CHINESISCHE ARCHITEKTUR
Abb. 4: GRABFASSADE IM SUEDEN DER PROVINZ HUNAN
im Inneren der Gebäude seine Fortsetzung und
Wiederholung durch die architektonische Aus-
bildung und Verzierung des Bindergebälks und
des Decken- und Dachverbandes der Tempel-
und Vorhallen, oftmals in gediegenster Holz-
technik, reich geschnitzt oder bemalt oder mit
Metallblechzierraten beschlagen. Dabei werden
auch die Decken selbst oft in reichster Kassettierung
durchgebildet und stellen dann Glanzleistungen
der Innendekoration dar, die keinen Vergleich
mit der Kunst des Abendlandes zu scheuen
brauchen. Die Holzschnitzereien erstrecken
sich am Äußeren und im Inneren der Gebäude
auch auf Friese, Konsolen, Tür- und Fenster-
füllungen aller Art, ferner auf Altäre und kirch-
liche wie weltliche Möbel und sind mit uner-
schöpflicher Phantasie, oft in vollendeter Meister-
schaft durchgeführt, wie Beispiele aus allen
Teilen des Landes erweisen ■— vergleiche z. B.
die Abbildung 2 der inneren Tempelfassade vom
Wutaishan, am buddhistischen heiligen Berge
in der Provinz Schansi.
Es ist nun an dieser Stelle noch der weit
ausgebildeten, eigenartigen Symbolik in der
chinesischen Baukunst zu gedenken, die sich
anscheinend wie ein roter Faden durch alle
architektonischen Erscheinungen und Schöp-
fungen Chinas hindurch zieht. Boerschmann
selbst hat in seinen verschiedenen Vorträgen
über die chinesischen Kultbauten dieses Thema
stets mit besonderer Liebe behandelt; ob er
vielleicht manchmal dabei etwas mehr heraus-
gelesen, als der chinesische Architekt selbst
hineingelegt hatte, möchte ich dahingestellt
sein lassen. Sollte ihn hier die Begeisterung
für das von ihm erschlossene Kunstgebiet bis-
weilen etwas über das Ziel hinausgeführt haben,
so können wir ihm das gewiß gern zu Gute
halten. Boerschmann leitet diese Symbolik her
aus dem Hange des Chinesen zur Mystik in
religiösen Dingen, der sich mit seiner nüchternen
Klarheit in allen Fragen des praktischen Lebens
sehr wohl vereinigen lasse und sich in seinem
engen Verhältnis zur Natur offenbare. Die
Staats- und Volksreligion in China, die über-
wiegend ein Naturkult sei und in pantheistischen
Anschauungen wurzele, bediene sich dabei des
künstlerischen Mittels der Personifikation und
beseele die Natur mit Göttern und Geistern.
Daher die Verehrung der Sonne, des Mondes
und der Gestirne, des Wassers, des Erdbodens,
der Berge! Daher die innige Liebe des Chinesen
zur Natur, von der zahllose Berg-, Fels- und
Höhlentempel, eindrucksvolle Götterfiguren,
195
Abb. 4: GRABFASSADE IM SUEDEN DER PROVINZ HUNAN
im Inneren der Gebäude seine Fortsetzung und
Wiederholung durch die architektonische Aus-
bildung und Verzierung des Bindergebälks und
des Decken- und Dachverbandes der Tempel-
und Vorhallen, oftmals in gediegenster Holz-
technik, reich geschnitzt oder bemalt oder mit
Metallblechzierraten beschlagen. Dabei werden
auch die Decken selbst oft in reichster Kassettierung
durchgebildet und stellen dann Glanzleistungen
der Innendekoration dar, die keinen Vergleich
mit der Kunst des Abendlandes zu scheuen
brauchen. Die Holzschnitzereien erstrecken
sich am Äußeren und im Inneren der Gebäude
auch auf Friese, Konsolen, Tür- und Fenster-
füllungen aller Art, ferner auf Altäre und kirch-
liche wie weltliche Möbel und sind mit uner-
schöpflicher Phantasie, oft in vollendeter Meister-
schaft durchgeführt, wie Beispiele aus allen
Teilen des Landes erweisen ■— vergleiche z. B.
die Abbildung 2 der inneren Tempelfassade vom
Wutaishan, am buddhistischen heiligen Berge
in der Provinz Schansi.
Es ist nun an dieser Stelle noch der weit
ausgebildeten, eigenartigen Symbolik in der
chinesischen Baukunst zu gedenken, die sich
anscheinend wie ein roter Faden durch alle
architektonischen Erscheinungen und Schöp-
fungen Chinas hindurch zieht. Boerschmann
selbst hat in seinen verschiedenen Vorträgen
über die chinesischen Kultbauten dieses Thema
stets mit besonderer Liebe behandelt; ob er
vielleicht manchmal dabei etwas mehr heraus-
gelesen, als der chinesische Architekt selbst
hineingelegt hatte, möchte ich dahingestellt
sein lassen. Sollte ihn hier die Begeisterung
für das von ihm erschlossene Kunstgebiet bis-
weilen etwas über das Ziel hinausgeführt haben,
so können wir ihm das gewiß gern zu Gute
halten. Boerschmann leitet diese Symbolik her
aus dem Hange des Chinesen zur Mystik in
religiösen Dingen, der sich mit seiner nüchternen
Klarheit in allen Fragen des praktischen Lebens
sehr wohl vereinigen lasse und sich in seinem
engen Verhältnis zur Natur offenbare. Die
Staats- und Volksreligion in China, die über-
wiegend ein Naturkult sei und in pantheistischen
Anschauungen wurzele, bediene sich dabei des
künstlerischen Mittels der Personifikation und
beseele die Natur mit Göttern und Geistern.
Daher die Verehrung der Sonne, des Mondes
und der Gestirne, des Wassers, des Erdbodens,
der Berge! Daher die innige Liebe des Chinesen
zur Natur, von der zahllose Berg-, Fels- und
Höhlentempel, eindrucksvolle Götterfiguren,
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