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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Juniheft
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Glück, Gustav: Aus der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0489

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reichische Kunst der Barockze.it, die in der Architektur
so hervorragende Leistungen aufzuweisen hat, im An-
schluß eben an diese Baukunst, die sie beherrscht, durch
die Vereinigung von stilgleichen Bildern und Skulpturen
voll und harmonisch zur Geltung und damit eine neue
Sehenswürdigkeit Wiens geschaffen worden ist. Die
Eröffnung diese Museums, die dieser Tage erfolgt ist,
hat einen schönen, großen Erfolg ergeben.

Eine solche ncue Gründung, die nicht aus System-
reiterei, sondern aus der berechtigten Züsammenlegung
des Vorhandenen entstanden ist, hat einen eigenen
Reiz, w'eil hier etwas geschaffen worden ist, was sonst
auf der ganzen Welt nicht vorhanden ist. Aber auch in
zeitlicher Hinsicht schließen sich die Kunstwerke des
achtzehnten Jahrhunderts besser und leichter an die des
neunzehnten und zwanzigsten an, die das eigentiiche
Sammlungsgebiet der Österreichischen Galerie bilden.
Hingegen sind uns hier die österreichischen Gemälde
des 15. und 16. Jahrhunderts immer als eine Art von
Fremdkörper erschienen. Sie gehören ohne Zweifel
in die große und hervorragende altdeutsche Samm-
Iung dcs Kunsthistorischen Museums, die ja auch schon
von früheren Zeiten her manche österreichische
Meisterwerke aufzuweisen hat. Wir brauchen nur
an P f e n n i n g s figurenreiche, schön komponierte
und tief empfundene Kreuzigung aus dem Jahre 1449
und an Rueland Frueaufs großartige, aus-
drucksreiche und farbenkräftige Flügel mit Passions-
szenen zu erinnern, zu denen in den letzten beiden
Jahrzehnten noch manche Gemälde aus Michaels
I3 a c h e r s Kreis, wie die edle Madonna von Utten-
heim, gekommen sind. An diese Werke schließt sicli
völiig harmonisch das an, was aus der Staats-
galerie an das Kunsthistorische Museum abgegeben und,
durch eine fast ebenso große Zahl von Erwerbungen
und Geschenken in kurzer Zeit vermehrt, seit einiger
Zeit vorläufig in drei neu eingerichteten Kabinetten
aufgestellt worden ist. Elierdurch hat die berühmte, an
Meisterwerken von Dürer und Holbein ganz besonders
reiche altdeutsche Abteilühg einen höchst wertvollen
Zuwachs an Gemälden der österreichischen Schule
erhaiten. Um die Neugestaltung, ebenso wie auch um
die Vennehrung dieser Abteilung hat sich Kustos
Dr. Ludwig Baldass, ein bewährter Kenner auf diesem
Gebiete, ganz besonders verdient gemacht.

II.

Die Aufstellung der Gemälde kann bei der Absicht
künftiger Vermehrung der österreichischen Abteilung
nicht anders denn als Provisorium gelten. Etwas un-
vermittelt aus einem Kompartimente, das die englische
Schule des 18. Jahrhunderts enthält, gelangt man jetzt
in das erste der drei neu geschaffenen Kabinette. Hier
haben die zwei einzigen eigenhändigen Wcrke des
großen Tirolers M i c h a e 1 P a c h e r , die sich im
Staatsbesitze befinden, ihre Aufstellung gefunden, die
, Gcißelung Christi“ und die „Vermählung Mariae“, Ge-
mälde von großartiger Formengebung, vollendeter
Komposition und starker, eindrucksvoller Färbung, den

Kunstfreunden schon aus der Aufstellung in der Staats-
galerie bekannt. Sie sind in harmonischer Weise von
einigen Skulpturen österreichischer Uerkunft umgeben.
Auf der Rückwand sieht man das älteste Bild, das hier
aus dem Gebiete des alteii Österreichs vorhanden ist:
die leider nicht ganz gut erhaltene, aber durch die
wunderbar edle Umrißwirkung, die feine Empfindung
und die zarte Färbung ausgezeichnete Gestalt der
stehenden Schmerzensmutter, ein ebenfalls aus der
Staatsgalerie stammendes Hauptwerk der bohmischen
Schule um 1400, die für die übrige nachfolgende öster-
reichische Malerei von ausschlaggebendem Einfluß ist.

In dem zweiten Kabinette sind Arbeiten der nieder-
östcrreichischen, Salzburger und steirischen Schule des
fünfzehnten Jahrhunderts vereinigt. Hier, wie in dem
folgenden Kabinette sieht man, abgesehen von den aus
der Staatsgalerie eingereihten Gemälden eine Reihe von
neuen Erwerbungen, besonders auch von Widmungen,

Steirische Schule um 1480. Cliristus auf dem Ölberg

die zum Teil dem regierenden Fürsten von Liechten-
stein zu danken sind.

Aus dem frühen 15. Jahrhundert stammen: aus der
Staatsgalerie die „Anbetung des Kindes“; sodann die zu
den Liechtenstein’schen Schenkungen gehörende „Ver-
kündigung des Engels an Joachim“, ein durch die auf-
strebende Komposition gothischer Kunstübung beson-
ders reizvoller Altarflügel, der mit zwei anderen im
Beiiiner Museum und einem vierten in Petersburger
Privatbesitz zu einem Altarwerk gehört; endlich die
aus dem Berliner Kunsthandel crworbcne figurenrciclie
und durch kräftige Färbung ausgezeichnete Kreuz-
tragung, die aus derselben Zeit und Schule stammt.
Der steirischen Schule des späteren 15. Jahrhunderts
entstammt der „Abschied eines von seiiieti beiden hei-
ligen Eltern begleiteten jungen Heiligen von der Wclt“,
ein zum Besitzstand der Staatsgalerie gehörender Al-
tarflügel, dessen abgesägte Rückseite mit der edel cin-
faclien Koinposition „Ghristus auf dem Ölberg“ neuer-
dings für das Kunsthistorisclie Museum erworben
werden konnte. Interessant sind auch zwei zusammen-

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