Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1929)
DOI Artikel:
Tribünne
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0389

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
auch nur von einer radikalen Theologie ernst gcnommen werden
kann. Si'e kann ja nur „Welt" sein unter der Voraussetzung, daß sie an daS un-
bedingt Machtige und Andere angebunden ist — und daß das Wissen um diese
Anbindung in ungetrübter Klarheit bleibt. Und nur vom Ort dieser Anbindung
aus, rvo die Kabel sich unter ungeheuren Gewichten strassen, wird so etwas wie
„Welt" überhaupt gesehen und ernst genommen. Wir kennen jene Theologen, die uns,
den Weltlichen, unsere eigene Sprache entgegensprechen. Wir möchten ihnen immer
wieder zurusen: sagt uns doch das Andere! Sagt uns daö, was wir so leicht verges-
sen an unserer Arbeitsstelle. Sagt uns nicht das, was wir alöbald als das llnsrige er-
kennen, sondern sagt uns, was Welk gründet, sichert und stistet, also etwaö vom Drau-
ßen und Drüben; denn das gerade ist es, was „Welt" am dringendsten angeht.
Genau dasselbe, wie mir scheint, ruft Gogarten der Kirche zu, indem er sie auffordert,
der Menschheit zur nüchternen Erkenntnis der Schöpfungsordnungen zu verhelfen.
Denn die Nüchternheit, die er meint, ist die Nüchternheit mik dem Blick aufs Drüben
und Draußen. Nur vor diesem Blick erscheint der ganze und wirkliche Mensch; nur
vor diesem Blick gewinnt die Welt ihre letzte Dichtigkeit und Derbheit, ihre trotzige
Schwere, ihre ungeheure Diesseitigkeit, ihre bindende Gewalt. Jch folge Gogarten
gerade auch in jenen Stellen seiner Schrift, die mik ihren extrem schroffen Formu-
lierungen hart bis an die Grenze des Erträglichen gehen. Manchen, der es sehr
ehrlich meint, wird vielleicht ein Schauder ergreifen, wenn er liest (Seite i^): „Jm
Denken, in der Lehre, würde Luther sagen, nicht im Handeln sollten wir uns als
Christen von den Andern unterscheiden." Und Seite IZ: „Wie dcnn ja auch Luther
nichr müde wird, immer wieder zu sagen, daß ein Christ in seinem äußeren Tun
nicht anders ist und gar nicht anders sein wollen darf als ein Heide." Jch glaube
zu sehen, daß Gogarten diese ganz gewiß überschärften Wendungen nötig hat, um
der „Welt" ganz das zu geben, was er ihr geben will; um das Festhalten an Gott
dem Schöpfer bis ins Skandalon hinein zu bewähren; um Religion ihrem grün-
denden Kerne nach von Humanität, Ethik, Wohlverhaltenslehre möglichst scharf ab-
zuheben; um auf alle Fälle den Jrrtum abzuwehren, als habe Christentum irgend
etwas mit Weltstörung, Weltspaltung, Weltauflösung zu tun. Es kommt Gogarten
bei den erwähnken Sätzen nicht darauf an, Wahrheit in sentenziöser Rund-
gestalt hinzustellen, sondern darauf, den pädagogisch erwünschten Antrieb zu
geben. Auf lebendige Menschen hin gesprochen, bedeuten diese Sätze: das Ganze
treffen, das Eingeschlossene beiseite schieben — wic auch das „sols tlcls" die Werke
beiseite schiebt, weil es sie einschließt. Man kann das in Gogartens eigenen Aus-
führungen sehen. Er sieht (Seite i/j) die heutige sittliche Verkommenheit zu
wesentlichen Teilen in der „inneren gcdanklichen Haltlosigkeit und Unklarheit"
begründet. Und folglich muß er sich auch von einem richtigen Denken, öas
diese gedankliche Haltlosigkeit beseitigt, eine günsti'ge Rückwirkung auf öie durch
sie verschuldete Sittenlosigkeit versprechen; das liegt notwendig in seinem eigenen
Gedankengang.

Aber kommt es denn wirklich auf diese Fragen wesentlich an in einer Schrift, die
sich mit einer so gewaltigen Aufraffung um die Einsicht in Gottes Ordnungen
sorgt? Jst das denn nicht ein Kernpunkt unserer heutigen Nöte: die Verflüchtigung
unseres ganzen Daseins, das Schweben im Ungefähren, das Flauwerden des
Lebcns, das Schwinden aller festen Ortsgefühle? Und wird mit dem Dringen auf
die stand-gebenden Ordnungen denn nicht alles getroffen, was ein Christ sich an
„christlicher" LebenSgestaltung wünschen kann?

Der Not der Ortlosigkeit gegenüber, die die ganze Unerfülltheit deS modernen
LebenS in sich schließt, hat Gogarten das heute fällige Wort gesprochen: den Ruf
zur Ruhe im schöpfungsmäßig verordneten „Stand", wie er für jeden von uns
durch die menschlichen Beziehungen (Familie, Staat) begründet ist; den Ruf an die

330
 
Annotationen