n in Neu-
wied bei Koblenz erscheint nun viel greifbarer als dies
bisher der Fall war. Gerade dieser tiichtige, geschmack-
volle und unternelimungslustige Kunstschreiner und
Ebenist, der 1772 die Werkstatt seines Vaters in Neu-
wied übernimmt, verdiente einmal eine besondere ganz
ausführliche Behandlung. Bisher wurde unter franzö-
sischem Einfluß nur die erste Periode des „David von
Luneville“, wie ihn sich die Franzosen umfrisierten,
geschätzt, die noch vielfach unter der Tendenz der
französischen Boudoirmöbel steht und durch die ganz
ausgezeichneten farbigen Intarsien auffällt, für die nicht
nur Zeichnungen in der Art eines Boucher benützt wor-
den sind, sondern für die auch aus dem benachbarten
Koblenz Januarius Ziek Entwürfe gemacht haben soll.
Man wußte, daß Roentgen, der auch den Uhrmacher
Kintzing für vorzügliche Kompagniearbeiten zu ge-
winnen verstand, seit 1756 am Hofe der Katharina von
Rußland ebenso geschätzt wurde wie später vom
König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, der ihn zum
„Kommerzienrat“ ernannte, sowie daß er um 1790 rund
100 Arbeiter beschäftigte, aber in den Wirren der Re-
volution und der militärischen Rheinvasion empfindlich
zu leiden hatte und sclüießlich am 12. Februar 1807 iu
Wiesbaden starb.

Waren auch die scljönen Roentgenmöbel in den
Museen von Berlin, Wien oder Petersburg schon lange
populär, so wurden seine späteren, schlichteren Arbei-
ten von Mahagoni mit Bronzebeschlägen, die gerade für
die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts besonders be-
zeichnend sind, vielfach stiefmütterlich behandelt; in
dieser Beziehung schafft nun das neue schöne Werk von
Schmitz Wandel.

Gar manche Roentgenmöbel, wie der erst im letzten
Jahresbericht des Kopenhagener Kunstindustrie-
museums abgebildete Schreibtisch oder die Chinoiserie-
Intarsien des Landesgewerbemuseums iu Stuttgart
hätten noch herangezogen werden können. Namentlich
wäre es selir dankbar, einmal die ganzen Schiiler von
Roentgen wie Michael R u m m e r (geb. 1748) in Hand-
schuchsheim bei Heidelberg, von dem eine signierte
Intarsia von 1780 im Oldenburger Museum verwahrt
wird, ferner den Schweizer Friedrich S t r u d i, 'der

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