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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1./2. Juliheft
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Romdahl, Axel L.: Eine malerische Wendung in Dürers Schaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0536

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rückkormnen wollen. Dann ist cs kompositinell und
inhaltlich üem erstbesprochenen Blatte nahe verwandt.
I.in weniir aus dem Vordersrunde zurückgeschoben,
sit/.t Maria mit dem Kinde am Fußende eines großen
Bettes, das sich nacli rechts streckt, vor dem Bett eine
I ruhe, iinks eine Wiege. ln der rechten Ecke ein
runder hoher üfen. Links im Hintergrunde vor efnem
breiten F'enster (?) bei einem Tische mit Bücherpult ein
alter Mann mit langern Bart, lesend odcr viellcicht eher
schreibend, man bemerke das Tintenfaß rechts. Joseph
behauptet Lippmann. Aber die litterarische Beschäfti-
gung scheint für den guten Zimmermann aus Nazareth
wohl doch etwas befremdend. Wenn wir den Alten
nicht ganz sicher als den heiligen Hieronymus bestim-
men können — was ja ikonographisch nicht unmöglich
wäre — ist das Blatt ohne Frage als eine Vorstufe für
dcu Meisterstich, Bartsch 60, aufzufassen. Diese Kom-
position hat aber nur einen Teil von der freien Raum-
gestaltung der Zeichnung L. 143 beibehalten. Der
Künstler hat sich scheinbar angestrengt, den Eindruck
des unbegrenzten und rein Malerischen aufzuheben.
Er hat den vorderen Rahmen oben, unten und links
scharf markiert durch architektonische Streifen und die
Vorderfläche des Bildes noch obendrein durch den
Löwen und den Kürbis (zu bemerken, daß der letztere
nicht eine eigentlich plastische raumschaffende Wirkung
befördern will — das Geäst und das Blatt liegen ja ganz
flach wie bei einer gepreßten Pflanze in einem Her-
barium). Die Gegenstände bilden nur einen Ersatz für
die weggenommene Vorderwand des Zimmers, das
noch zwei scharf im Winkel zu einander gestellte
Wände hat und eine ebenso kräftig betonte Decke. Der
Raum ist wirklich wie ein Kasten, in welchen die Ge-
genstände hineingestellt sind, genau und zierlicli wie
in einem Puppenschrank. Und aucli die Beleuchtung
ist sozusagen hineinplaziert, ist sekundär im Verhältnis
zum Raume, nicht primär raumschaffend. In der Zeich-
uung hinwieder keine Vordergrundsarchitektur, keine
Wände, keine Decke, keine Ecken, alles nur malerischer
unbegrenzter Raum, Licht und Athmosphäre.

Eine andere stark malerische Komposition ist die
Kreuzigung, Lippmann 523 von 1511 (Wien, Albertina)
mit der Hauptgruppe zurückgeschoben und eine freie
anscheinend willkürliche Dispostion der Figuren, die
sogar etwas an Rembrandts Radierung, Bartsch 78, er
innert. Hier vergleiche man das Saporbild von 1508,
besonders die Anordnung dcs Vordergrundes.

Die technische Ausführung dieser Zeichnungen ist
zwar derart andeutend, daß sie an sicli kaum Auf-
schlüsse geben kann, wie sich Dürer die malerische Ge-
staltung der Bildthemen näher gedacht hat. Nun be-
sitzen wir aber einige Zeichnungen eben aus derselben
Zeit, die deutlich genug Bescheid davon geben.

Als erstes Beispiel nehmen wir Lippmann 29 (Ber-
lin), eine Skizze zu dem Kupferstich, Bartsch 11, Maria
mit der Birne. Das Gesicht und der Oberkörper der
Madonna sowie auch der Kopf des Kindes ist mit paral-
lelen Strichen dargestellt. Der Kopf des Kindes ist mit
Strichen in derselben Richtung und derselben Art wie

dic rechte ilülfte von dern Qberkörper der Mutter be-
schattet. Wenu man dcn Kupferstich mit der Zeichnung
vergleicht, ist der wichtigste Unterschied, daß Mutter
und Kind iu dem Stiche nicht mit der Beleuchtung zu-
sammengefaßt werden, sondern iin Gegenteil von cin-
ander plastisch isoliert. Es ist die Kupferstichtechnik,
die Dürer von der RealiSierung seiner ursprünglichen,
malerischen Absichten abhält, die ja docli iu diesetn
Elatte gewissermaßen zur Geltung kommen, im Hinter-
grunde, Himmel und Baum. Fast nocli mehr lnaleriscli
als Lippmann 29 wirkt die Zcichnuug L, 76 (Mitchell,
London), eine thronende Maria, wogegen 77 (ebendort),
ebenfalls eine Madonnen-Darstellung den Zwiespalt
zwischen malerischen und plastischen Neigungen zeigt.
Zu derselben Gruppe von Zeichnungen gehören Lipp-
mann 316 und 317, beide Skizzen zu einer Madonna auf
der Mondsichel — 317 besonders malerisch *) — und
318, 319 Schmerzensmänner (alle vier im Louvre), 319
Vorzeichnung zu dem Kaltnadelblatt, Bartsch 21, aus
dem Jahre 1512. Die letzte Zeichnung mit dem be-
schatteten, gesenkten Haupte des Heilandes sug’gestiv
in der Wirkung und von einer malerischen Kühnheit, die
sicli der Künstler dann in dem ausgeführten graphischen
Blatt nicht zutraute.

Endlich haben wir ein paär größere, figurenreichc
Darstellungen zu berücksichtigen, Lippmann 524 (Wien
Albertina), Entwuif zu dem Hölzschnitte die heilige
Familie, Bartsch 96 von 1511 — und Lippmann 521
(ebendort), Entwurf zu einer Madonna mit Heiligen,
wahrscheinlich als Holzschnitt gemeint, mit Datum 1511.

Die erstgenannte Zeichnung zeigt die Komposition
des Holzschnittes im Gegensinne und mit gewissen Ver-
schiedenheiten in den Details, die alle dazu beitragen,
dem Entwurfe eine weit mehr malerische Wirkung zu
geben als wir bei dem ausgeführten Blatte finden. Dic
ganze Gruppe hebt sich vor dem hellen Himinel — ohne
Häuser und Bäume — ab, mit ausdrucksvollen Silhout-
ten; drei Männer sind der Familie zugesellt, die in dem
Holzschnitte weggelassen wurden, alles ist freier, mehr
imsymmetrisch und dabei doch rühiger, mehr klassisch,
italienisch. Eine besonders wichtige Änderung ist die,
daß der sich vor dem Baumstamme vorbeugende Mann,
dessen Kopf mit denselben Strichlagen wie der Schatten
am Baume gegeben (in der Wirklichkeit ist der Kopf
über den Schatten hinzugezeichnet) in der Ausführung
verschwunden ist. Die Veränderungen, die Dürer in
dem Holzschnitte vornahm, sind alle der Natur des
graphischen Stiles gemäß und beabsichtigen eine grö-
ßere Klariieit und eine rnehr dekorative Ausfüllung des
Blattes.

Alle diese Zeichnungen haben nun dies gemeinsam,
daß sie mit Parallstrichen ausgeführt sind, die über die
plastischen Formen laufen, ohne Rück'sicht auf die Mo-

*) Lippmann 317 scheint die erste Skizze zu sein für den
Kupferstich Bartsch 32, Maria mit Sternenkrone und Scepter, 1516
datiert und auch in der Ausführung malerisch mit dem haib be-
schatteten Kopfe des Kindes. Der Entwurf kann früher sein als
die Ausführung im Kupferstich.

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