Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0274
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Heinrich, Curt: Andacht zur Wirklichkeit
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ANDACHT ZUR WIRKLICHKEIT
in einer Hinsicht, leider aber nicht der wesent-
lichen, ist sie auch nicht enttäuscht worden. Das
Niveau der großen Ausstellungen hat sich be-
trächtlich gehoben. Die Durchschnittsbegabungen
haben sich vielfach zwischen „alt" und „neu"
wacker hindurchgefunden und ehrlicher Arbeit
gelingt erfreulich oft ein tüchtiges Bild. Diesem
Gewinn für unser, ich möchte sagen extentives
Kunstleben steht aber eine seltsame Verwirrung
in dem intensiven Kunstschaffen und -Erleben
gegenüber, die, wenn man dem Impressionisten-
herold Meier-Graefe glauben soll, einfach den
Anfang vom Ende und völligen Zerfall bedeutet.
Gerade den Kummer dieses einseitigen Partei-
syndikus und Böcklintöters wird man ja nun
nicht zu ernst zu nehmen brauchen. Aber wenn
man heute vor den Werken der Expressionisten,
Kubisten und Futuristen steht, die in diesem
Jahre nicht nur in verschiedene Ausstellungen
eingedrungen sind, sondern einige von ihnen
förmlich terrorisieren, so wird man die ärgerliche
und sorgende Frage nicht mehr los: also darum
die schweren Kämpfe und Entwicklungssorgen
vor zwanzig Jahren, nein seit einem halben
Jahrhundert, seit Courbet und Monet, seit Marees
und Leibi, um nun wieder ganz von vorn an-
zufangen? Freilich ist auch die Mitschuld der
Kunstaufnehmenden und der Kenner, kurz des
Publikums, an dieser jüngsten Verirrung der
Produktion größer als jemals in einem früheren
231
in einer Hinsicht, leider aber nicht der wesent-
lichen, ist sie auch nicht enttäuscht worden. Das
Niveau der großen Ausstellungen hat sich be-
trächtlich gehoben. Die Durchschnittsbegabungen
haben sich vielfach zwischen „alt" und „neu"
wacker hindurchgefunden und ehrlicher Arbeit
gelingt erfreulich oft ein tüchtiges Bild. Diesem
Gewinn für unser, ich möchte sagen extentives
Kunstleben steht aber eine seltsame Verwirrung
in dem intensiven Kunstschaffen und -Erleben
gegenüber, die, wenn man dem Impressionisten-
herold Meier-Graefe glauben soll, einfach den
Anfang vom Ende und völligen Zerfall bedeutet.
Gerade den Kummer dieses einseitigen Partei-
syndikus und Böcklintöters wird man ja nun
nicht zu ernst zu nehmen brauchen. Aber wenn
man heute vor den Werken der Expressionisten,
Kubisten und Futuristen steht, die in diesem
Jahre nicht nur in verschiedene Ausstellungen
eingedrungen sind, sondern einige von ihnen
förmlich terrorisieren, so wird man die ärgerliche
und sorgende Frage nicht mehr los: also darum
die schweren Kämpfe und Entwicklungssorgen
vor zwanzig Jahren, nein seit einem halben
Jahrhundert, seit Courbet und Monet, seit Marees
und Leibi, um nun wieder ganz von vorn an-
zufangen? Freilich ist auch die Mitschuld der
Kunstaufnehmenden und der Kenner, kurz des
Publikums, an dieser jüngsten Verirrung der
Produktion größer als jemals in einem früheren
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