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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 4 (Januarheft 1926)
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Trentini, Albert; Molo, Walter von: Offene Briefe, [1]: Albert Trentini an Walter von Molo [und] Walter von Molo an Albert Trentini
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0230

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hinzureißen; und daß unS Methoöe ohne Genie Hekuba ißt! Denke nur daran, daß
Dir jemand sagen toürde: „Hochoerehrter Herr von Mo!o! Nachdem Sie nuin
eine erhcbliche (dieses Wort stirbt wieder aus! R. i. p.) Anzahl von Jahren hin-
durch in den Spuren des Expressionismus gewandelt zu haben scheinen, dürfte es,
meinen wir, doch an der Zeit sein, daß Sie sich langsam der neuen Sachlichkeit zu-
wenden!" Jch wette, Du erschlügest den Mann auf der Stelle! Wieder einen!

Aber die große Veränderung in der Welt, loelche heute vor sich geht und in deren
brausendeS Rad (welche Lust, heute zu leben!) wir Glücklichen eingeflochten sind,
diese grandiose Umdrehung kommt nicht von der Politik, und nicht von der
Kunst, und nicht von der Wissenschaft, ja auch nicht von der heute so viel
bemühten Religion her; sondern — wie öenn anders wäre es möglich? —
unmittelbar vom Lenker deS Rads, von der Seele der Welt, von Gott selber!
Die Herren Staatsmänner, Künstler, Erforscher, Erfinder, Philosophen und Reli-
gionserneuerer sind nur die (ach, wenn sie es doch einsähen!) Medien dieser Ge-
walt; dieses Gottes, der jetzt in lächelndem Erbarmen über unsere barbarisch lange
Borniertheit höchst merkbar sich deutlicher offenbart. Nicht ein nener Gott also
erscheint. Sondern der cwige, immer gleiche, den bisher nur ganz Wenige zu er-
fasscn den Mnt hatten, enthüllt sich. Als was? AIs das, was e r ist, und nicht
mehr als das, zu dem wir ihn machtcn. Der bisherige Standpunkt der Menschheit
Gott gcgenüber war der cines nackten, hemmungslos ausschließlichen EgoismuS.
So wie sie, ach, wie jedes lebetolle Jch den Gott haben wollte, so mußte Gott
sein. Die Wirkung solch hottentottischen Anthropozentrismus war: himmelschceiende
Bli'ndheit. Sieh Dir die Religionen, die Philosophien, die Wlssenschaften, die Künste
— und die Lebensformen dieser Blinden an! Niemals wurde darnach gefragt:
wie Gott etwa von sich her sein möchte; was Gott von unS verlangte. Sondern
immer nur darnach: wie er sein sollte, um u n s zu genügen. Nun scheint ein anderer
Wind zu blasen. Der starre Subjekt-Pol stürzt, und der freie Objekt-Pol tanchk
aus der Dämmerung. Böllig verändert plötzlich das Blick- und das Lebenöfeld
deS Menschen! Zum ersten Mal verläßt er den Kokter seines besessenen Jchs und
erblickt — das Du! Alle Du's! Alle seine Partner im Spiele. Die Heerschar seiner
Objekte. Jst's nicht natürlich, daß nun zum ersten Male auch ein Weltgefühl, ein
kosmisches Erfassen sich auftun? Und daß erspürt wird, daß Gott etwas ganz
andcreü ift, als was die Religionen bisher als Gott herzeigten: nämlich nicht der
Menfchengott, der von den Menfchen gebrauchte Gott; sondern der Gottes-
Gott, der Gott, wie e r die Welt und die Menschen braucht?

Diese Wandlung ist die größte Revolution, die der heutige Menschengeist sich vor-
stellen kann; und die politischen, künstlerischen, wissenschaftlichen und religiösen Revo-
lutiönchen, die wir seit zehn Iahren durchmachen, werden lächerlich verständlich,
sobald man sie als Medial-Geschehnisse dieser Umdrehung des Gottesrades anschaut.
Freilich, erst der Anfang ist schon vollzogen. Aber das Göttliche, so viel „Zeit"
es sich auch gönnen mag, kennt kein Aufhalten. Jch weiß, Du glaubst es mit mir:
alle Egoismen, auch wenn sie noch so starrköpfig verzweifelt dagegen anrennen,
werden inS Gras beißen müssen! Ohne Ausnahme! Und der Mensch, Stufe für
Stufc, Leid für Leid und Freude für Freude, in jcnes Reich Gottes hi'naufgeführt
werden, in welchem über allcn Leichen menschlicher „Ansprüche" an Gott — das
Recht Gottes auf eine gottsehende, gotthörende und gottfühlende Menschheik
lächelnd thronen wird.

Diesen Anbruch wi'ttern zu dürfen und so viel und so kampflustig und so mit-
tötig gIauben zu dürfen, ist das Geschenk dieser Zeit. Man darf wissen heute,
daß man eine Aufgabe hat. Man steht in keiner toten Schli'nge. Der Gei'st GotteS
ruft, und man empfängt ihn. Man fragt nn'ch, di'eses sage ich als ein Beispiel,
 
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