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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 8 (Maiheft 1929)
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Tribünne
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0150

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Dcr Beobachter, als er dies gelesen hatte, — auch sein Gesicht war jetzt plötzli'ch
ganz töri'cht und unrasiert getoorden und brauchte di'e längste Weile, ehe es weiter-
zulesen vermochte. Es sei „einwandsrei sestgestellt worden", las cr dann, daß die
Mutter deS Kindes schon drei Tage vor dem gewaltsamen Dssnen der Wohnung an
Herzschlag gestorben, das Söhnchen aber, weil es den Tod sür Schlaf gehalten,
drei' volle Tage und Nächte nicht von seinem Platz vor dem Bette der Mutter ge-
wichen sei. Fast verhungert habe man den Kleinen angetrossen; nur ein paar alt-
backene Semmeln hätte er zum Essen gesunden, und nicht einmal Milch, und am
ganzen Leiblein gezittert vor Erschöpfung und Kälte, als man ihn endlich von seiner
Wache ablöste. Sein rechtes Zeigefingerchen aber erst dann von den Lippen ge-
nommen, als man ihm zu verstehen gab, daß.. .

Kurz, nachdem der Beobachter auch dies alleS vernommen, erhob er wie von einem
Alb erlösl den Blick, strich mit verlegencr Hand über die Zeitung hin, und ließ sich
sast hinreißen: „Gott sei Dank, wenigstens noch ein Herz auf dem richtigen Fleck!
Also darf man doch hossen!"

Umschau

Bcrliner Sezcsswn 1929

/T^ trenge Auswahl, wie sie das Kätalog-
^—^Vorwort ankündigt, ist eine vielver-
sprechende Empfehlung; setzt aber voraus,
daß genug und mehr als genug des Gu-
ten da ist. Die kleine, etwas bunte Schar
öer Berliner Sezessionisten dars sich das
Wagnis einer besonderen Frühjahrs-Aus-
stellung anscheinend nicht mehr zumuten,
so verlockend der Gedanke ist, daß diese
nun schon in die Jahre kommende Gruppe
es sertigbringen will, den besonderen, den
Berliner Eharakter der Malerei zu zeigen.
Sie bringt statt dessen vor allem den
Beweis, daß die Lage der Malkunst in-
nerhalb unserer heutigcn Daseinsatmo-
sphäre noch immer höchst prekär ist. Sie
bewcist, daß wir die Welt nur in einem
Husch ansehen, ob wir vielleicht auch im-
mcr noch der Ansicht sind, diese Flüchtig-
keit genüge völlig, um auch aus der Lein-
wand alle Rätsel der Erscheinung zu
lösen. So bleiben die Bilder, äußcrlich
gesprochen, im Zustand einer hastigen Un-
termalung, im Diminutiv einer Studie,
die ihr Daseinsrecht nicht aus anschauli-
chem Erleben, sondern aus begrisslichen
Konstruktionen herleitet. Daher so ost der
Eindruck der Schnoddrigkeit, deS abrup-
ten, manchmal optisch wirksamcn Aper-
yus. Uber dicsem Bestreben läßt man so-
gar den gesimden Bildaufbau — den
besken und wichtigsten Gewinn der schwe-
ren und abenteuerlichen Periode, die eben
hinter uns liegt! — wieder in Gefahr
geraten. Da es an Erfahrung fehlt, ist

vielen Jüngeren ein Manierismus will-
kommcne Rettnng. Damit ist aber daö
Bild in seinen wirklich künstlerischcn Ele-
menten ruiniert und ohne glossierendes
Gerede unverständlich. Mit Arroganz be-
sragt, weigert sich die Natur, verständlich
zu antworten. Und das wird so bleiben,
so lange es die Grundüberzeugung der
Künstler ist, es lohne sich nicht, Geduld
und Teilnahme an die vergängliche Er-
scheinung zu verschwenden, außer wenn
man vermittelst Gehirnarbeit sie zu unter-
jochen hosst oder Hohn und Verachtung
über ihre niedrig stehenden, vom Ver-
stand längst erledigten Produkte ausgießt.
Hierbei sind wir Menschen selbstverständ-
lich einbeschlossen. Haß ist ein scharfer
Beobachter, dem wir gelegcntlich recht
wohl dankbar sein müssen. Nur, daß er
heute mit Hochmut gepaart ist: so stei-
gert und isoliert er seine Ersahrungen
nicht, sondern verzerrt und banalisiert sie.
Schade, daß man keinen neu ausgegan-
genen Stern melden kann, wenngleich na-
türlich manch tüchtiger Maler manch
gutes Bild zu zeigen hat: Büttner (ein
menschenleerer Rummelplatz), Jaeckel
(ein Halbakt, harte, aber vortreffliche
Malerei), Leo Michelson (ein sarbi-
ges Hasenbild, vielleicht daS beste Ge-
mälde der Auöstellung), Schmidt-Rott-
luff und I. von Reppert-Bis-
marck (Stilleben), Teuber und Karl
Walther. Es sind aber doch zu we-
nige, die man nennen kann. Ersreulicher-
weise ist die Skulptur — jhr dreidimen
sionales Wesen und ihre stoffliche Stabi-

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