Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1907)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0747

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
auch die Zahl derer nicht mehr gar
so klein, die den Alltag als Maler
wie als empfindende Menschen mit
Ernst behandeln, mit künstlerischem
und psychologischem Ernst auch im
Humor, wie vor allen andern der
treffliche Fritz Philippi. In der
Luitpoldgruppe ist mir Bergsma
aufgefallen, der ein Häuflein Sa-
binerinnen in der hellen Luft Ita-
liens zeigt voll charakteristischer
Leichtigkeit inHaltung undBewegung
bei aller unverfälschten Bäuerlich-
keit der Körper; unter den Wei-
marern Vock, der eine neugierige
Kinderschar vor einem offenen
Grabe äußerst lebenswahr schildert.

Am schlimmsten steht es wie
jedesmal um die Art Kunst, die
über die Fähigkeit eines „fühlen-
den Sehens" der Außenwelt hinaus
das innere Erschauen von Gesich-
ten verlangt, um die Phantasie-
kunst in besonderem Sinne. Was
sich dafür ausgibt, bringt es meist
nicht über künstliche Hirngespinste
oder über Schauspielereien hinaus,
wie der „Iohannes" von Becke-
rath in der Luitpoldgruppe z. B.,
der mit seinen hängenden, tiefein-
geschnittenen Mimenmundwinkeln
geradezu aus dem Theater herein-
verpflanzt scheint. Oder es geht
wie bei Stuck in der Sezession:
nach der Effektseite des Ergrei-
fenden und Schaurigen hin hat
er seine „Kreuzigung" wie seine
„Anterwelt" vorzüglich ausgestattet;
wo aber ein höherer seelischer Gehalt
in Göttern, Geistern und Menschen
sich offenbaren soll, bleibt es bei
hohlen Masken, wenn es nicht zu
einem Hinabziehen der psychischen
Vorgänge ins Rohe kommt. Oder
Slevogt schildert ebendort im
nüchternsten Wirklichkeitsstil einen
großen von Kopf zu Fuß gepan-
zerten Menschen, wie er mehr
oder minder nackte Freudenmädchen
japanischen Aussehens zu den

andern zurückstößt, die schon hinter
ihm zu Boden geworfen zappeln,
als machten auch hier „Kleider die
Leute", die allegorische Aufmachung
das phantastische Leben. Schmid-
Reuttes „Kreuzigung" wieder,
sein „Kain" usw. bieten mir per-
sönlich keineswegs mehr als männ-
liche Akte in eigentümlichen Stel-
lungen, freilich formal wie kolo-
ristisch ganz eigen stilisierte und
vorzüglich komponierte Akte, die
als solche gewiß auch mein Inter-
esse erregen, wie die Slevogt-
schen Männer und Weiber das als
Träger von Farben tun. Ein paar
Worte über Fritz Erlers Kartons
zu den Wiesbadener Fresken ge-
hören auch hierher, da er sich nicht
darauf beschränkt, in seiner vir-
tuosen Weise rein dekorative Far-
benphantasien zu geben, sondern da-
bei den Amzug und das Treiben
der „Iahreszeiten" in symbolischen
Menschengestalten vorführen will:
ein Anternehmen, wozu seinem
Talente das psychologische Er-
fassen noch merklicher abgeht als
Stuck: es ist als trieben die alle-
gorischen Personen fast durchwegs
eitel Mummenschanz mit den eignen
Empfindungen aüch da, wo nicht,
wie auf dem Winterbilde, Karneval
dargestellt wird. So läuft es denn
schließlich darauf hinaus, daß ich
bekennen muß, schier das einzige
Phantasiestück, an dem ich, wenn
ich von den mit der Landschaft ver-
knüpften Leistungen absehe, eine
reinere Freude haben kann, ist eine
anspruchslose, drollig charakteristi-
sche Radierung Weltis im Bund
zeichnender Künstler, der „Ehe-
hafen". Allwo unter einer bedrän-
genden Fülle von Einzelheiten und
ohne alle strengere Form in der
Komposition, aber voll eifrigen Be-
hagens, entwickelt wird, wie die
Iunggesellen ihre künftigen Ehe-
frauen aus dem Weltmeere fischen,

636

Kunstwart XX, 23
 
Annotationen