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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 11 (Augustheft 1929)
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Tribünne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0388

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„leicht". Sie >st „allgemeinfaßlich". Sie tvrrd überall „gefragt". Si'e bringt am
fchnellsten nnd sichersten „Geld" ein. Und — paßt anf, nrcht mehr ein Jahr ver-
geht, und sie macht erst noch „berühmt". Nationalpreis, nein Weltpreis für „bg-
nslit^ univsrse"! A. T.

Die Schuld der Kirche gegen die Welt*

Von Wilhelm Michel

.^--riedrich Gogarten spricht. Mit der ihm eigenen grabenden Genauigkeit und
O Strenge, die vor allem eine Strenge gegen sich selbst ist; mit der Unterschei-
dungskraft eines Menschen, der sich ein für aliemal entschlossen hat, der Lüge
Valet zu geben; mit der Gesinnung des „Wachet und betet", also mit der Nüchtern-
heit der höchsten Gefahr-Situation.

Das Wort, das er in dieser seiner neuesten Schrift spricht, geht zunächst die Kirche
an. Er ruft die Kirche, die „den Kopf in den Sand sogenannter Sozialethik, evan-
gelischer Kulturprogramme, der Stockholmer und Lausanner Konferenzberatungen
steckt", dazu auf, sich ihrer eigentlichen Aufgabe zuzutvenden: der Verkündigung des
Wortes Gottes, der Betreuung der theologischen Grundfragen. Und die erste
Frucht aus dieser Selbstbesinnung hätte die Einsicht zn sein, daß die Kirche gerade
heute nicht dazu berufen ist, evangelische Kulturprogramme zu vertoirklichen, sozial-
ethische und sonstige „praktische" Arbeit zu leisten; sondern daß sie den Menschen
zu einer „vernünftigen, unideologischen, nüchternen Erkenntnis der Welt und ihrer
Ordnungen" zu verhelfen hat. Denn diese ErkenntniS der großen Ordnungen ist
in heutiger Zeit überall verhängnisvoll getrübt, da die Welt „mit den hybridesten
materialistischen oder, tvas keinen Deut besser ist, idealistischen Jdeologien sich selbst
gegenübersteht".

Sieht man genau zu, so ist es (hier wie in allen seinen Schriften) Gogarteuö Aus-
gangspunkt, daß er die heutige Welt dem Trug der Jchbesessenheit ver-
fallen sieht; dem einzigen großen Rausch-Element, das der Nüchternheit entgegen-
steht; dem Aberglauben an die Selbsterlösung, dem Aberglauben an die freie Per-
sönlichkeit. Soll diese so berauschte Welt ernüchtert werden, so kann dies nur ge-
schehen von einer Stelle her, wo man um die wahre Situation deö Menschen
Bescheid weiß; wo man ihn als Geschöpf erkennt, das nie einen anderen Lebens-
grund hatte als seine Eingefügtheit in die großen Ordnungen des Daseins, die ihrer-
seits nur im engsten Zusammenhang mit der ewig hinzugedachten, ewig hinzuge-
stifteten Erlösung bestehen. So wird die Frage der Ernüchterung eine theologische
Frage; so wächst die Aufgabe der Ernüchterung, die die „Welt" niemals aus sich
selbst lösen kann, den im Glauben Wissenden zu, und insoferne der Kirche.
Denn was wir Kirche nennen, ist „Kirche" stetö nur mit dem Teil ihrer Existenz,
mit dem sie um das reellste Wissen aus dem echtesten Glauben bemüht ist.

Gogarten spricht klar; er spricht sogar hart. Aber wenn irgendwo Liebe ist, so in
dieser Härte. Und wenn irgendwann Aussicht war, daß Härte als Liebe erkannt
und willkommen geheißen wurde, so in diesem Falle. Einerlei, was die zunächst an-
geredete Kirche mit Gogartens Wort beginnen wird: draußen in der Welt werden
Unzählige stehen, Unzählige werden in der Masse ihr Gesicht heben, wenn dieses
harte Wort sie erreicht; und sie werden mit einer Liefen Freude darauf hören.
Gerade was „Welt" ist, fühlt heute am deutlichsten, daß Welt nur zu halten und zu
gründen ist durch die schärfste Bewahrung der religiösen Grundpositionen. Gerade
„Welt" hat daS dringendste Jnteresse daran, daß irgendwo das Denken blank und
nüchtern gehalten wird, daß die theologischen Grundfragen so ernst wie nur mög-
lich genommen werden. Denn „Welt" fühlt heute in ihrem Herzen, daß sie selbst

Zu der Broschüre von Friedrich Gogarten; Derlag Eugen Diederichs, Zena 1928.

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