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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 2 (Novemberheft 1925)
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Bruns, Marianne: Jean Paul: zu seinem 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0090

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Dor allem lebke er nle ohne Hunde, mlt denen er eines spaßhast liebevollen Ber-
kehrs pflegke. Ja selbst zu den Blumen bückte er sich hinunter, er kannte ihre Arten
und Namen und sragte sich, ob sie nicht auch Seelen hätten.

Seltsam ist es, und es war entscheidend sür seine Wirksamkeit, daß ein Mensch
von so kindlich-einsältigem Wesen und liebendem Herzen, dem die Freude — und
ach, welche Winzigkeit schon ersüllte ihn mit Freude! — Himmelstochter tvar,
die man zu sich herabziehen dürse, der, roeil er einen gütigen Gott glaubte und
selber liebend war, in herzlicher Heiterkeit lebte, daß ein solcher Mensch neben
dem empfindsamen Gemüt einen kritischen Geist besaß und Kühnheit und Einsall
genug, ihn satirisch auszudrücken. Was immer seiner Borstellung von hoher
Tugend entgegen war, griss er an. Er kannte und persislierte die Menschen vom
Mädchen bis zum Hosmann, vom Geistlichen bis zum König, vom Friseur bis
zum Ästheten. Aber sein Spott ist niemals schneidend, weil der Spottende nicht
überheblich, nicht böswillig ist.

Leicht zu begreifen ist es, daß ein Mensch dieses Sinnes und dieser Einstellung
zur Welt direkt und aus das Nächstliegende wirken wollte, so auf die Jugend; er
schrieb pädagogische Schristen, begreislich auch, daß er philosophische und endlich
auch politische versaßte. Nicht zu jenen überzeitlich orientierten Geisteskönigen
gehörte Jean Paul, die sür das töricht-kleine Gewühl im Heute nicht Raum
haben im visionenersüllten Auge. Jhm war das Geschick deö Vaterlandes wichtig.
Aber bezeichnend sür die ethische Tiese seines Wesens: nicht ob Staaten zersielen
und Versassungen stürzten, kümmerte ihn, ja, eine Zeitlang hosste er, Napolcon
werde der Beschirmer deutscher Kultur werden, sondern lediglich, daß deutscher Gcist,
deutsche Kultur nicht zersalle, dafür trat er ein. Nicht wie viele seiner Zeitgenossen
in einmaliger Unterwersung des verhaßten Erbfeindes sah er das Heil Deutsch-
lands: ihm schien entscheidend das Verhältnis des Volkes zur Tugend. Moralische
Zersetzung schien ihm seindlicher als Napoleon. Er war ein Friedensprediger.
Ehrung des Gegners war ihm unerläßlich, sriedliche Völkerverständigung ein Ziel
der Zukunst. Er sah voraus, daß der Krieg an seiner eigenen Bervollkommnung
umkommen müsse.

Auch sür die Freiheit trat er ein. Auch die soziale Frage war ihm eine ethische:
so sollten die Lehrer nicht aus Gehaltzulage dringen, sondern sich so wie daS Schul-
meisterlein Wuz sür geringe Freuden empfänglich machen; so sollten nicht Staats-
wesen, Justiz und Kirche umgestoßen und erneuert werden — hat doch kaum
jemand so kühn Fürsten, Richter, Geistliche angegrissen wie Jean Paul! — sondern
die Verwalter jener Jnstitutionen sollten gesittete, rechtliche, gütige Menschen
werden. Von einem tugendhasten König erwartete er das Heil sür Deutschland.
DieS alles entspricht seinem Charakter und seinem gewaltfeindlichen Temperament,
das nicht Revolution der Unterdrückten, sondern Freiwi!!t^"'t der Machthaber
anstrebte.

Jean Paul war kein Herrenmensch, er war ein edler Bürger. Einen Weltbürger
möchte ich ihn nennen, seines weiten Sinnes wegen, vorausgesetzt, daß das Ge-
wicht aus dem Worte „Bürger" liegt. Er war kein Weltherrscher. Bürgerlich
lies sein Leben ab, bürgerlich war seine LebenSführung, ja seine Arbeitsmethode, äls
Bürger verkehrte er mit Fürsten und Junkern, bürgerlich waren seine Eigenschasten,
bürgerlich endlich seine Leistungen. Er steht im Gegensatz zum genialen Schöpser.
Er ist nicht eigentlich schöpserisch: er beobachtet, urteilt, erzählt, sügt, verbindet.
Schöpser sind voll gewaltiger Jntuition und gestalten Urersundenes. Schöpser
legen den Hauptwert auf Kraft, auf Durchdringung und Erschöpfung des LebenS,
Bürger aus Moral, aus Reinheit des Lebens. Der Geniale haßt Kleinheit mehr
als Bösheit, der Bürger Bösheit mehr als Kleinheit. Der Bürger ist voll Mitleid

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